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Friedensforschung

Was tut die Friedensforschung und wie lassen sich Konflikte bewältigen? Darüber diskutierte ich Ende Oktober 2023 im Sissacher Kultur-Bistro Cheesmeyer mit dem Politologen Laurent Goetschel und der Journalistin Cécile Speitel.

Die moderne Friedensforschung nahm ihren Anfang vor gut hundert Jahren, zur Zeit der Gründung des Völkerbundes in Genf, erklärte Goetschel. Die Forschung sollte einer Wiederholung der Katastrophe des Ersten Weltkriegs entgegenwirken. Während des Kalten Krieges zwischen Ost und West hielt sie dafür, abzurüsten und einen Nuklearkrieg zu verhindern. Nach dem Fall der Berliner Mauer (1989) nahmen Bürgerkriege zu. Seither gewinnen Prävention und Mediation an Bedeutung.

Von der Schweiz erhofft sich Goetschel eine aktive und mutige Friedenspolitik. Ebenfalls bei Verhandlungen mit der Hamas im Gaza. Auf die Frage, ob sich seine Zuversicht auf eine friedliche Zukunft verändert habe, meinte Goetschel: «Eigentlich nicht, aber ich war auch nie übermässig optimistisch.» Friedensprozesse benötigten viel Zeit. In den 1990er Jahren sei eine technokratische «Friedensindustrie» aufgekommen. Und die aktuelle Weltlage sei gewiss ernüchternd. Allerdings gebe es auch beachtliche Erfolge der Friedenspolitik, die kaum wahrgenommen würden. Und daran lasse sich anknüpfen, global und regional.

Cécile Speitel ging von Konflikte zwischen Geschlechtern und Kulturen aus. Ein wichtiger Nährboden seien ungleiche Machtverhältnisse. Sie selbst wehrte sich in Muttenz mit einer Bauernfamilie und einem lokalen Komitee erfolgreich gegen ein ambitiöses Salzabbau-Projekt der Schweizer Salinen. «Wir recherchierten hartnäckig, benutzten politische Instrumente unserer Demokratie, informierten kritisch, konstruktiv und fantasievoll und überzeugten immer mehr Leute davon, die Rütihard zu retten». Zentral sei das Gespräch. Und was ihre Zuversicht anbelange, übe sie sich im Hoffen. Hoffnung gäben ihr Menschen, «die respektvoll miteinander leben, den Austausch pflegen und sich für eine friedliche Zukunft engagieren».

Nach der Veranstaltung wollte jemand von mir wissen, was ich zu den Gräueln der Hamas sage. Nun, die Schweiz muss diese klar verurteilen und dazu beitragen, Geiseln zu befreien und weitere Massaker zu verhindern. Anzustreben ist ein friedliches Zusammenleben für alle, ohne Terror, (strukturelle) Gewalt und Vertreibung, damit das lange Leiden der jüdischen und palästinensischen Bevölkerung aufhört.

Ja, eine Abkehr von Hass und Rache ist möglich, wenn viele an das anknüpfen, was verbindet. Die Schweiz muss sich für eine sichere Existenz von Israel und Palästina einsetzen. Zum Beispiel dafür, bereits legitimierte Zweistaaten-Verhandlungen (Oslo-Abkommen 1993) und vernachlässigte Friedensgespräche offen weiter zu führen.

Frieden verlangt vor allem auch mehr globale Sicherheit. Wir müssen die UNO politisch stärken und für eine fairere Weltwirtschafts-Ordnung eintreten. Sozialer Ausgleich, militärische Abrüstung und Prozesse der Verständigung mindern kriegerische Gefahren. Dabei hilft, wenn wir uns engagieren, ohne uns zu überhöhen oder auf Kosten von andern zu bereichern.

Ein Lichtschimmer ist für mich die von Laurent Goetschel geleitete und mit der Universität Basel assoziierte Schweizerische Friedensstiftung Swisspeace. Sie erforscht Ursachen von Konflikten und arbeitet eng mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zusammen. Swisspeace hilft, gewalttätige Konflikte zu bewältigen. Sie berät auch Regierungen und internationale Organisationen im Nahen Osten. Solche Kontakte vermindern Gewalt. Sie lassen sich auch nutzen, um im Gaza eine Waffenruhe anzugehen.

Kulturelle und zivilgesellschaftliche Anstrengungen können das soziale Miteinander fördern. So etwa über gemeinsame Theater- oder Sport-Camps mit Jugendlichen unterschiedlichen Glaubens. Ich habe in Israel/Palästina an mehreren sehr kontrovers zusammengesetzten Workshops schon erlebt, wie Annäherungen möglich sind. Das stimmt mich trotz allem ein wenig zuversichtlich. Eine dialogische Kultur der Auseinandersetzung ist jedenfalls unabdingbar. Sie unterstützt eine friedlichere Zukunft.

Titelbild: Ueli Mäder, Soziologe. Foto: © Christian Jaeggi

Mehr erfahren über die Forschungen des Swisspeace-Instituts können Sie über diesen Link.
Aktuell steht ein Fokus Israel-Palästina mit Presseartikeln und Publikationen von Swisspeace-Experten zur aktuellen Situation Nahen Osten zur Verfügung.

Das nächste Sissacher Gespräch am 30. November um 19 Uhr dreht sich um die Frage: Wie gehen wir persönlich mit biographischen Brüchen, mit Verlust und unserer Endlichkeit um? Darüber diskutiert Ueli Mäder im Sissacher Kultur-Bistro (Hauptstrasse 55, zwei Minuten vom Bahnhof) mit den Publizistinnen Cornelia Kazis und Franziska Schutzbach.

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2 Kommentare

  1. Schöner Artikel in einer leider etwas weniger schönen Welt!

    Natürlich ginge es allen besser ohne bewaffnete Konflikte.
    Was hat der einzelne Aseri von der Vertreibung der Armenier aus Karabach?
    Leben russische Familien besser, wenn Adscharien oder die Krim de facto zu Russland gehören?

    Und trotzdem gibt es kaum auszurottende Vorurteile gegen vermeintliche Feinde sogar innerhalb einzelner Länder, wie etwa den Romas in Osteuropa.

    Sicher sind wir heute weiter als vor 110 Jahren, wo die Ermordung eines österreichischen Thronfolgers zu einem Weltkrieg führte. Wir haben die UNO Charta (deren Spannungsfeld zur Haager Landkriegsordnung im EDA offenbar nie richtig ausdiskutiert worden ist), ein Produkt westlicher Denke, das von vielen Unterzeichnern offenbar als unverbindliches Papier (oder Makulatur) angesehen wird, das man unterschreiben musste, um gegenüber Amerika und dem Westen gut dazustehen.

    Und wir haben eine entwickelte Konflikt- und Friedensforschung.

    Mir scheint, die (fast immer multiplen) Ursachen eines Konfliktes zu erforschen und mögliche Lösungen herauszuschälen sei das eine und die massgebenden Players davon zu überzeugen, das andere. Und hier scheint mir militärische Stärke oft immer noch das beste «Argument», zu sein, die einzige Sprache, die gewisse Diktatoren verstehen.

    Wirkliche Abrüstung scheint nur dann möglich zu sein, wenn sich die militärisch Stärksten darüber einig werden, oder wenn Schwächere so weit aufrüsten, dass sie ernst genommen zu werden.

    Die Schweiz kann nie in dieser Liga mitspielen, muss aber trotzdem zeigen, dass sie Willens ist, ihre Freiheit und ihre zivilisatorischen Errungenschaften zu verteidigen. Das ist mit ein Grund, wieso die Schweiz nicht (noch mehr) abrüsten kann, GSoA hin oder her! Der andere Grund ist die immerwährende Neutralität.

    Als unverdächtiger Neutraler, der definitionsgemäss keinem Bündnis angehören kann, hat die Schweiz aber die Pflicht und die Möglichkeit, sich voll für allseits akzeptable Friedenslösungen und ganz allgemein für die Deseskalation bestehender Konflikte einzusetzen. Nicht durch grosse Ankündigungen (die haben noch nie etwas gebracht) sondern durch mühsame aber qualitativ hochstehende Knochenarbeit unterhalb des Radars der Presse.

    • Nach der Darstellung Ihrer geschichtlichen Kompetenz stellt sich für mich nur eine einfache Frage: Wollen wir weiterhin Krieg, Gewalt und Elend als Antwort auf Konflikte dulden? Bei einem JA läuft es mit der Kriegsmaschinerie weiter wie bisher, das heisst die Armeen rüsten weiter auf mit allem womit sich die Hersteller von Kriegsgerät eine goldene Nase verdienen, und die Schweiz kann wenigstens so tun, als könnte sie sich bei militärischen Angriffen effizient verteidigen. Dieser Menschen verachtende Weg ist nicht nur dumm, er bedeutet vor allem schmerzhafte Rückschritte und Stillstand der menschlichen Sozialisation.

      Bei einem NEIN zu Krieg mit seinen verheerenden Folgen wie Zerstörung ganzer Städte und Dörfer, Abschlachten unschuldiger Menschen, millionenfache Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen, Unterdrückung und Vertreibung ganzer Völker, müssen wir uns vom Krieg als Konfliktlöser verabschieden. Die Schweiz ist schon lange kein «unverdächtiger Neutraler» mehr, der wegen seiner starren Definition seiner Neutralität keinem Bündnis angehören kann. Die Politik muss nicht nur verhandeln sondern endlich Nägel mit Köpf(ch)en machen. Neutralität sollte nicht länger als schäbige Ausrede für mangelnde Solidarität herhalten, was auch unsere Nachbarn längst nicht mehr goutieren. Nur verbale Schönwetter-Solidarität und Friedensbemühungen auf der Schleichspur schaffen keine neue Fakten für den Frieden in Europa und in der Welt.

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