Im östlichen Mittelmeer dauert der Sommer länger und im Spätherbst ist eine Reise in die türkische Südküste bei angenehmen Temperaturen möglich. Noch ist Ephesos hoffnungslos überlaufen. In Didyma und Milet hingegen ist die Touristenschar überschaubar.
Um 550 v.Chr. war Milet eine der mächtigsten und reichsten ionischen Kolonien in Kleinasien. Die Stadt war berühmt für ihre Handelsbeziehungen, ihre Naturwissenschaftler, ihre Philosophen und die Kunst.
Ein Tempel mit 120 Säulen von jeweils 20 Meter Höhe soll hier gestanden haben.
Didyma war das außerstädtische Heiligtum von Milet, etwa zwanzig Kilometer entfernt. An religiösen Festtagen fanden Prozessionen von Milet nach Didyma statt, um den dortigen Göttern zu opfern. Die Stätte war bekannt für ihr Orakel, das neben Delphi und Dodona zu den bedeutendsten der Antike zählte. Es zog viele Pilger an, die den Rat von Apollon suchten oder wertvolle Weihgeschenke für seinen Beistand hinterließen.
Die Aufgabe der Orakel in der Antike war sehr unterschiedlich. Sie sollten Menschen bei wichtigen Fragen oder Entscheidungen helfen. Ihre Botschaften haben sie auf verschiedene Weise empfangen. Einige nutzten natürliche Phänomene wie Blitze, Wolkenbilder oder das Rauschen von Eichen. Hier in Didyma war es eine Quelle. Wieder andere Orakel traten in einen tranceartigen Zustand, in dem sie Visionen oder Stimmen wahrnahmen, die ihnen die Zukunft offenbarten. Die göttliche Botschaft war zunächst dunkel und rätselhaft, weshalb es neben den zahlreichen Orakelstätten selbst noch weit mehr Exegeten gab, deren Aufgabe darin bestand, die Bedeutung der übermittelten Botschaften zu interpretieren.
Am Eingang zum Tempel eine weitere Medusa. Davon gibt es unterschiedliche Darstellungen. Mit den Schlangen im Haar und dem durchbohrenden Blick soll sie Schrecken verbreiten.
Die Bedeutung von Didyma fand bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. sichtbaren Ausdruck in einem monumentalen Tempelneubau, der mit dem Artemistempel von Ephesos und dem Heratempel von Samos zu den größten Tempeln der archaischen Zeit gehört. Neben Apollon wurden in Didyma auch andere Gottheiten in eigenen Kultbezirken verehrt. Von ihrer Existenz wusste man bis vor wenigen Jahren lediglich aus den zahlreichen Inschriften, die in Didyma gefunden wurden. Eine wichtige Rolle spielte sicherlich die Zwillingsschwester des Apollon, die Göttin Artemis. Ihr grösster Tempel, eines der sieben Weltwunder, lag in Ephesos. In Didyma hat man weder die Orakelquelle noch eine Statue von Artemis gefunden.
Die Grosse Artemis von Ephesos aus dem Museum von Selçuk. Die Brüste werden als Zeichen der Fruchtbarkeit gedeutet , nicht nur für Menschen sondern auch für Tiere und Pflanzen. Das Standbild war aus Holz und wurde mit immer neuen Gewändern bekleidet und in Prozessionen durch die Stadt getragen.
Das Heiligtum erlitt Anfang des 5. Jahrhunderts. v. Chr. das gleiche Schicksal wie Milet – es wurde von den Persern zerstört. Erst seit dem Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. begann man den zerstörten Tempel durch einen ebenso monumentalen Neubau zu ersetzen.
Apollon-Tempel in Didyma
Dessen Ruinen dominieren heute noch den modernen Ort Didim. Er wurde nie fertiggestellt. Bis in die römische Kaiserzeit bemühte man sich, das gewaltige Bauvorhaben abzuschließen. Die Unfertigkeit des Tempels beeinträchtigte die Fortsetzung des Orakelkults und der verschiedenen rituellen Handlungen aber nicht.
Sockel einer Säule mit gut erhaltenen figürlichen Reliefs: Wie kommt Poseidon in den Apollon-Tempel?
Auch weiterhin gehörte das Heiligtum zu den bedeutendsten Kultstätten der Antike, so dass ihm nicht nur hellenistische Herrscher, sondern auch römische Kaiser die Ehre erwiesen und ihren Ausbau förderten. Hierüber erfahren wir ebenfalls vor allem aus den zahlreichen Inschriften. Die Zeit des Niedergangs setzte dann im 3. Jahrhundert n. Chr. ein, als zunehmende Übergriffe eindringender Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise der Goten, zu Zerstörungen im Römischen Reich führten. Überdies breitete sich das Christentum, dem der heidnische Orakelkult besonders verhasst war immer weiter aus .
Sockel und Kapitelle liegen zu Hunderten herum.
Spätestens im 4. Jahrhundert werden im Heiligtum zunehmend christliche Kapellen, Friedhöfe und Märtyrergräber errichtet. Nachdem der Kult endgültig verboten worden war, fand die Christianisierung ihren deutlichsten Niederschlag in der Errichtung einer dreischiffigen Emporenbasilika im offenen Hof des Apollontempels am Ende des 5. Jahrhunderts.
Das Amphitheater von Milet bot Platz für 15 000 Zuschauer. Es hatte einen Durchmesser von etwa 140 Metern und ein Höhe von 30 Metern.
Milet, die Mutterstadt, zählte in ihrer Blüte 80 000 Einwohner und vier Häfen. Wenn man heute auf dem Gelände steht, scheint das unglaublich. Wo früher Handelsschiffe in See stachen, liegen heute weite Baumwollfelder und Olivenhaine, wo friedlich Kühe grasen. Das Meer ist mehr als zehn Kilometer entfernt. Auch Ephesos ist heute 16 Kilometer vom Meer entfernt. Erdbeben und Sedimentablagerungen verschoben die Küstenlinie in nur 2000 Jahren.
Das gewaltige Amphitheater, aufgenommen mithilfe einer Drohne. Foto: Simeon Koller
Einst war sie eine der bedeutendsten Hafenstädte der griechischen Antike und brachte viele berühmte Söhne hervor: Thales (625-547 v.Chr.) war der erste abendländische Naturphilosoph. Seine Lehre war, dass Wasser der Ursprung aller Dinge sei und dass die Erde auf Wasser schwimme. Er formulierte den nach ihm benannten geometrischen Satz. Sein Schüler Anaximander erkannte als erster, dass die Erde frei im Weltraum schwebt. Und dessen Schüler Anaximenes (585-524 v.Chr.) erklärte, die Luft sei der Ursprung aller Dinge und dass alles durch Verdichtung oder Verdünnung der Luft entstehe. Er verglich auch die Luft mit der menschlichen Seele, die den Körper belebt und bewegt.
Apollon-Tempel Didyma: Versuch einer teilweisen Rekonstruktion mit dem Grössenvergleich Mensch-Architektur.
Die persische Grossmacht zerstörte das reiche Milet und ein Grossteil der Bevölkerung kam in Sklaverei. Auch nach dem Wiederaufbau erlangte sie die frühere Grösse nicht mehr. In der tausendjährigen byzantinischen Zeit war es still um Milet. Und heute sind nur noch Ruinen übrig. Wenn man das ganze grosse Areal erkunden möchte, braucht man einen halben Tag. Ein Besuch gewinnt an Faszination, wenn man sich vor Augen hält, dass sich das antike Milet auf einer 2.5 Kilometer langen Halbinsel erstreckte, umgeben vom Meer.
Titelbild: Die Medusa, eine der drei Gorgonen wurde beim Apollon-Tempel von Didyma in Stein gehauen
Fotos: Justin Koller
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Reisehinweis:
Empfehlenswert sowohl für Didyma als auch für Milet ist eine Individualreise im Privatauto oder eine vor Ort organisierte Tour. Angebote gibt es auch bei den üblichen Buchungsplattformen.
Didyma liegt in der Provinz Aydin, nahe beim Badeort Altιnkum etwa 95 km nordwestlich von Bodrum.
Milet befindet sich beim heutigen Dorf Balat, Provinz Aydin, etwa 115 km nördlich von Bodrum.