Einen genauen Blick auf den vielgeschmähten Floh verspricht das Buch von Ulrich Stadler «Der ewige Verschwinder. Eine Kulturgeschichte des Flohs». Es sind Einblicke in die lange Geschichte der Beziehungen zwischen Mensch und Floh.
Ulrich Stadler, Professor für Literaturwissenschaft, zuletzt an der Uni Zürich, beschliesst seine kulturgeschichtlichen Betrachtungen über den Floh mit «drei Leitsätzen»: Der erste stellt fest, dass es ungewiss ist, ob der Floh, dieser Parasit, der Mensch und Tier seit Urzeiten mit seinen Stichen geplagt hat, überhaupt überleben kann, ob er sich vor der Verfolgung durch Verschwinden, bzw. Verstecken, retten kann. Gegenwärtig verschwindet nämlich pro Jahr knapp ein Prozent aller Insektenarten auf der Erde. Diese traurige Tatsache lässt die Lesende leicht darüber hinwegsehen, dass das IT-Rechtschreibeprogramm ihr das Wort Der Verschwinder stets als inexistent anzeigt.
Der Autor bewahrt sich trotzdem seinen Optimismus, denn obwohl Flöhe manchmal, aber nicht immer gefährliche Krankheiten übertragen können, haben sie keinen schlechten Ruf, denken Sie an den Flohwalzer, das Flohspiel oder an den Fussballer Lionel Messi, der wegen seiner Grösse von seinen Mitspielern und Fans voller Bewunderung La Puglia (der Floh) genannt wird.
Über den Floh zu schreiben, ist reizvoll
Der bedenkenswerteste Leitsatz, der dritte, lautet: «Fliehende, also herkömmlich als Verlierer geltende Lebewesen, können über ihre Verfolger triumphieren», schreibt Stadler. Auch wenn sich diese unsichtbare Überlegenheit nicht direkt auf den Floh bezieht, so lernen wir doch, dass auch mit scheinbar kleinen Gegnern nicht zu spassen ist. Wie bei allen Beobachtungen zitiert Stadler zur Festigung seiner These eine unzweifelhaft berühmte Persönlichkeit, hier ist es Georg Christoph Lichtenberg.
Über die letzten – fast poetischen – Bemerkungen des Autors soll hier nichts weiter gesagt sein: Es ist ein überraschendes Zusammentreffen von Schönheit und Erdgeschichte.
Auch der Floh gehört zu unserer Kultur
Stadlers gesamte Floh-Kulturgeschichte ist geprägt von ernsthaften und witzigen Erörterungen über den Floh und die Menschen, die er stach, über viele Jahrhunderte hinweg. Der Autor schreibt aus der Überzeugung, dass «Natur und Kultur schwerlich voneinander getrennt werden können». Er richtet sein Augenmerk hauptsächlich darauf, was Flöhe auslösen, was sie für den Menschen bedeuten. Dabei hat er auch Quellen gefunden, die den Floh als liebenswertes, geselliges Wesen darstellen, und er ist auf so erstaunliche Äusserungen gestossen, dass Flöhe aufgrund ihrer «rühmlichen Qualitäten» Löwen und Adlern überlegen seien, Flöhe besässen mehr «Stärke und Witz». Das liest Stadler in einer Schrift aus dem frühen 18. Jahrhundert.
Kuriositäten über den Floh und um ihn herum findet er allenthalben. Eines der Kapitel trägt den Titel «Über den Umgang mit Flöhen», verschiedentlich zitiert er Gedichte, zum Beispiel eines aus dem 19. Jahrhundert, das von einem Studenten handelt, der im Grünen durch einen Floh am Lernen gehindert wird.
Den unangenehmen Stich durch Lächeln vergessen
Stadler findet Zeugnisse über die Gefährlichkeit des Flohs und über «Mittelchen gegen den Floh». Literatur über Flöhe gibt es seit dem Altertum, Plautus und der Fabeldichter Äsop kennen ihn. Von La Fontaine zitiert der Autor ein witziges Gedicht im Original und in der Übersetzung. Das Kapitel «Flohbilder» mit vielen Abbildungen aus den letzten vier Jahrhunderten ist ebenfalls sehr amüsant, während sich im Kapitel «Flöhe als Erreger sexueller Phantasien» wohl eher männliche Lesende angesprochen fühlen, – es sind auch nur Texte männlicher Autoren.
Flohgeschichten aller Gattungen
Die Barockzeit war eine Epoche voller ausufernder, phantastischer Geschichten. Stadler findet dort Texte, die er «schrecklich, schön, erhaben» nennt, für uns interessant und skurril gleichermassen zu lesen. Auch von J. W. Goethe präsentiert er uns ein Flohgedicht; dazu gesellt er Johann Peter Hebel, den badischen Dichter, Franz Kafka und Kurt Tucholsky – alle schreiben über den Floh. Kurz gesagt: Wer dieses Buch gelesen hat, weiss, dass der Floh zumeist schneller wegspringt, als wir ihn fangen können, dass er aber aus unserem Leben und aus den kulturellen Zeugnissen unsrer Geschichte nicht wegzudenken ist.
Ulrich Stadler: Der ewige Verschwinder. Eine Kulturgeschichte des Flohs. Schwabe Verlag 2024. 312 Seiten, 33 Abbildungen. ISBN 978-3-7965-4945-8
Titelbild: weiblicher Floh (pulex irritans) fotografiert von Daniel J. Drew/ wikimedia.org