StartseiteMagazinKulturLeuchtturm der Kunst im Dreispitz

Leuchtturm der Kunst im Dreispitz

Mitten in einer sich neu erfindenden Brache – einst riesiges Zollfreilager nahe der Basler Landesgrenze – hat das Kunsthaus Baselland seinen Platz gefunden. Und damit wird der dynamische Dialog der regionalen mit der internationalen zeitgenössische Kunst fortgesetzt.

Von der Haltestelle Dreispitz wandern wir an Tief- und Hochbaustellen vorbei, überqueren die Kantonsgrenze an der Wienstrasse, biegen in die Florenzstrasse ein und finden endlich in der südlich abzweigenden Helsinkistrasse in einer Lagerhäuserzeile das Kunsthaus Baselland, eine Halle mit Satteldach, aus dem Betontürme ragen. Was nun als der jüngste Museumsbau der Schweiz eingeweiht werden kann, war vor etlichen Jahrzehnten noch Umschlag- und Lagerplatz für Champagner. Die Flaschen sind weg, das Prickelnde ist neu erwacht.

Wo einst Waren lagerten, ist nun zeitgemässes Gewerbe, Architektur, Lehre und Wohnen angesagt. Neuester Zuwachs im Dreispitz: das Kunsthaus Baselland.

Umgebaut hat Architekt Andreas Bründler von Buchner Bründler Architekten in zehnjähriger enger Partnerschaft mit Ines Goldbach: 80 Baukommissionssitzungen hätten sein müssen, keine einzige überflüssig, sagt die Kunsthaus-Direktorin. Die Aussenansicht passt sich dem Umfeld an, die Verladerampe, Treppen zu derselben, riesige Tore, flankiert von grossen Tafeln, in denen Tony Cokes, US-Künstler und Kunstlehrer, Gemeinsamkeit reflektiert.

Ausstellungsansicht mit Drying Line von El Anatsui, vorn die Bodeninstallation von Naama Tsabar «Melody of Certain Damage #16», zerbrochene Gitarren, die weiter zum Tönen gebracht werden können. Foto: Gina Folly

Drinnen wird die Funktion der Türme als Leucht-Türme erfahrbar: Sie leiten zenitales Licht, also Licht direkt von oben in die Ausstellungsräume. Diese Art Tageslichteinfall begegnet uns öfters in modernen Kirchen. Hier ergänzt dieses Licht direkt vom Himmel über uns den Lichteinfall der grossen seitlichen Fenster sowie die Grundbeleuchtung.

Ausstellungsansicht mit der über Wand und Boden reichenden Arbeit ADER von Daniela Keiser mit Ausblick auf Werke von Joan Jonas (USA) und Thérèse Bolliger. Foto: Gina Folly

Während die eine Seite des Baus zur Helsinkistrasse eine sich transformierende Lagerhaus-Landschaft eröffnet, ist gegenüber Natur: Wo früher Bahngleise waren, wachsen jetzt Bäume und Kräuter. Rückwirkung oder auch Rückkoppelung mit den Kunstwerken ist als Sehschule gewollt, ebenso die Öffnung zur Nachbarschaft.

Was beim Zürcher Kunsthaus die Idee war, aber dank abweisend schwerer Kupfertüre oder verstecktem Hinterausgang nicht funktioniert, konnte hier in kleinerem Massstab verwirklicht werden: Nämlich ein durchlässiges Haus, das Passanten nicht einschüchtert, Nachbarn empfängt. Man kann hereinkommen, zum Holzkubus mit Kasse und Kaffeebar abzweigen, oder auch im grosszügigen Foyer verweilen, die Bibliothek benutzen, einige Kunstwerke anschauen und schliesslich direkt gegenüber den Bau wieder verlassen. Zur Eröffnung fällt ein grosser Leuchter auf – ganz in weiss – von Pippilotti Rist, gegenüber eine schwebende Figur, eine Kohlenwasserstoff-Verbindung als Ballon ins Gigantische vergrössert, von Monira Al Qadiri aus Kuweit, die mir den schwebenden Engel im Zürcher Bahnhof erinnert.

Blick in die neuen Räume – einmal direkt, einmal übersetzt als Fotocollage (Detail). Fotos: Finn Curry

Die Fotoarbeit Switchback an der riesigen Betonwand und der Schiebetüre davor, die das Foyer vom Museum abtrennt, so dass es für Konzerte und andere Veranstaltungen genutzt – gemietet – werden kann, stammt von Renate Buser, die ihr Atelier ganz nah im Dreispitz hat. Sie fotografierte die Flächen und Kanten, die Eisenträger und Dachbalken im neuen Haus und setzte die Fotos so zusammen, dass man einerseits Klarheit über den Bau gewinnt, andererseits verwirrt ist, wo die Fotografie aufhört und die Konstruktion beginnt.

Kunsthaus-Direktorin Ines Goldbach mit Architekt Andreas Bründler vor den «Political Ribbons» der amerikanischen Klimaaktivistin Andrea Bowers

Ein Umzug ist Anlass, zurückzuschauen, zurück auf 80 Jahre Kunstverein Baselland, dessen Ausstellungen zunächst in ganz unterschiedlichen Häusern stattfanden. Zurückschauen nun auch auf ein Vierteljahrhundert Kunsthaus Baselland in der Blechwarenfabrik beim St. Jakobstadion. Für das Kunsthaus Baselland beginnt jetzt das zweite Leben – mit einer Gruppenausstellung teilweise aus dem Fundus, möchte man sagen: Einige der rund zwei Dutzend Künstlerinnen und Künstler, die erstmals die neuen Räume bespielen, haben bereits in Muttenz ausgestellt und sind hier mit neuen Arbeiten gelandet.

Zwei Zeichnungen aus den «Series Beloved» von Gabrielle Goliath

Fast alle folgten der Einladung von Ines Goldbach, grosse Werke zu zeigen und Ideen inspiriert vom Genius loci vor Ort zu installieren, auch mit Werkzeug und Pinsel direkt in die Wände, Decken und Böden einzugreifen. Weil es keine abgeschlossenen Räume, also keine White Cubes, weisse Würfel ohne Fenster gibt, sondern Durchblicke und Ausblicke ist unter den Künstlern, die hier gearbeitet haben, ein Austausch entstanden. Auf einen witzigen weist Direktorin Ines Goldbach hin: Der Altar des Prekären von Steiner/Lenzlinger reicht vom Boden bis weit hinauf in einen der Türme, so dass an dessen Spitze ein Vogel in den Raum von Leonor Serrano Rivas herüberblickt und die Tontauben, die Serrano Rivas auf ihre Flechtarbeit gesetzt hat, spiegelt.

Über der Treppe hängt Andrea Bowers› «Chandeliers of Interconnectedness» mit der Inschrift (hier übersetzt): «Die Welt ist so schön sogar wenn sie brennt.» Im Hintergrund ihre 83 «Feminist Fans». Foto: Gina Folly

Die Künstlerinnen und Künstler sind zwischen 20 und gut 80 Jahre alt, alle quicklebendig und in der Kunstwelt verankert. Ihr Arbeitsort ist gleich nebenan oder auch in Brasilien oder Afrika, in New York und Zürich, Berlin und Paris. Eine beeindruckende Wahl und eine sehr zeitgemässe: die Mehrheit ist weiblich und viele stellen sich der Frage nach dem Weiterleben der Gesellschaft in prekären Umständen und nach der Natur im weitesten Sinn.

Durchblick zum «Altar des Prekären» des Schweizer Künstlerpaars Gerda Steiner/Jörg  Lenzlinger. Links Joan Jones filigrane Schwebeteile nach der Natur «Draw on the Wind».

Titel der Gruppenausstellung ist Rewildering. Das bedeutet Rettung von gefährdeten Arten mit deren Ausbringen, Auspflanzen, Auswildern in geeigneten Räumen, so dass sie sich wieder oder neu entfalten können. Auf den Ort bezogen: Einer Ödnis der aufgegebenen Lagerhallen-Umgebung neues Leben einzuhauchen, sie – zusammen mit bereits funktionierenden Kultur-Institutionen und Wohnbauten – zu neuer Blüte zu bringen.

Ausstellungsraum mit den Arbeiten von Leonor Serrano Rivas

Ein «Zuhause für Experimente», nennt die Künstlerin Daniela Keiser das Kunsthaus Baselland. Sie ist mit der Arbeit ADER vertreten, die eine Wand und einen halben Boden einnimmt. Der Ghanaer El Anatsui hat eine seiner filigranen Wandtapisserien beigesteuert, die aus Kronenkorken und Metalletiketten von Bierflaschen, also aus Abfall zusammengefügt sind. Drying Line heisst das Werk und spielt auf den verheerenden Alkoholismus der Arbeiter an, der seine Umgebung prägt.

Kunsthaus-Direktorin Ines Goldbach empfängt Gäste zum grossen Eröffnungsfest. Foto: © Pati Grabowicz

Was Ines Goldbach schon in der Blechfabrik verfolgte, bleibt auch für die Zukunft Konzept: Die Einladung von lokalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die sich auf Augenhöhe begegnen. Das Kunsthaus will weiterhin eine Institution bleiben, wo Künstlerinnen und Künstler vor Ort ihre Arbeit für den Ort ausführen und das Haus und seine Umgebung erfahren können.

An diesem Wochenende wird das neue Kunsthaus Baselland mit Worten und Musik, aber auch mit Spielen für Kinder, Kunstaffine und alle andern, die sich animieren lassen, eingeweiht. Das Programm mit Eröffnungsfestlichkeiten von Samstag und Sonntag finden Sie auf der Homepage.

Titelbild: Das grosszügige Foyer mit (von links) Marina Meijer-vonTscharner, Präsidentin Kunstverein Baselland, Andreas Bründler, Architekt, Ines Goldbach und Tom Koechlin (Stiftung Kunsthaus Baselland)
Fotos: Eva Caflisch
Alle Werke sind urheberrechtlich geschützt. © 2024, ProLitteris, Zurich

Hier geht es zur Homepage des Kunsthaus Baselland

 

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