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Ich glaube, mir fehlt der Glaube

Mit diesem Titel wird in der Zuger Zeitung ein Buch von Michelle de Oliveira vorgestellt. Ich fühlte mich sofort herausgefordert, um Gedanken über die Bedeutung dieses Titels zu machen. Das Wort «ich glaube» bekommt erst eine Bedeutung, wenn gesagt wird, an was geglaubt wird. Glauben heisst eine Idee haben von etwas. Es gibt unendlich viele Ideen, an die man glauben kann. Sage ich, ich glaube an den Klimawandel, dann habe ich die Idee einer Wende. Wird diese wissenschaftlich bewiesen, brauche ich nicht mehr zu glauben. Dann ist er eine Tatsachenwahrheit. Die Ungewissheit ist somit beseitigt.

Da der Leser also nicht weiss, um was sich das: «Ich glaube, mir fehlt der Glaube» dreht, weiss er nicht, um welchen Glauben es sich handelt. Das Verb und das Substantiv äussern beide einen Zweifel. Darüber lässt sich erst diskutieren, wenn deutlich wird, worin gezweifelt wird. Immanuel Kant legte dar, dass die Existenz Gottes nicht rational bewiesen werden kann, denn zwischen Realität und einer Idee bleibe eine unüberbrückbare Distanz. Aus einer Idee oder Meinung lasse sich die Existenz Gottes nicht schlüssig ableiten. Wenn ich glaube, meine Schwester komme heute vorbei, bin ich nicht sicher. Aber es wäre möglich, dass sie kommt, weil es sie gibt. Bezweifle ich die Idee Gottes, kann ich keine Religion mit eben diesem Gott konstruieren. Der doppelten Zweifel, den ich dem Titel entnehme, lässt vermuten, dass es sich um das Christentum handelt.

Auf die Frage Gretchens im Schauspiel Faust: «Sag Heinrich, wie hältst du es mit der Religion?» antwortet Faust: «Nenn’s wie du willst. Gefühl ist alles». Diese Antwort ist sehr raffiniert, denn ein Gefühl lässt sich nicht bezweifeln. Faust gelang, dass Gretchen ihr Gefühl mit ihrem Denken in Übereinstimmung brachte. Die unerfahrene Frau erlag den Verlockungen des Mannes.

Ich lese aus dem Titel «Ich glaube, mir fehlt der Glaube», dass damit die traditionelle Religion gemeint sein könnte. Das ist ein Zweifel, der immer öfter geäussert wird. Teils liegt es an der Selbstverschuldung von Priestern, teils aber auch am Inhalt des christlichen Glaubens. Es ist für den modernen Menschen nicht einfach überzeugt zu sein, dass Gottvater seinen Sohn auf die Erde geschickt hat, um die Ur-Schuld von Adam und Eva zu tilgen.

Frei nach Sloterdijk würde dies heissen, der alte Glaube sei eine «Tochter der Niederlage». Den Glauben verlieren will der Mensch nicht und so verlangt er nach Kompensation.  Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten von Aktivismus, Konsumismus, Spass bis hin zu Ideologien, zu Esoterik und zu jeder Form von Spiritualität. Der Mensch sucht seinen Glauben an die kirchlichen Rituale und Bräuche zu ersetzen, denn er will nicht in der Leere oder in der metaphysischen Obdachlosigkeit leben. Er sucht nach Kräften, die das Gemüt beruhigen.

Kompensatorisch bietet sich inzwischen ein grosses Feld von spirituellen Angeboten und esoterischen Versprechungen an. Wer sich als Verkünder neuer Heilslehren gut verkauft, hat viele Anhänger. Der Guru sagt: «Deine Träume werden sich erfüllen. Du musst meine Zeremonie nicht verstehen. Spüre und fühle einfach, dass sie dir guttut! Du wirst den Weg zu deinem Heil finden». Bei allen diesen neuen Heilswegen würde sich mir der Titel des Buches aufdrängen, der neugierig macht.

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2 Kommentare

  1. Ja, es geht der Autorin dieses Buches um den Glauben oder Nichtglauben an Gott. Die Antworten der interviewten Personen in diesem Buch sind so vielfältig wie die Menschen selber. Als Nichtgläubige und protestantisch Getaufte frage ich mich, brauchen wir einen Glauben an einen allmächtigen und allwissenden Gott? Meine klare Antwort ist nein. Gott ist eine Erfindung des Menschen. Doch es hilft vielen Gläubigen, ihr Leben positiv zu bewältigen. Also was soll’s, soll doch jede:r die/der will an seine Religion glauben, solange es nicht ein Muss oder Zwang ist, denn dann ist der Mensch nicht mehr frei, selber über sein Schicksal zu entscheiden.

  2. Weiterdenken
    Es ehrt, in meinen Augen, das Seniorweb, das – beispielsweise in den Kolumnen – Mitteilungen, Meinungen und Berichte hinterfragt und weiterdenkt. So in der Kolumne «Ich glaube, mir fehlt der Glaube», in der Andreas Iten eine Buchbesprechung von Michelle de Oliveira mit diesem Titel weiterdenkt.
    Iten nimmt an, dass von der Journalistin und Autorin, die vor zwei Jahren nach Portugal ausgewandert ist, die «traditionelle Religion», also das Christentum, gemeint ist. «Teils liegt es an der Selbstverschuldung von Priestern, teils aber auch am Inhalt des christlichen Glaubens», schreibt er einführend und erklärend.
    Zum Ersten: Ich schätze es nicht, bei den Priestern stets von Schuld zu sprechen, erlebe diese nämlich, ausgenommen jene im Vatikan, eher als «arme Teufel» eines unmenschlichen Systems.
    Zum Zweiten: Das Christentum anzuführen, liegt auf der Hand. Gerne würde ich es ergänzen; denn es geht um alle Kirchen: Um das Judentum, das sich gerade aktuell als bestialischer Zionismus entlarvt, das Christentum, das vor allem an seiner Sexualität leidet, um den Islam, den uns ein sonderbarer Prophet schmackhaft machen will, und wahrscheinlich auch den Hinduismus, der einen weiteren Religionsstaat einzurichten sich aufmacht.
    Bei diesen Themen hilft mir der wunderbare Dreisatz von Victor Hugo (1802 – 1885): «Ich hasse alle Kirchen, ich liebe die Menschen, ich glaube an Gott». – Dies mein bescheidener Versuch, weiterzudenken, vielleicht in die richtige, vielleicht in die falsche Richtung …

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