Mit exzellenter Virtuosität und präzisem Rhythmus begeisterten der Akkordeonist Mario Batkovic und das Berner Symphonieorchester BSO die Zuhörenden im ausverkauften Casinosaal mit zwei abendfüllenden Konzerten. Uraufgeführt wurde Batkovics viersätziges Hommage an die Stadt Bern mit dem Titel «Brenodor».
«Über ds Chrüz» hiess die vierteilige Konzertserie, die das BSO in Kooperation mit dem Casino Bern durchführte. Nach Lo & Leduc (2019), gefolgt von Philipp Fankhauser (2022) sowie Sophie Hunger (2023) konzertierte am Auffahrtswochenende 2024 der talentierte Akkordeonist, Komponist und Arrangeur Mario Batkovic im grossen Casinosaal.
Mit ungewohnten Musikpaarungen versuchten die Organisatoren, Genre-Grenzen zu sprengen und neue künstlerische Wege zu begehen. Die Verbindung zwischen Klassik und Pop, zwischen grossem Symphonieorchester und renommierten Neuzeit-Solisten darf als geglückt bezeichnet werden. Das Experiment entpuppte sich als Win-Win-Win-Erlebnis: Win für die Klassiker, Win für die Pop-Solisten und Win für das erschienene Publikum.
Vom Autodidakten zum Profi
Der Akkordeonist in Aktion.
Mario Batkovic wurde 1980 in Serbien geboren und kam während des Bürgerkriegs Anfang der 1990er Jahre in die Schweiz. Das Akkordeonspielen hatte er schon als Kind autodidaktisch gelernt.
Nach der obligatorischen Schulzeit in Bern studierte er an den Hochschulen für Musik in Basel und Hannover. Einen Namen gemacht hat sich der Akkordeonist, Sänger und Komponist inzwischen als Mitglied der Berner Mundartband «Kummerbuben». 2017 wurde er Bandmitglied bei «Stiller Has», auf deren Album «Endosaurusrex» er sechs der zwölf Stücke komponierte.
Filmmusik ist eine seiner Spezialitäten. Batkovic schrieb die Musik für mehrere Dokumentar- und Spielfilme, unter anderem für «Unser Garten Eden» von Mano Khalil sowie für «Der Imker» des gleichen Regisseurs. Last but not least war der eingebürgerte Schweizer einer von mehreren Komponisten, welche die Musik für das Computerspiel «Red Dead Redemption 2» (2018) schrieben.
Lateinische Bezeichnungen
Im Berner Casino kommen am Freitagabend Solostücke für Akkordeon, ein Arrangement für Symphonieorchester sowie eine Auftragskomposition für Orchester und Akkordeon zur Aufführung. Erstaunlicherweise tragen die Kompositionen keine englischen, sondern lateinische Namen wie «Aberratio» (Verirrung), «Ineunte Finis» (bis zum Ende hingehen, gemeint ist sterben) und «Somnium» (Traum). Die von Streichern, Bläsern, Schlaginstrumenten und dem Akkordeon erzeugten Töne haben wenig gemeinsam mit den sonst im Casinosaal gespielten Werken. Sie wirken wie Klangbilder aus einer anderen Welt. Batkovic selber wirkt trotz eines akuten Rückenleidens erstaunlich präsent.
Ein starker Beat, durchsetzt mit feinen Rhythmen, ist eines der Markenzeichen seiner Kompositionen. So trommelte der Musiker mit seinen Fingern minutenlang auf die Tasten seines Akkordeons, ohne den Balg zu bewegen. Die Klangerzeugung wird von den Bläserinnen und Bläsern des BSO übernommen, die mit angemessener Kraft ihre Ventile und Klappen bewegen, worauf auch die Streicher einsetzen und mit ihren Bögen auf die Saiten ihrer Instrumente klopfen. Aus dem präzis koordinierten Rhythmus, exakt dirigiert von Rolf Sochaczewsky, wächst plötzlich ganz leise ein harmonischer Klang, der sich verbreitet, immer lauter wird und schliesslich vom ganzen Orchester übernommen wird. Der über dem Konzertsaal hängende Nebel trägt viel zur mystischen Stimmung bei.
Zwischen Autoparkplatz und Mondlandschaft
Konzert, Performance, Lightshow.
Zeitweise ist die BSO-Veranstaltung mit seinem Gast mehr als ein Konzert, wird zur Performance, zu einer Light-Show: Vier farbige Scheinwerfer sowie 26 runde Deckenlampen verwandeln die sechs Säulen über dem Orchester in Gold, Blau, Rot. In meinem Kopf entstehen Bilder eines griechischen Tempels, eines Wunderwaldes, eines verlassenen Autoparkplatzes in der Nacht, einer öden Mondlandschaft. Schliesslich ist auch die gebirgige Ebene «Mordor» aus dem Monumentalfilm «Herr der Ringe» Vater meines Gedankens.
Zwischen den Violinen und den Kontrabässen entsteht ein Dialog, den die Bratschen mit einem Solo überdecken. Batkovic übernimmt mit seinem Akkordeon den Rhythmus und die Leidenschaft. Durch seine linke, dann durch seine rechte Hand strömt wechselweise Energie. Scheinbar in Trance verzieht sich sein Gesicht zu einem kindlichen Grinsen. Mit geschlossenen Augen steuert der Solist auf einen neuen Höhepunkt zu, bevor er unverhofft die Augen öffnet und das Publikum mit seinem Schalk erfreut.
«Peng – das moderne Bern»
Ralf Sochaczewsky dirigiert die Entwicklung Berns von der keltischen Zeit in die Moderne.
Höhepunkt des Abends ist die Uraufführung seiner ersten Sinfonie «Brenodor». In vier Sätzen liefert Batkovic die musikalische Interpretation der Engehalbinsel, nördlich von Bern gelegen, wo nach einer keltischen Siedlung einst eine römische Villa mit Thermalbad stand.
Der erste Satz erinnert an einen Wald, an keltische Scherben und römische Mosaike. Im Mantra des zweiten Satzes wird das «ewige Leben» beschrieben, bevor im dritten Satz das Leben ausklingt und ins Sterben übergeht. «Peng – das moderne Bern» ist Thema des vierten Satzes, der das Publikum in die Aktualität zurück katapultiert. Darin hinterfragt der Komponist und Akkordeonist die Gegenwart – und sich selbst.
Minutenlange stehende Ovationen, Pfiffe der Begeisterung sowie Zurufe, wie man sie im Casinosaal sonst selten zu hören bekommt, sind der Dank des Publikums für einen monumentalen Abend. Die Musikerinnen und Musiker entschädigen den Enthusiasmus mit einer Zugabe, die Mario Batkovic mit einem alles durchdringenden höchsten Ton auf seinem Akkordeon krönt.
Titelbild: Das Berner Symphonieorchester (BSO) mit Mario Batkovic am Akkordeon; Dirigent Ralf Sochaczewsky. Alle Fotos © Bühnen Bern / Marvin Mears