Seit Generationen liebt oder verabscheut man in der Schweiz den Brotaufstrich namens Cenovis. Hergestellt wird das Kultprodukt bestehend aus Bierhefe und Gemüse im baselbieterischen Arisdorf.
Wer Bier braut, der weiss: da fällt Brauereihefe an. Ein «Abfallprodukt», das man früher höchstens als Futtermittel genutzt hat. Vor mittlerweile 93 Jahren hat sich im aargauischen Rheinfelden ein gewitzter Braumeister namens Alex Villiger Gedanken darüber gemacht, ob es womöglich nicht etwas Sinnvolleres gebe, was man mit dieser Brauereihefe anfangen könnte. Seine Idee: Weshalb nicht diese Hefe mit Gemüseextrakten mischen und diese als Brotaufstrich verwenden?
Ja, wieso eigentlich nicht. Eben. Im Frühjahr 1931 war es so weit: Die Erfolgsrezeptur für die Marke Cenovis war geboren. Eine Rezeptur übrigens, die bis heute unverändert geblieben ist. So sind es mehrere Generationen bisher, die mit Cenovis auf dem Tisch aufgewachsen sind: Auch unsere Mutter hat uns von Kindsbeinen an Cenovis-Brötli gestrichen. Schon bald wussten wir Kinder, dass diese am besten sind, wenn die Schicht Cenovis auf der Butter so hauchdünn wie nur möglich aufgetragen ist.
Wechselvolle Geschichte
Weil Cenovis ein Produkt mit viel Protein, Mineralstoffen und Vitaminen ist, erhielten die Schweizer Soldaten ab 1955 eine Tube Cenovis in ihre Notration. 20 Jahre später – wir schreiben das Jahr 1978 – war der würzige Brotaufstrich dann nicht nur bei Coop, sondern auch bei Migros im Angebot.
Die ersten Aktionäre von Cenovis waren Bierbrauereien. Allen voran war es die Brauerei Salmenbräu, die 1971 in die Hände der Sibra-Holding (später Cardinal) geriet und später – ab 1991 – in der Rheinfelder Feldschlösschen-Gruppe aufging. Und Feldschlösschen selber wurde gleich nach der Jahrtausendwende durch den dänischen Brauereiriesen Carlsberg geschluckt.
Heute ist das Bier aus Rheinfelden mit 42 Prozent Marktanteil das meistgetrunkene hierzulande, vor Bieren des holländischen Konzerns Heineken (20 Prozent). Aber mittlerweile gibt es in der Schweiz wieder über 1200 Klein- und Kleinstbrauereien, die eine grosse Vielfalt an Bieren herstellen und meist lokal vertrieben und getrunken werden. Aber das – die heimische Bierlandschaft – ist eine andere, nicht minder spannende Geschichte…
Gegründet wurde Cenovis also in Rheinfelden nur unweit der Bierbrauerei Salmen. 1999 wurde die Marke von einem Genfer Financier erworben, doch die Produkte wurden nach wie vor in der eigenständigen Firma Sonaris AG produziert. Anno 2003 erfolgte der Umzug von Rheinfelden nach Arisdorf ins Gebäude eines ehemaligen Getränkehändlers. Doch erst eine Handvoll Jahre später, 2008, gelang es den Besitzern von Sonaris, der Familie Reimann, die Marke zurückzukaufen. Mit diesem Rückkauf war die Firma samt Marke und Herstellung wieder zurück in der Region Basel.
Kleiner, aber feiner Kleinbetrieb
Geleitet wird das Traditionsunternehmen von Jürg Reimann (47). «Ich bin von Kindsbeinen an mit Cenovis verbunden», sagt er bei unserem Besuch. Auch, weil sein Vater Christian Reimann die Schwesterfirma Sonaris zunächst als Betriebsleiter, später auch als Eigentümer leitete. Jürg Reimann lernte zunächst Chemielaborant, bevor er sich in Wädenswil ZH zum Lebensmittelingenieur weiterbilden liess. 2013 kam er zu Cenovis und 2015 trat er in Vaters Schuhstapfen.
Die zwölf Mitarbeitenden – in Vollzeit umgerechnet seien es gut deren acht Stellen – produzieren jährlich rund 60 Tonnen Cenovis. In verschiedenen Ausführungen, als Brotaufstrich, als Flüssigwürze und diverse Würzmischungen, gelangen die Produkte in den Verkauf. Jürg Reimann zählt drei Standbeine der Firma auf: Neben den Cenovis-Produkten (erhältlich im Detailhandel) werden auch Würzmischungen, Bouillon, Flüssigwürze und Salatsaucen für die Gastronomie produziert (dies unter der Bezeichnung Sonaris). Drittes Standbein sei die Auftragsproduktion zum Beispiel für die Industrie.
Die Romands lieben Cenovis
Die Cenovis-Produkte gehen zum grossen Teil in die Schweiz, weil nur hier die Markenrechte bestehen. Ein kleiner Teil der Produktion wird unter einer anderen Marke nach Frankreich geliefert.
Hierzulande ist das würzige Cenovis mit einem Bekanntheitsgrad von 80 Prozent vor allem in der Romandie verbreitet. Weshalb dies so ist, darauf kann sich Reimann keinen Reim machen. «In der Deutschschweiz liegen wir bezüglich Bekanntheit klar darunter». Recht gut bekannt ist Cenovis bei der älteren Kundschaft. Deshalb habe man derzeit bei der Werbung primär die Zielgruppe der Jungen im Auge. Und dies, so Reimann, «funktioniert am besten über die sozialen Medien. Tatsächlich macht der derzeit erfolgreichste TikToker, «Thispronto» (mit bürgerlichem Namen Oluyami Scherrer) mit dem Schweizer Kultprodukt Cenovis gemeinsame Sache: Hier wird das Produkt auf unterhaltsame Art und Weise in Szene gesetzt. Zu sehen sind kurze Rezeptvideos, lustige Challenges und Empfehlungen von Schweizer Creators, wie man die Gewürzpaste am besten in der Küche integriert.
100 Prozent pflanzlich
Der traditionelle Brotaufstrich bleibt so, wie er seit jeher ist und beliebt ist. An diesem Grundsatz wird Jürg Reimann nicht rütteln. Hingegen wird in den Räumlichkeiten von Cenovis hie und da getüftelt, ob es noch andere Anwendungs- und Darreichungsformen gibt. Auf die Frage nach einem Beispiel nennt der Geschäftsführer die Mischung von Butter und Cenovis. Aber: «Hier stellt sich die Frage nach der Haltbarkeit und schon kommen Zusatzstoffe ins Spiel.» Doch genau das will man bei Cenovis nicht. Reimann: «Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, ohne jegliche Zusatzstoffe zu arbeiten!»
Nicht so radikal ist man bei Cenovis, was Bio anbelangt. Der Grund ist einfach, wie Jürg Reimann erklärt: «Bio ist kein Thema, weil es sehr aufwändig wäre, die Bio-Brauhefe von der herkömmlichen Brauhefe zu trennen, zumal auch viel zu wenig Bio-Hefe vorhanden ist.» Auch Menschen mit Zöliakie bleibt der Konsum von Cenovis wegen der Gluten verwehrt. Immerhin, sagt Reimann: «Cenovis ist 100 Prozent natürlich und vegan – wir werden uns um das V-Label bemühen.»
Die Bilder zeigen ein altes Werbesujet von Cenovis, Geschäftsführer Jürg Reimann in der Produktion und das Betriebsgebäude in Arisdorf. Fotos Robert Bösiger und zVg.
Cenovis & Konsorten
Die dunkelbraune, eiweisshaltige Lebensmittelpaste namens Cenovis wird nur in der Schweiz vertrieben und (in einer kleinen Menge und unter anderem Namen) in Frankreich. Hergestellt wird Cenovis von der heutigen Cenovis AG in Arisdorf BL nach traditioneller Rezeptur aus Bierhefe, Zwiebeln und Karotten.
Cenovis ähnelt dem englischen Marmite, dem brasilianischen Cenovit und dem australische Vegemite.
Cenovis besonders in meiner Kindheit in der Küche beliebt. Sei es als Brotaufstrich mit Butter, Frischkäse oder Quark und Schnittlauch, sei es als Pesto mit Oliven, Knoblauch, Olivenöl, Zitrone, Tabasco und frischen Kräutern oder einfach als Saucenwürze für Fleischgerichte in der Pfanne. Während der Schulzeit, als meine Gspähnli mit Vorliebe Brot mit dick Butter und Zucker bestrichen vertilgten, stibitze ich heimlich Cenovis ab der Tube, irgendwie brauchte ich das. Das Salzig-Würzige bevorzuge ich noch heute und bin dankbar, dass uns neben der Ware mit massig Zusätzen aus dem Ausland, ein natürliches, gesundes und in der Schweiz produziertes Würzmittel wie Cenovis zur Verfügung steht.