Das neuenburgische Dorf Môtiers ist Heimat der «Grünen Fee». Im «Maison de l’Absinthe» wird die Geschichte des mystischen Getränks, von der Erfindung bis zur heutigen Vermarkung, erzählt. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Verbot zwischen 1910 und 2005.
Im Vergleich zu anderen alkoholischen Getränken wie Gin, Rum, Kirsch, Wodka, Whisky oder farbigenn Likören geniesst Absinth auch heute, knapp zwanzig Jahre nach Aufhebung der Prohibition, noch immer ein Schattendasein. Mit einem Museum, täglichen Degustationen, einer «Route de l’ Absinthe» und einem jährlichen Fest versuchen die Produzenten im Val-de-Travers dies zu ändern.
Degustation der «Grünen Fee» im Museum.
Das Absinth-Museum in Môtiers ist im ehemaligen Gerichtsgebäude, ironischerweise über dem historischen Polizeiposten, untergebracht. Die Ausstellung macht deutlich, dass Absinth nie wirklich aus dem Val-de-Travers verschwunden war.
Alte Fotos erzählen die wechselvolle Geschichte der «Grünen Fee»: Um den Destillationsprozess zu verschleiern und den Alkoholgeruch zu überdecken, verbrannte man während der Prohibition Autoreifen oder rührte stundenlang in Jauchegruben. Das fertige Produkt wurde in wiederverwendeten Ananasdosen versteckt.
An der Bar sind heute 28 Absinthsorten aus 17 lokalen Destillerien zu bewundern. Alle Flaschen tragen wunderschöne Etiketten, verziert mit Feen, Jugendstilornamenten oder Kopien historischer Plakate. Die meisten Hersteller der Gegend produzieren einen klaren Schnaps. Es gibt aber auch etliche grüne Sorten.
Medizin gegen Magenbeschwerden
Als Erfinder des Absinth vermutet man den französischen Arzt Pierre Ordinaire. Während der französischen Revolution zog er aus dem französischen Jura in die Schweiz und betätigte sich im neuenburgischen Dorf Couvet als Landarzt. Bei Magenbeschwerden verabreichte er seinen Patientinnen und Patienten ein selbstgebrautes, hochprozentiges Absinthelixir. Ob er die Mixtur wirklich erfand oder einfach nur die alte Rezeptur des Absinthweines der Familie Henriod mit hochprozentigem Alkohl aufputschte, kann heute nicht mehr genau geklärt werden.
Das Getränk wird aus Wermutkraut (Foto), Anis, Fenchel, einer je nach Rezeptur unterschiedlichen Reihe weiterer Kräuter sowie Alkohol hergestellt. Foto Wikipedia.
Absinth ist ein hochprozentiger Kräuterschnaps und enthält immer den echten Wermut sowie grünen Anis (pimpinella anisum). Manchmal ist auch römischer Wermut, Zitronenmelisse, Fenchel und oft auch Ysop enthalten. Wermut wirkt anregend auf die Verdauung. Früher fand das Kraut auch Verwendung als Wurmmittel. Im Volksmund wurde es u.a. daher «Wurmtod» genannt.
Vom Heilelexier zum Genussmittel
Nach dem Tod des Landarztes verkaufte die Familie Henriod die Rezeptur an die Familie von Henri Louis Pernod, der die erste Absinth-Brennerei im Tal aufbaute. Sie begannen mit einer Tagesproduktion von 15-16 Litern. Da hauptsächlich nach Frankreich verkauft wurde, verlegte die Familie die Produktion nach Pontarlier. Der Nachfrage nahm zu – und somit auch die Produktionsmengen.
Populär bei Fremdenlegionären
Frankreichs Armee bestellte grosse Mengen für ihre Soldaten im Krieg – ob Mittel gegen Würmer oder als ‹Versüssung› der Kriegsalltages ist nicht mehr bekannt. Man hoffte, damit Krankheiten vorzubeugen oder schlechtes Trinkwasser (z.B. auf Schiffen) zu neutralisieren. Gelungen ist dies mit dem Getränk vermutlich nicht. Was aber sicher ist: Die Soldaten fanden Geschmack daran und tranken es auch noch nach ihrer Heimkehr in die Heimat.
Historische Absinth-Flaschen und Gläser aus der Belle Epoque.
Ab 1860 etalierte sich in französischen Grossstädten wie Paris und Marseille die sogenannte „grüne Stunde“, die „heure verte“. In der Öffentlichkeit Absinth zu trinken, galt damals als chic. Heute nennen wir das Ritual «Apéro». Auf den Tischen der Bars und Cafés der Pariser Boulevards wurden zwischen 17 bis 19 Uhr hohe Wasserbehälter mit mehreren Hähnen aufgestellt. Den servierten Absinth verdünnten die Gäste mit Eiswasser nach Gutdünken.
Trinkritual mit Zucker
Absinth-Glas mit traditionellem Löffel. Foto Wikipedia.
Sie legten den speziellen, spachtelförmigen und gelochten bzw. geschlitzten Absinthlöffel auf das Glas und belegten ihn mit einem Stück Zucker. Dann öffneten sie den Eiswasserhahn vorsichtig, so dass das Wasser ganz langsam auf den Löffel herabtropfte. In jedem Wassertropfen löste sich etwas Zucker auf. Der süsse Tropfen fiel in das darunter stehende Glas und hinterliess im Absinth eine neblige Spur, bis das gewünschte Mischverhältnis und die spezielle milchige Färbung erreicht waren.
So kam der hochprozentige Kräuterschnaps in Frankreich vor allem in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert zu grosser Popularität. Zwar wusste man schon, dass der uneingeschränkte Konsum von Absinth nicht harmlos war. Man munkelte in den Pariser Lokalen von Einweisungen in Psychiatrische Kliniken. All dies schien aber die Popularität des feenhaften Getränks nur noch zu erhöhen.
Das «Maison de l’Absinthe» in Môtiers (NE).
Absinth und die Künstler
Viele Künstler und Schriftsteller waren der «Grünen Fee» zugetan: Für sie war Absinth nicht nur ein Getränk, sondern oft auch Muse für ihre Künste. Und so haben etliche Kunstschaffende ihre Erlebnisse oder Beobachtungen in ihren Werken verewigt, sei es als Gedicht oder auch als Bild.
Oscar Wilde war ein grosser Liebhaber der «Grünen Fee*. Ein Zitat von ihm: «Das erste Stadium (des Absinth-Trinkens) ist wie normales Trinken, im zweiten fängt man an, ungeheuerliche, grausame Dinge zu sehen, aber wenn man es schafft, nicht aufzugeben, kommt man in das dritte Stadium, in dem man Dinge sieht, die man sehen möchte, wundervolle, sonderbare Dinge.»
Farbige Etikette: Van Gogh-Absinth.
Charles Baudelaire färbte sich angeblich seine Haare der «Grünen Fee» zu Ehren grün. Er lobte die Wirkung des Absinths und benutzte das Getränk begeistert gegen seine Schreibblockade. Pablo Picasso «blaue Phase» soll massgeblich vom Absinth inspiriert worden sein.
Nach Ernest Hemingway wurde ein Absinth-Drink benannt: «Death in the Afternoon.» Sein Werk ‹Wem die Stunde schlägt› soll unter Einfluss von Absinth entstanden sein.
Vincent van Gogh könnte sich sein Ohr nach übermässigem Absinth-Genuss abgeschnitten haben, wird kolportiert. Paul Gauguin soll in seinem Gepäck nach Tahiti einen grossen Vorrat an Absinth dabei gehabt haben. Henri de Toulouse-Lautrec malte ein sehr schönes Portrait von Van Gogh beim Absinth-Trinken. In die Farben soll er angeblich auch Absinth gemischt haben.
Der Alkoholgehalt der «Grünen Fee» beträgt heute zwischen 40 und 50 Prozent. Vor 150 Jahren soll er bis zu 80 Prozent betragen haben. Als der Absinth-Konsum Ende des 19. Jahrhunderts ausser Kontrolle geriet, wurde das Getränk in der Schweiz 1910 mittels Volksinitative verboten. Die Katholische Kirche und die heimische Bierindustrie waren wichtige Treiber dafür.
Plakat 1910: Der Tod der «Grünen Fee» kam in der Person des Pfarrers.
Als Argument für ein Verbot wurde ins Feld geführt, Thujon, der im Absinth enthaltende Bestandteil des ätherischen Öls des Wermuts, sei ein Nervengift und löse Halluzinationen sowie Depressionen aus. Heute weiss man, dass nicht Thujon, sondern der hohe Alkoholgehalt und die zweifelhafte Qualität zu Gesundheitsproblemen sowie Todesfällen führten. Das Absinth-Verbot wurde sogar in der Verfassung verankert. In der Folge wurde Absinth auch in einer Reihe europäischer Staaten (in Frankreich 2014) sowie in den USA verboten.
Protest gegen Doppelbödigkeit
Ein Auslöser für die Wiederzulassung war der Staatsbesuch des französischen Präsidenten François Mitterand im April 1983: Zur Krönung des Banketts liess die neuenburgische Regierung als Dessert ein kaltes Soufflé servieren, dem «Soufflé Glace à la Fée» nicht unähnlich. Ein anwesender Journalist rief überrascht aus: „Ist Absinth nicht verboten?“ Den Koch habe das nicht beunruhigt, heisst es, denn er wusste, dass sich in dem Dessert kein Absinth befand. Trotzdem entstand in der Bevölkerung der Eindruck der Heuchelei: Die Regierenden konsumierten Verbotenes, während der einfache Mann für dasselbe bestraft wurde. Es entstand länderübergreifende eine regelrechte Bewegung zur Legalisierung des Getränks.
Ausstellung im Museum: Absinth in der Malerei.
1999 wurde das Verkaufsverbot für Absinth in der EU aufgehoben. Am 13. Juni 2004 hob auch die Schweiz in einer Volksabstimmung die Prohibition auf. Seit dem 1. März 2005 darf Absinth in unserem Land wieder frei hergestellt, verkauft und konsumiert werden. Allerdings bleibt der Thujongehalt reglementiert (maximal 35 mg/kg bei über 25 % Vol.), und auch der Gehalt an Alkohol darf laut Gesetz nicht höher als 45 Prozent sein.
Alkoholkonsum in der Schweiz
14,1 Prozent der Schweizer Bevölkerung trinkt gar keinen Alkohol. 9,4 Prozent trinken täglich Alkohol. 50,9 Prozent konsumieren mindestens einmal wöchentlich Alkohol. Rund jede fünfte Person in der Schweiz konsumiert Alkohol risikoreich. Und wie verteilt sich der Alkoholkonsum auf die verschiedenen Getränke?
Bier hat in der Schweiz einen Anteil von 32 Prozent, Wein 48 Prozent und Spirituosen 19 Prozent. Der Anteil von Absinth ist gesamtschweizerisch sehr klein. In der Westschweiz, speziell in den Kantonen Neuenburg, Jura und Waadt, liegt er aufgrund der Tradition etwas höher. Der Pro-Kopf-Konsum der Schweizerinnen und Schweizer befindet sich im europäischen Vergleich auf Rang 34 von 45 untersuchten Ländern (Zahlen: Bundesamt für Statistik).
Titelbild: Im Maison de `l’Absinth in Môtiers wird die Geschichte der «Grünen Fee» erzählt. Alle Fotos PS.
Am kommenden 1. Juni findet im Val-de-Travers das traditionelle Absinth-Fest statt.
LINK zum Maison/Museum:
In meiner Familie war das «Gletscherwasser», wie es meine Mutter nannte, Tradition. Der originale Kräuterschnaps wurde mit gelochtem Löffel und einem Würfelzucker, der mit Eiswasser beträufelt ins Absinthglas floss, zum Apéritif oder als Digéstif getrunken. Heute gibt es den klaren Kräuterschnaps überteuert beim Grossverteiler. Die günstigeren Produkte haben viel zu viel Zucker und schmecken nicht nach den ursprünglichen Kräutern aus dem Val de Travers.
Dass die «grüne Fee» als weibliche Verführung von der Katholischen Kirche verunglimpft wurde und schliesslich fast 100 Jahre nicht mehr offiziell konsumiert werden durfte, ist typisch für die herrschende Diskriminierung der Frauen noch im 19. Jahrhundert. Dabei waren es nicht die gesunden Kräuter sondern der hohe Alkoholgehalt und der Missbrauch, der die Männer «verrückt» machte.