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Paartanz der Ikonen

Die Fondation Beyeler ist in diesem Sommer nicht der ruhige Hort exklusiver Kunstausstellungen: Die gewohnte musealfeierliche Wahrnehmung wird auf die Probe gestellt. Die Schau zeitgenössischer Kunst «Cloud Cronicles» und der Saal mit tanzenden Skulpturen bringt den Renzo Piano Bau samt Park in lebendige Unruhe.

Regelmässig wird etwas umgehängt oder neu placiert, fast wie in den Galerie-Kojen der Art Basel, wenn ein Interessent ein wertvolles Stück erwerben will. Die Galerie hat ja mehr Kunstwerke, als im Schaufenster gezeigt werden können. Die Art Basel lädt vom 13. bis 16. Juni 2024 neben der kaufkräftigen Klientel aus der halben Welt auch die weniger begüterten Kunstfreundinnen und Kunstfreunden ein. Und die Stadt Basel und ihre Museen putzen sich heraus.

Ein blauer Warhol wird am blauen Seerosenteich von Claude Monet und blauen Wolken von Gerhard Richter vorbeigefahren.

Der Sonntagsstaat der Fondation Beyeler in diesem Jahr ist freilich gar nichts statisches, da werden die eleganten Hallen und der stille Park lebendig und veränderbar – je nach Besuchstag anders. Die gute Idee für das Publikum: Das Ticket ist zweimal gültig, denn anzunehmen ist, dass die Skulpturen und Bilder nicht mehr da sind, wo sie beim ersten Besuch waren.

Der bekannte Hase von Thomas Schütte taucht aus dem Kunstnebel  von Fujiko Nakaya auf.

Fest verankert ist die kaum sichtbare Installation der 91jährigen Japanerin Fujiko Nakaya, fest installiert und doch immer wieder anders: die Nebel, die auch bei Schönwetter Bäume, Skulpturen und Installationen samt dem Bau wabernd umspielen, verhüllen, wieder zum Vorschein kommen lassen. Der Riesenhase von Thomas Schütte, den man beim Museumsbesuch durch die grosse Fensterfront im Norden je nach Jahreszeit anders erfährt, bekommt mit dem Nebel neues Leben eingehaucht, oder auch: unsere Wahrnehmung wird herausgefordert, bekannte Dinge neu zu sehen.

Im Ballsaal 1: Mademoiselle Pogany II von Brancusi parliert mit Lothar von Giacometti

Die unerwartet flexible Präsentation von berühmten Bildern und Objekten aus der Sammlung, die das Kunsthändlerpaar Ernst und Hildy Beyeler einst in die Stiftung überführten, überrascht und verblüfft so, dass die Werke grosser Meister einem frisch und neu begegnen, wie wenn man damals, als sie zu Lebzeiten der Maler ausgestellt waren, dabei gewesen wäre.

Eine Bilderzeile, die so gehängt wohl einmalig bleibt: Bilder von Vincent van Gogh, Ferdinand Hodler und Max Ernst.

Da werden Mondrian, Kandinsky und Roni Horns Eulen Rahmen an Rahmen in eine Zeile gehängt, oder Monets Seerosen und eine seiner Kathedralen umschliessen ein Wolkenbild von Gerhard Richter. Oder Hodlers Genfersee findet sich als Nachbar von Max Ernsts Humboldt Strom wieder. Einige dieser Kombinationen stecken voller Humor.

Ballsaal 2: Ungleiches Tanzpaar aus gleichem Material. Der Schreitende von Alberto Giacometti mit der statischen Skulptur von Jacques Lipchitz

Dennoch geht es nicht um Kraut und Rüben, da ist kein Zufallsgenerator am Werk, hinter den raffinierten Präsentationen steckt Konzept- und Denkarbeit. Zunächst das Joint Venture zwischen der Fondation Beyeler und der Luma-Stiftung von Roche-Erbin Maja Hoffmann mit dem Ziel, eine experimentelle Ausstellung zeitgenössischer Kunst einzurichten. Das siebenköpfige Kuratorenteam setzt sich aus vier Direktoren und Kuratorinnen bekannter Häuser zusammen.

Dynamik im Ausstellungssaal: Passt das noch zu den andern an dieser Wand?

Dazu sind drei Künstlerinnen und Künstler beteiligt, die gemeinsam das Projekt angehen, einen «lebenden Organismus» über den ganzen Zeitraum zu schaffen, wobei «Verstrickungen integraler Bestandteil des kreativen Prozesses» sind, wie Philippe Parreno und Precious Okoyomon, zwei der drei Kunstschaffenden im Team festgestellt haben. Der dritte, Tino Seghal, hat Konzepte zum Umgang mit der Sammlung entwickelt. Natürlich hat auch Sam Keller, der langjährige Foundation-Direktor mitkuratiert, an seiner Seite unter anderen der bekannte Kunstvermittler Hans Ulrich Obrist.

Dieser Wharhol muss noch eine Wand finden.

Dreissig Mitwirkende zählt die Namensliste, neben bildenden Künstlerinnen auch Dichter, Architekten und Musikerinnen, Komponisten und Wissenschaftler. Ein abwechslungsreicher Sommer in der Fondation Beyeler mit einer wandelbaren Ausstellung und vielen Gesprächen, Führungen, Performances ist garantiert, für Besuchende ist zuvor etwas auswählen Programm.

Ballsaal 3: Zweimal Thomas Schütte: Die Dritte Schwester (links) im Tête-à-tête mit Walser’s Wife. Foto: Stefan Bohrer

Neues Sehen von Altbekanntem wird in einem «Ballsaal» zum spannenden und witzig-humorvollen Erlebnis: Figuren sind paarweise einander zugewandt – wie auf dem Tanzboden, bevor die Musik wieder einsetzt. Ein golden aufgeblasener Jeff Koons lässt sich mit einem drahtig-amorphen Tinguely ein, die lebensgross schreitende Giacometti-Bronze geht zielstrebig auf einen statischen dicken Jacques Lipchitz zu, der ihn mit grossen Augen anguckt, während am Eingang eine Duane Hanson Figur im Übergewand eine Arbeitspause einlegt. Undsoweiter.

Ballsaal 4: Goldenes Kücken von Jeff Koons und ein typischer Tinguely mit Elektromotor. Foto: Stefan Bohrer

Darf man so unverfroren mit den Ikonen der modernen und zeitgenössischen Kunst umgehen? Wo bleibt da der Respekt vor den grossen Werken des 20. Jahrhunderts? Sie halten das locker aus, wenn sie in ungewohnten Kombinationen aufgestellt oder gehängt werden, ihr Wert bleibt auch in einem an ein Kinderspiel mit Puppen und Gegenständen wie Steinen oder Fadenspulen erinnerndes Set ungeschmälert – selbst wenn die eine oder andere Kombination – vielleicht der ganze Ballsaal – zum Lachen reizt.

Vor allem ist diese ungewöhnliche Ausstellung ein Lernspiel für das Training der Wahrnehmung von Kunstwerken, welches einen am Ende fröhlich beschwingt den Ort der für einmal ganz anders sortierten Kunst entlässt.

Membrane nennt Philipp Parreno seine Kybernetische Struktur mit sensomotorischen Fähigkeiten und generativer Sprachverarbeitung.

Titelbild: Blick in den Ballsaal. Foto: © R.+ E. Bühler
Alle
abgebildeten Werke sind urheberrechtlich geschützt. © 2024, ProLitteris, Zürich.
Fotos: R.+ E. Bühler

Bis 8. August
Alles wichtige für Ihren Besuch der Ausstellung finden Sie auf der Website

 

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