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Poesie der Linie

Das zeichnerische Schaffen der Schweizer Künstlerin Silvia Bächli wird weltweit wahrgenommen. Mit der Ausstellung «Dass eins zum andern wurde. Welches welches ist?» gibt das Kunst Museum Winterthur einen Einblick in Bächlis künstlerischen Werdegang.

«Dass eins zum andern wurde. Welches welches ist?». Poetisch ist nicht nur der Ausstellungstitel, auch Silvia Bächlis Zeichnungen sind es. Die Textzeile stammt aus einem Gedicht der amerikanischen Lyrikerin Elizabeth Bishop (1911-1979). Ein Gedicht, in das zu Beginn der Schau hereingehört werden kann, englisch und deutsch. Im gleichen Raum ist auch Bächlis jüngste Arbeit Draht. Eine Serie mit elf Landschaftsfotografien, die sich aneinanderreihen und im Zentrum durch eine horizontale Linie verbunden werden.

Silvia Bächli, Ohne Titel, 2023, 2-teilig

Das Thema horizontale und vertikale Linie geht Silvia Bächli zwischen Zeichnung und Malerei immer wieder neu an. Seit 2001 arbeitet sie an grossformatigen Papierbogen mit sich überlagernden, feingliedrigen Lineamenten. Sie benutzt Gouache, die sie durchscheinend bis deckend in Rotbraun, Blau- und Grüntönen oder Schwarz aufträgt. Mit jedem Pinselstrich entsteht eine durchgehende fliessende Linie wie eine Lebensader. Aus der Vielzahl der behutsam aufgesetzten Linien bilden sich lebendige monochrome Farbfelder. Die einzelnen Pinselstriche erzeugen unregelmässige Leerstellen am Rand, die im Bild mitschwingen, ebenso bei Installationen aus zusammengesetzten Blättern.

«Farbfelder», 2022. Installation aus mehreren Blättern

Die wandfüllende mehrteilige Arbeit Lange rote Linien (Nr. 10) von 2022 besteht aus mit breitem Pinsel aufgetragenen parallelen Horizontallinien. Die neun roten Gouache-Linien ziehen sich über zweimal vier Blätter hin. Diese mit sparsamen Mitteln geschaffene Arbeit entfaltet eine starke Präsenz. «Die Blätter sind wie Skulpturen», meint die Künstlerin, «sie ragen unterschiedlich weit in den Raum hinein. Die weissen Wände gehören untrennbar zum Bildfeld.» Auf Lange rote Linien antwortet ein Ensemble von mehrheitlich vertikal strukturierten Blättern in Grün- und Brauntönen aus flüssig aufgetragener Gouache.

Blick in die Ausstellung, «Lange rote Linien (Nr. 10)», 2022. Foto: KMW

Am Ende jedes Ausstellungsraumes fällt ein Werk auf, das die Formensprache des nachfolgenden Raumes vorwegnimmt. Silvia Bächli plante die Schau im Modell mit massstabgerechten Bildern. Auch die Auswahl der Zeichnungen für eine Tisch-Vitrine, die von allen Seiten aus betrachtet werden kann. Solche Tisch-Installationen kreiert sie seit 1996. Dafür vereint sie bis zu fünfzehn Blätter aus ihrem Fundus zu kleinen Sammlungen und legt diese archivartig in flache Glasvitrinen. Ihre Arbeiten sichtet und bewertet sie immer wieder neu und erklärt: «Die Zeichnung ist das wohl direkteste Mittel, um Gedanken und Eindrücke festzuhalten. Ich kann ausprobieren, spielen, weiterentwickeln, neue Dinge versuchen.»

Silvia Bächli, Modell zur Ausstellung. Foto: KMW

Seit den späten 1970er Jahren entwickelt Silvia Bächli ihr zeichnerisches Schaffen kontinuierlich. Zwischen 1983 und 2003 legte sie regelmässig kleinformatige Zeichnungen für sich beiseite. Aus dieser Sammlung publizierte der Verlag Lars Müller 2004 unter dem Titel Lidschlag ihre wichtigsten Arbeiten. Für die Winterthurer Schau wählte die Künstlerin aus jedem dieser Jahre eine prominente Zeichnung, die ihre künstlerische Entwicklung sichtbar macht. Technisch nutzte sie Acryl- und Filzstift, Ölpastell und Ölkreide sowie Gouache auf Papier. Thematisch reichen die Darstellungen von inneren Bildern, zu figurativen und abstrakten, über Architekturen, Landschaften bis zu Textfragmenten.

Blatt aus der Serie «Lidschlag», 1985. Acryl und Filzstift auf Papier

Die Künstlerin betritt mit den seit 2019 entstandenen kleinen Skulpturen, die auf einer hohen Tischplatte präsentiert werden, Neuland. Es sind mehrfach abgekantete Gipsobjekte, die stellenweise bemalt sind. Neben- und übereinandergestellt bilden sie eine Art Landschaft vor dem Museumsfenster mit Blick auf einen Baum. Es scheint, als ob sich aus Silvia Bächlis Zeichnungen kleinformatige Skulpturen in die dritte Dimension entwickelt hätten.

Tisch mit 13 Skulpturen, 2019-2023, Gips, mit Gouache bemalt

Bächlis Vorliebe für Arbeiten auf Papier geht in ihre Kindheit zurück. Geboren wurde sie 1956 im aargauischen Baden. Heute arbeitet sie in Basel. In einem Interview erzählt sie, dass ihr Vater als Schriftsetzer beim Badener Tagblatt arbeitete. Immer wenn sie ihn dort besuchte, durfte sie einen Stapel Papier mitnehmen. Da sie gerne zeichnete, wurde Papier zu ihrem bevorzugten Material: «Man muss nichts vorbereiten, man fängt an, und wenn es nichts wird, kommt es eben in den Papierkorb. Diesen Vorteil von Papier nutze ich noch heute.»

Fotos: Kunst Museum Winterthur und rv

Bis 18. August 2024
«Silvia Bächli, Dass eins zum andern wurde. Welches welches ist?», Ausstellung im Kunst Museum Winterthur / Beim Stadthaus. Weitere Informationen hier
Katalog zur Ausstellung, Hrsg. Konrad Bitterli, mit zahlreichen Abbildungen, Snoeck Verlag, Köln, 2024, CHF 35.00

 

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