Gar drei Gipfel-Treffen gab es in der vergangenen Woche. Die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin. Die Konferenz der G7-Staaten in Borgo Egnazia, in einem Luxusresort im süditalienischen Apulien. Die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock, hoch über dem Vierwaldstättersee. Nicht dabei war an allen drei Orten Russland, das Land Putins. Das muss den Herrn in Kreml derart ärgern, schon lang geärgert haben, so dass er mit allen Mitteln versuchte, so viele Staaten wie nur möglich davon abzuhalten, in die Innerschweiz zu reisen. Nichts fürchtet er mehr, als dass er weltweit für das verurteilt wird, was er anstrebt: ein Eurasien von Asien bis an den Atlantik. Dass er verurteilt wird dafür, dass er als ersten Schritt dazu, völkerrechstswidrig die Ukraine angegriffen hat, die er letztlich in die Knie zwingen will. Zu sehr giert er um ein weltweites Verständnis dafür, dass er mit allen Mitteln versucht, die alte Sowjetunion, die UdSSR in den Grenzen nach dem zweiten Weltkrieg wieder auferstehen zu lassen, damit sie darüber hinaus Einfluss erhält, in Demokratie, Gesellschaft, Religion nach seiner Façon.
Ich stehe vor einem Zeitungsständer in Greve, einem Städtchen in der Provinz Florenz, und bin etwas erstaunt, wie positive Schlagzeilen die italienische Presse für ihre Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gesetzt hat: Sie habe den G7-Gipfel in Bari meisterlich präsidiert. Die Italiener mögen offensichtlich ihre Regierungschefin, obwohl sie von ganz rechts kommt. Ich erstehe mir die Wochenzeitung «Die Zeit», weil ich gerne etwas Lesestoff für das Wochenende haben möchte. Ich betrete den äussern Raum des vollbesetzten Caffé Le Logge, sehe den wohl letzten freien Platz an einem Zweiertisch, frage höflich, ob ich mich hinsetzen darf. «Prego», sagt der elegante Herr. Ich lege Die Zeit auf den Tisch, bestelle einen Cuba libre, vertiefe mich in die Zeitung, lese den Kommentar über die Europa-Wahlen von Giovanni di Lorenzo, dem Chefredakteur der Zeit. Er schreibt, dass es ihn erstaunt, wie die Politiker ohne ernsthafte Reaktionen mit dem Rechtsrutsch umgehen, einfach so, als wäre nichts geschehen, wie sie einfach zur Tagesordnung übergehen würden. Ausser Emmanuel Macron, der französische Staatspräsident, der sofort Neuwahlen angeordnet hätte. Plötzlich spricht mich der Herr vis-a-vis an. «Die Zeit, wissen Sie, dass Sie eine linksradikale-Zeitung lesen?» Ich schaue auf, bin erstaunt, dass er mich deutsch anspricht und eine solche Frage stellt. «Wenn Sie Die Zeit für eine linksradikale Zeitung halten, dann bin ich wohl auch ein Linksradikaler», entgegne ich und folgere: «Die Zeit ist doch im besten Sinne eine liberale, gut gemachte, bestens geschriebene deutsche Wochenzeitung.» Er lässt nicht locker: «Wenn Sie das nicht merken, ist Ihnen nicht zu helfen. Die Journalisten der Zeit glauben an den Klimawandel, setzten sich für gigantische Windräder ein, verschandeln die Landschaft, wollen gar weitreichende Lenkwaffen wie den Taurus an die Ukraine liefern, den Krieg verlängern. Selbst die neutrale Schweiz hat sich mit ihrer sogenannten Friedenskonferenz auf die Seite der Kriegstreiber, der USA gesetzt.» Ich merke, dass ich zunehmend ärgerlich werde, ihm eine Standpauke halten möchte. Halte mich zurück, frage ihn dennoch, ob er AfD wähle? «Noch nicht, das nächste Mal wahrscheinlich schon.» Schon Angela Merkel habe ihn mit ihrer sozialdemokratischen Politik geärgert, noch sei er CDU-Mitglied. Aber auch Friedrich Merz bringe es nicht. Ich versuche, die Friedenskonferenz in der Schweiz zu verteidigen. Er hat genug. Ohne ein Wort steht er auf und geht. Ich sitze wie belämmert da. Was habe ich falsch gemacht, bin ich ihm zu nahe getreten?
Zweifellos: Ohne den steten Dialog geht es nicht. Wie im beschriebenen ganz kleinen, zufälligen Kreis, genauso auch in ganz grossen Runden, wie an der Konferenz, die am Wochenende auf dem Bürgenstock stattfand. Wie wurde im Vorfeld darüber geschrieben, wie wurde die Initiative der Schweiz klein geredet, bevor sie überhaupt stattfand. Wie wurde aufgerechnet, dass sie zu viel koste, aber nichts bringe, gar gefährlich für die Schweiz sei und ihre Neutralität sein könnte.
Immerhin 80 Nationen haben die Schlusserklärung unterschrieben, Indien und Brasilien stehen noch abseits, auch Saudi Arabien als neutrales Land, das gerne die nächste Runde organisieren möchte, verzichtete darauf, zu unterschreiben. Die Unterzeichner-Staaten verurteilen den Angriffsktieg Putins. Und die Erklärung enthält drei explizite Punkte: Atomanlagen sind zu schützen, Angriffe auf Handelsschiffe und zivile Häfen sind nicht annehmbar und ukrainische Kriegsgefangene sind frei zu lassen, verschleppte Kinder in die Ukraine zurückzuführen.
Das tönt nach wenig. Putin wird zudem herausgreifen, was ihm nützt, und frohlocken, dass es so wenig sei und die Ukraine weiterhin angreifen, die Infrastruktur so schädigen, damit es dem Land an die Substanz geht. Er wird Kriegsverbrechen in Kauf nehmen, um zu erreichen, was er seit über zwei Jahren will: die Ukraine unter seine Herrschaft bringen und darüber hinaus. Auf dem Bürgenstock nahm seinen Anfang, was jetzt zwingend fortgesetzt werden muss: der Dialog über alle Grenzen hinweg. Und einig waren sich alle auch: Das geht nur mit Russland und den noch abseits stehenden Ländern wie China, Indien, Brasilien. Viola Amherd und Ignazio Cassis machten mutig den Anfang, auch wenn sie sich bei den Vorbereitungen ab und zu auch alleine fühlen mussten. Dass sie alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumten, alle Bedenkenträger ins Leere laufen liessen, ist gut so, ist ihnen zu verdanken. Im steten Dialog zum Frieden.
Einen Cuba Libre würde ich gerne einmal mit Ihnen trinken Herr Schaller, natürlich begleitet von einer anregenden Diskussion über Gott und die Welt. Ihr Erlebnis mit dem unbekannten Mann im Caffé le Logge hat mir zu denken gegeben. Ich frage mich, warum wir bei Diskussionen mit Menschen die eine andere Meinung haben, sofort in eine Abwehrhaltung mit Beweiserklärung geraten? Das Ergebnis oft, das Gespräch eskaliert oder bricht ab.
Die Gästin bei Sternstunden Philosophie vom letzten Sonntag, die Neurowissenschaftlerin Maren Urner meint, viele Menschen seien Gefühlsanalphabeten. Die Gefühls- und Denkebene könne man nicht von einander trennen. Männer haben damit ja besonders ihre Probleme. Zuerst müsse man erkennen, dass man Gefühle habe und einsehen, dass diese genauso zu uns gehörten, wie der Intellekt. Also man(n) ist nicht schwach oder unmännlich, wenn man sich seine Gefühle eingesteht, im Gegenteil. So weit, so einleuchtend und für mich eigentlich nichts Neues. Doch die Beispiele für unsere Kommunikation, die Frau Urner bringt, sind überraschend und logisch zugleich.
Da wird Ihr unerfreulicher Dialog im Caffé für mich relevant. Ein Beginn des Dialogs auf der Gefühlsebene hätte einen emotionalen Zugang zum anderen möglich machen können und das Gespräch wäre auf der sachlichen Ebene womöglich in eine befriedigendere Richtung verlaufen. Maren Urner meint, Gefühle seien die Grundlage unseres Denkens und Handelns. Sie fordert eine emotionale Reifeprüfung für Politiker und ein Ministerium der Liebe. Ich kann die Sendung mit Maren Urner und Moderator Ives Bossart nur empfehlen und hoffe, dass Sie Ihren Aufenthalt in der schönen Toskana trotzdem geniessen können.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/emotionale-analphabeten-maren-urner-die-politik-muss-mehr-ueber-gefuehle-reden
Nach seiner erfolgreichen Tätigkeit als Journalist, Fernsehmoderator und Politiker sowie Chefredaktor der Tagesschau, sehe ich bei Anton Schaller zweifellos ein grosses Mass an emotionaler Intelligenz. Seine fundierten Kommentare im Seniorweb-Newsletter sowie persönliche Gesprächen anlässlich von ZRF-Veranstaltungen, haben mich in dieser Ansicht bestätigt.
Sie haben in ihrem Kommentar das sehr interessante Interview mit Frau Maren Urner angesprochen, nun frage ich mich aber schon, was hat Anton Schaller falsch gemacht? Er hat das Gespräch nicht gesucht und hatte auch nicht die Absicht sein Gegenüber persönlich zu kritisieren. Fehlte es da eventuell nicht seinem Gegenüber genau an dieser emotionellen Intelligenz? Im Gegensatz zur Theorie ist so ein zufälliges Treffen eben dann halt Praxis!
Eines möchte ich klarstellen Herr Odermatt, ich halte Herrn Schaller nicht für einen Gefühlsanalphabeten. Ich schätze ihn als wortgewandten, sachlich beeindruckenden Kommentator mit menschlich überzeugenden Darstellungen seiner Texte.
Der unbekannte Mann am Tisch, so wie ihn Herr Schaller schildert, hatte wohl einen schlechten Tag und nutzte die Gelegenheit, seinen Frust an der Politik, wahrscheinlich an der Deutschen, an einem ihm fremden Mann abzulassen, nur weil dieser eine linke Zeit las. Herr Schaller reagierte nachvollziehbar mit seinem Bekenntnis für diese Zeitung, was anscheinend sein Gegenüber erst recht in Rage brachte und ihn zu einem tonlosen Abgang veranlasste.
Meine Überlegung war, wie wäre das Gespräch verlaufen, wenn Herr Schaller nicht auf die Provokation eingegangen wäre, also stattdessen z.B. zurückgefragt hätte, warum dieser deswegen so aufgebracht sei, also seine Gefühle angesprochen hätte. Das meint Maren Urner mit «auf der Gefühlsebene kommunizieren». Indem wir auf persönliche Angriffe mit Abwehr und Rechtfertigung reagieren, was mir übrigens auch passiert, vergeben wir die Chance, das Gegenüber und seine Beweggründe besser kennen zu lernen um ev. im weiteren Verlauf des Gesprächs auf der Sachebene und auf Augenhöhe weiter diskutieren zu können.
Frau Maren Urner, Neurowissenschaftlerin, Professorin für Medienpsychologie und Bestsellerautorin meint, Gefühle sind die Grundlage unseres Denkens und Handelns. Ich meine, diese Aussage ist eine Überlegung wert.