… sind politisch tragfähige Lösungen möglich. Ist man versucht zu sagen, wenn man sich an den Mann erinnert, der in der letzte Woche 100 Jahre alt geworden wäre? Die NZZ versuchte eine politische Annäherung an den Mann, der so viel bewegte und sich selbst. Er sass 16 Jahre im Bundesrat. Ich hatte das Privileg, ihn dabei während 13 Jahren journalistisch zu begleiten. Wir stritten uns, wir hatten drei Rencontre, die es in sich hatten. Ich sass ihm gegenüber, als er in Genf seinen grössten politischen Auftritt zelebrierte, als er 1985 das Treffen Reagan/Gorbatschow organisiert und moderiert hatte, die Herren das Maison de Saussure, das Palais am Genfersee, verlassen hatten, der denkwürdige Gipfel zu Ende war. Kurt Furgler (1924-2008) reckte sich und stiess hervor: „Es ist vollbracht “und schaute dabei auf die Uhr. Schnell wurde der kleine Konferenzsaal, in dem die drei konferierten und Weltgeschichte geschrieben hatten, von emsigen Händen zu einem Interviewraum umgestaltet. Furgler schaute selbst, dass er auch beim Abschluss-Interview im rechten Licht zu sitzen kam. Nichts fürchtete er mehr, als dass eine Kamera ihn von hinten ablichten konnte, seine beginnende Glatze zum Vorschein kam. Nichts, aber auch gar nichts überliess er dem Zufall. Sehr ernst lobte er das Ergebnis. Die Annäherung zwischen den Weltmächten USA und UdSSR, die Reduktion der Atomwaffen, die Friedensleistung der Schweiz. Er prophezeite einen langanhaltenden Frieden, wies daraufhin, dass epochale Ànderungen uns erreichen könnten. 1989 fiel tatsächlich der eiserne Vorhang. Perestroika und Glasnost, wer erinnert sich noch, waren die Stichworte dazu, geprägt von Michael Gorbatschow, auch in Genf bereits von ihm angedeutet.
Ich stieg im Bundeshaus aus dem Lift. Kurt Furgler inmitten einem Tross von Bundeshaus-Journalisten. „Da kommt er ja“, rief er laut und stürzte auf mich zu: „Was sich ihr Kollege Mark-Roland Peter gestern Abend in der Tagesschau geleistet hat, das geht auf keine Kuhhaut.“ Ich weiche zurück: „So nicht, Herr Furgler. Das ist nicht der Ort für eine Aussprache“. „Ja, dann kommen Sie heute Abend in mein Büro.“ Angekommen erklärte er mir, dass der Jurakonflikt nicht von einem berntreuen Journalisten behandelt werden dürfe, der sei Partei. Der habe unterschlagen, dass er im Parlament auf die Waffen, auf die Gewalttätigkeit der beiden Kontrahenten (Béliers und Sangliers) hingewiesen, Beweise gezeigt habe. Wir setzen uns in eine kleine Nische im grossen Büro. Er reibt die Hände und weiht mich sachte ein, dass seine Frau grosse Angst um ihre Familie und ihn habe. Es gäbe ernstzunehmende Bedrohungen. Seine Frau parke ihren kleinen Mini immer direkt vor dem Bundeshaus-Eingang, so dass sie sich schnell im Schutz des Bundeshauses befinde. Er müsse jeweils das Auto wegparkieren. Er steht auf, schreitet zum Bürotisch, nimmt die beiden Äpfel, die da liegen, und sagt: „Die beiden Äpfel hat mir meine Frau heute morgen mit auf den Weg mitgegeben. Ich gebe sie Ihnen, als Dank für das gute Gespräch.“ Marc Roland Peter war kein Thema gewesen.
Es war am 24. Dezember 1980. Bundesrat Furgler hatte sich angemeldet für die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten 1981. Wir nehmen auf. Die erste Version dauerte beinahe 30 Minuten, eloquent und frei gesprochen. Das schon. Ich interveniere. Zürich hat 12 Minuten vorgesehen. Ich kann 15 Minuten schicken, das werden sie schlucken, aber nicht 30 Minuten. Es beginnt ein mehrstündiges Ringen, um jeden Satz, um jedes Wort. Die Neuverteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Kantonen ist ihm derart zentral, gar heilig, so dass wir nicht weiter kommen. Ich rufe zu Hause in Zürich an, dass die Weihnachtsfeier um Stunden verschoben werden müsse. Irgendwie schafften wir es dann doch, in der Zeit zu bleiben. Am 26. Dezember rief er an, dass er eine neue Version aufnehmen wolle, aber in St. Gallen. Wir organisieren einen Reportage-Wagen, fahren in die Gallus-Stadt. Im Hause Furgler sind wir nicht wirklich willkommen. Die Tochter Claudia nimmt mit der Mutter Reissaus: „Selbst an Weihnachten lässt das Amt uns nicht in Ruh“. Wir produzieren, schneller als erwartet. Und er lädt im Januar die ganz Crew zu einem Nachtessen ein.
Für Willy Ritschard war der Umgang mit Kurt Furgler alles andere als einfach. „Der Kurt will immer alles ganz gross“, umriss Ritschard mit seinen grossen Händen das Wirken seines Bundesratskollegen. So verabredeten sich Hans Hürlimann, Fritz Honegger und eben Willy Ritschard immer wieder unter einander, um ein Gegengewicht zum Vorwärtsstreiber Furgler zu schaffen. Und er machte vorwärts. 135 Gesetzesvorlagen brachte der umtriebige Justizminister in seiner Amtszeit auf die Reihe. Gesetzesänderungen, die noch heute von Bedeutung sind.
Unter der aktuell polarisierten Politik von heute kommen Reformen nur noch über die politische Bühne, wenn sie aus der Mitte kommen. Wenn überhaupt. Es fehlt schlicht ein Kurt Furgler.
In der Tat: Furgler war ein grosser Bundesrat, durch und durch CVP, aber ohne jegliche ideologische Scheuklappen. Bei Geschäften, die seiner innern Ueberzeugung widersprachen, trat er korrekterweise in den Ausstand.
Er stritt sich trefflich mit seinen Bundesratskollegen, aber auch mit CVP Generalsekretär Fagagnini; immer mit Anstand.
In seinen Präsidialjahren hörte man ihn oft über BBC und andere ausländische Sender den Standpunkt der Schweiz vertreten. Seine hervorragende Intelligenz und sein Wort wurden auch dort ernst genommen.
Möglicherweise wären die Fichenaffäre und insbesondere die Affäre um die nachrichtelosen Vermögen mit weniger Kollataralschäden bewältigt worden, wenn Furgler 1997 noch im Bundesrat gewesen wäre.