Wir, die Alten, bestens altersversorgt, sitzen auf der Tribüne, schauen einem Politschauspiel zu, bei dem wir aktiv mitbestimmen können, obwohl uns die Reform gar nicht mehr betrifft. Leider sind nicht alle über 65-Jährigen mit auf der Tribüne der Privilegierten: Rund 300 ‘000 Rentnerinnen und Rentner sind auf AHV-Ergänzungsleistungen angewiesen, um über die Runden zu kommen. Viele könnten von den Ergänzungsleistungen profitieren, verzichten aber darauf, weil sie niemandem etwas schuldig bleiben wollen. Eingeladen sind wir zum Politschauspiel zur Reform der beruflichen Vorsorge BVG, welche am 22. September zur Abstimmung gelangt. Der Abstimmungskampf ist lanciert.
Bereits werden wir mit Zeitungsartikeln, Interviews, Stellungnahmen, Positionsbezügen eingedeckt, die, statt erhellen, vor allem zur Konfusion beitragen, weil sie Interessen gebunden zu einem Ja oder Nein animieren sollen. Um was geht es eigentlich? Zentral ist, dass die Vorlage nur den obligatorischen Teil des BVG neu regelt. Der wichtige überobligatorische Bereich bleibt, wenn auch nicht ganz, quasi aussen vor. Die Vorlage reduziert als Kernvorschlag den Umwandlungssatz von 6.8 auf 6%, schliesst zudem nun auch tiefere Einkommen ein und bietet Zusatzleistungen für die Übergangsgeneration während 15 Jahren an und versucht, den Transfer von Jung zu Alt aufzuschliessen. Und nicht zuletzt geht es um die Besserstellung der Frauen in der Altersvorsorge und um die der Teilzeitbeschäftigten. Als die Frauen beim Renteneintrittsalter den Männern auf 65 Jahre gleichgestellt werden sollten und auch wurden, war gross angekündigt worden, dass bei der Revision des BVG endlich die Frauen dran seien; sie sollen aufholen können. Denn ihre Renteneinkommen würden statistisch betrachtet weit über 30% tiefer ausfallen als die bei den Männern.
So weit, so gut. Besonders stossend ist aber, dass viele, viel zu viele Fragen offen sind. Die wichtigste: Wer profitiert und wer muss gar mit tieferen Renten rechnen? Diese Unklarheiten führen zu bizarren Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern. Ein Wort steht dabei im Mittelpunkt: alle. Die NZZ geisselt den Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB, welcher das Referendum ergriffen hat, weil er zugespitzt damit wirbt, dass alle mit der Kleinreform weniger Renten erhalten werden. Was in Bezug auf die Reform tatsächlich falsch ist, aber für das BVG insgesamt, mit dem überobligatorischen Bereich, gar nicht so daneben ist.
Wir, die Alten, welche in ihrem Berufsleben anständig, sagen wir gut oder über der Norm verdienten, bilden die erste Generation, welche von den drei Säulen der Altersvorsorge ganz profitieren konnte und immer noch kann. Unsere BVG-Renten sind gesetzlich gesichert. Das haben wir unseren Müttern und Vätern zu verdanken, welche die AHV elfmal reformierten, welche dem 3-Säulen-Prinzip 1972 zustimmten, eine Altersvorsorge mit dem BVG (1985) auf den Weg brachten. Eine Altersvorsorge, der auch im Ausland Respekt gezollt wird.
Zur Blüte kam das BVG bereits 1998. Ich sass damals im Zürcher Kantonsrat, als der Regierungsrat «Beitragsferien» für die Zürcher Pensionskasse (damals Beamten-Versicherung des Kantons BVK) beantragte, weil die Kasse derart voll war, so dass der Kanton als Arbeitgeber Millionen sparen konnte, die Mitarbeitenden vorübergehend 7,5% mehr Lohn auf ihren Konten hatten.
Als meine Generation so in den 2000 -2010 Jahren in Pension ging, konnte sie – auch ich – noch mit einem Umwandlungssatz von 7,2% auf das gesamte angesparte Kapital rechnen. Seitdem befindet sich der Umwandlungssatz im Überobligatorium im Abwärtstrend. 2008 erschütterte die Finanzkrise die Weltwirtschaft. Die Aktienkurse blieben volatil. Die Sicherstellung der versprochenen Renten, die durch die Erträge aus dem Riesenberg von etwa 1100 Milliarden Franken an angespartem und angelegtem Kapital erwirtschaftet werden müssen, ist äusserst anspruchsvoll. Eine Aufgabe, die sich die Finanzindustrie mit Milliarden abgelten lässt. Die genaue Höhe der Beträge, welche für den obligatorischen als auch für den überobligatorischen Bereich aufgewendet werden müssen und die Pensionskassen jährlich belasten, sind jetzt im Sinne eines fairen, faktenbasierten Abstimmungskampfes offen zu legen. Und um zu verstehen, warum der Umwandlungssatz bei den meisten Pensionskassen im überobligatorischen Bereich bei etwa 5% liegt und gegen 4,5% tendiert, obwohl sich die Refinanzierung wieder etwas verbessert hat, ist höchste Transparenz angesagt.
Es ist unser verbriefte Aufgabe, selbst wenn wir auf der Tribüne sitzen, über die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder, über ihre gesicherte Altersvorsorge mitzubestimmen. Mehr noch: Es ist unsere Pflicht, mit den kommenden Generationen zusammen eine Altersvorsorge zu etablieren, die immer wieder reformiert, immer wieder den Gegebenheiten angepasst, den wirtschaftlichen und sozialen Umständen entsprechend optimiert werden kann. Unsere Mütter und Väter haben das geschafft. Unsere Generation und nicht zuletzt die Verantwortlichen in der Politik sind den Beweis noch schuldig geblieben. Wir haben aufzuholen.
Eine fundierte Auseinandersetzung mit der Vorlage lohnt sich. Denn es ist zu befürchten, dass auch diesmal im Bundesbüchlein die vielen offenen Fragen nicht faktenbasiert beantworten werden. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider sagte an ihrer Medienkonferenz, als sie das Ja der Landesregierun begründete: «Wenn sie es genau wissen wollen, wenden sie sich doch an ihre Pensionskasse». Voilà. Machen wir uns also selbst kundig, in dem wir uns mit den Argumenten der Befürworter sowie der Gegner und insbesondere mit den Stimmen der Frauen von links und rechts mit kritischer Sonde auseinandersetzen. Die Diskussion ist eröffnet.
Tatsächlich gibt es keine bessere Auskunftsquelle als unser jährlicher PK-Ausweis. Doch vor allem gehen Sie auf die Arbeitnehmervertretung Ihrer PK los. Sie sind es, die Ihre Interessen wahrnehmen, und die Ihnen die finanziellen Auswirkungen dieser BVG-Reform auf Ihre zukünftigen BVG-Beiträge und Ihre Rente aufzeigen können. Es ist eben schon so, dass die PK Ihrer Firma eine individuelle Altersversicherung ist, die sich durchaus von anderen unterscheiden kann, auch bei gleichen Löhnen oder gleicher Beitragszeit.