Der schweizerisch-kanadische Autor und Fotograf Peter A. Dettling erzählt in seinem neuen Buch «Wolfsdynastien. Eine wahre Geschichte aus dem Herzen der Alpen», wie der Wolf – eine Wölfin – in die Schweizer Berge einwanderte und damit andauernde Kontroversen auslöste.
«Gemäss Angaben des Berner Bauernverbands hat ein Wolf innerhalb von fünf Tagen seit Anfang Juli in der Gegend um Boltigen im oberen Simmental bereits acht Schafe gerissen. Der Verband forderte deshalb in einer Mitteilung vom Montag den Abschuss des Tiers.» Diese Nachricht konnten wir kürzlich in den Zeitungen lesen. Wie stets, seit der Wolf wieder durch die Schweizer Landschaften streift, werden nicht nur die Stimmen der Bauernverbände laut, sondern auch die Natur- und Tierschutzvereinigungen. Das ist kein rein schweizerisches Problem. In Deutschland beispielsweise und in Österreich wird ebenfalls über den Wolf und das Verhältnis der Menschen zu ihm gestritten – bis hin zum Europäischen Gerichtshof.
Der Wolf polarisiert
Gerade deshalb muss es als interessantes Unterfangen gelten, die Geschichte einiger Wolfsfamilien in der Schweiz zu schreiben. Denn Wölfe lieben es nun einmal, sich eher im Verborgenen aufzuhalten. Peter A. Dettling hat sich zudem ein ungewöhnliches Projekt vorgenommen: Er schreibt aus der Wolfsperspektive. Der Autor, der sich in Kanada und USA als Wolfskenner international einen ausgezeichneten Ruf erworben hat, lebt seit einiger Zeit wieder in seiner Heimat im Bündner Land und ist mit der hiesigen Forschung vertraut.
Ein Blick ins Buch (Foto mp)
Wenn wir das Buch das erste Mal zur Hand nehmen, fallen die wunderbaren Zeichnungen von Wölfen in verschiedensten Situationen ein. Der Autor ist nicht nur Schriftsteller, Naturfotograf und Filmer, sondern auch ein hervorragender Zeichner.
Ein Buch zum Lesen und Anschauen
Was sind die Voraussetzungen für ein solches Projekt? Bekanntlich sammeln Forschung und Naturschutz so viele Daten wie möglich, seit die ersten Spuren der Wiederkehr des Wolfs in der Schweiz entdeckt wurden. Die Wölfe sind also identifiziert. Die erste Wölfin, die wahrscheinlich aus den Savoyer Alpen in die Schweiz wanderte, trägt die wissenschaftliche Identifikation F07, der Vater ihrer Welpen trägt die Nummer M30.
Alle Tiere, von denen in diesem Buch die Rede ist, sind real, ob sie noch leben oder gestorben sind. Die weiteste Wanderung führte den Wolf Pelegrin (M237) von der Rheinquelle bis nach Ungarn, was sich durch Spuren und genetisch definierbare Merkmale belegen lässt. Beeindruckend! – Um die Erzählung lesbarer zu gestalten, erhalten die Tiere Namen, die sich auf ein persönliches Merkmal beziehen. Die «Urwölfin» in der Schweiz F07 nennt der Autor Halbmond, ihren Partner Luf. Die beiden sind die Begründer des sogenannten Calanda-Wolfsrudels, von dem wir in den Medien von Zeit zu Zeit hören.
Das wissenschaftliche Fundament
Für die Lesenden ist es leicht, sich in den Wolfsgeschichten zu orientieren, denn das Buch hat hinten eine ausfaltbare Doppelseite, in der die Rudel geografisch eingeordnet werden. Auf der Rückseite finden wir den Stammbaum der Wölfe im Rheinquellgebiet und die Protagonisten, von denen wir im Buch erfahren.
Von Wolfswelpen ist oft die Rede (Blick ins Buch, Foto mp)
Um aus der Wolfsperspektive erzählen zu können, muss der Autor nicht nur genug Wissen über Wölfe gesammelt haben, er muss sich auch gründlich mit deren Verhalten, ihrer Kommunikation untereinander und mit ihrer Umwelt auseinandergesetzt haben. Dafür ist Peter A. Dettling, wie erwähnt, bestens qualifiziert. Trotzdem ist es ein heikler Ansatz. Die Sprache der Wölfe besteht aus Lauten, Mimik und Verhaltensweisen, die den Tieren untereinander dienen. Gerüche tragen ebenfalls Informationen, die unmittelbar aufgenommen werden. – In menschliche Sprache lässt sich dies jedoch nur bedingt übertragen. Nicht erstaunlich, dass die Erzählung manchmal zwar gefühlvoll, aber etwas vermenschlicht klingt.
Verstehen wir Wolfssprache?
Der Autor beschreibt das Leben der Wölfe, indem er so nah an sie herangeht, als wäre er ein Filmemacher. Er erzählt in ruhiger, nüchterner Sprache, weckt unser Mitgefühl und beschreibt dramatische Szenen so, dass es uns Lesende mitreisst. Gleich zu Beginn berichtet Dettling von Halbmonds erster Begegnung mit einem Menschen – meistens heissen alle Menschen im Buch Zweibeiner -, eine traumatische Begegnung, die Halbmond in einem unruhigen Traum nochmal erlebt. «Von diesem Tag an traute Halbmond keinem Zweibeiner mehr über den Weg», lesen wir.
Dass die Kapitel relativ kurz gehalten sind, erleichtert die Lektüre. Wir können dem Leben der Wölfe gut folgen und erfahren viel über sie und ihr Verhalten unter den verschiedensten Umständen.
Das Buch ist auch für grössere Kinder und Jugendliche geeignet, die sich für das Leben der Wölfe interessieren. Dann empfiehlt es sich, dass Erwachsene mit ihren Kindern gemeinsam lesen, damit sie über die Lektüre sprechen können. – Eine Hymne auf den Wolf ist das Buch allemal!
Peter A. Dettling: Wolfsdynastien. Eine wahre Geschichte aus dem Herzen der Alpen. Weber Verlag 2024. 176 Seiten. ISBN 978-3-03818-537-6
Ein früheres Buch des Autors:
Peter A. Dettling: Wolfsodyssee. Weber Verlag. 2. überarbeitete Auflage 2021.
ISBN 978-3-03922-011-3
Titelbild: eurasischer Wolf / pixabay.com