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Otto Dix im Engadin

Otto Dix hat im Winter 1937/38 in Pontresina gelebt und gemalt, wie eine Ausstellung im Bündner Kunstmuseum nun zeigt. Er hat seinen Stil der Zwanziger Jahre radikal verändert, die expressionistisch-dystopischen Bilder aus der Zeit der Weimarer Republik sind Geschichte. Seine politische Haltung findet sich jedoch auch in diesen Landschaften. 

In der Sammlung des Bündner Kunstmuseums gibt es als Einzelstück der Engadiner Serie von Otto Dix das Bild San Gian im Winter von 1938. Für Kunstmuseumsdirektor Stephan Kunz war es ein Ansporn, dessen Geschichte und seinem Umfeld nachzugehen und schliesslich eine Ausstellung zu konzipieren: Otto Dix und die Schweiz. Kunz nennt das Ausstellungsprojekt, das er zusammen mit der Kunsthistorikerin Ina Jessen realisiert hat, in einem Gespräch «Hommage an ein Bild».

San Gian im Winter, 1938. Tempera auf Hartfaserplatte

Erstmals kann das Gemälde San Gian im Winter im Kontext einer Gruppe von Ölbildern aus jener Zeit gezeigt werden, in der Otto Dix nach einem Autounfall zur Erholung einige Monate in Pontresina verbracht hat. Wer durch die Räume geht, entdeckt in den Gebirgslandschaften des Oberengadins immer wieder das Motiv des Nadelbaums, der, jahrelang der Witterung ausgesetzt, noch nicht ganz Totholz ist. Mit den Bildern werden zahlreiche teils sehr feine Zeichnungen und Gouachen aus verschiedenen Sammlungen gezeigt. Regelmässig erscheint das Motiv des Nadelbaums – meist eine Lärche – im Vordergrund einer Eislandschaft oder als Hauptmotiv einer Zeichnung oder Skizze. Wie wenn diese des unwirtlichen und harten Klimas im Hochgebirge ausgesetzten Bäume in der kalten, leeren Landschaft letzte Zeugen des Widerstands wären. Hintergründig und doch lesbar formuliert Dix in diesen Bildern seine politische Haltung.

Gletscher im Engadin (Bernina Gletscher), 1938

Otto Dix, geboren 1891 in Thüringen, konnte dank eines Stipendiums in Dresden Kunst studieren. Während des 1. Weltkriegs unterbrach er seine Studien. Schon 1924 wurde der Meisterschüler an der Kunstakademie in Düsseldorf als bedeutender deutscher Gegenwartskünstler anerkannt, ehe er 1927 eine Professur an der Dresdner Kunstakademie als Nachfolger von Oskar Kokoschka übernahm, die er 1933 fristlos verlor. Sein Werk lehnten die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung radikal ab und 1937 wurden rund 260 seiner Arbeiten aus deutschen Museen beschlagnahmt und in der Propagandaaustellung Entartete Kunst diffamiert.

Ausstellungsplakat  «Sonderausstellung Otto Dix» Kunstsalon Wolfsberg, 1938

Otto Dix zog sich an die Südgrenze des deutschen Reichs, zunächst in den Hegau, dann an den Bodensee zurück, wo er 1969 starb. 1929 und nochmals 1938 konnte er im Kunstsalon Wolfsberg, Zürich, ausstellen, 1934 und 1956 organisierte der Kunstverein Schaffhausen Einzelausstellungen. Sein Wohnhaus in Hemmenhofen ist heute ein Museum.

Zwar musste Otto Dix, um den Schergen zu entkommen, nicht wie viele der jüdischen Malerinnen und Künstler ins Ausland emigrieren, aber sein Rückzug in den Süden, weit entfernt von den Kunstmetropolen Dresden und Berlin, war seine Möglichkeit zu emigrieren, als Mensch mit Familie und als Maler, der sich in einer inneren Emigration nochmals neu erfinden musste.

Mit der Machtergreifung änderte Otto Dix seine Malerei: Statt wie zuvor Krieg und Armut direkt anzuklagen, wurde seine Malerei hintergründig, statt in Schmerz und Todesangst schreiende Menschen darzustellen, malte er altmeisterlich und fand eine andere Lösung, sich von den Herrschenden zu distanzieren. Seine Landschaften haben nichts mit den bei den Nazi so beliebten Idyllen zu tun. Eins der wohl wichtigsten Gemälde jener Periode zeigt eine unheimliche Stimmung am Bodensee: Aufbrechendes Eis (mit Regenbogen über Steckborn), 1940. Risse in der Eisfläche, von Sprengungen herrührend, machen das andere Ufer, wo ein Regenbogen wie eine Art offenes Himmelstor den düsteren Himmel aufbricht, unerreichbar.

Aufbrechendes Eis (Mit Regenbogen über Steckborn), 1940. Mischtechnik auf Holz. 

Als er 1937/38 für ein paar Monate in Pontresina lebte, lernte er das Hochgebirge und das weite Tal des Engadins nach seinem geistigen Lehrer Friedrich Nietzsche als einmalig schöne und reiche Landschaft, als Sinnbild der ewigen Wiederkunft zu begreifen, nachdem ihm die Berge zunächst wie «wuchtige Schutthaufen» vorgekommen waren.

Mit dem Silberstift hielt er diese Region mit den weissen Gipfeln, den weiten Wäldern und kleinen Siedlungen rund um eine Kirche immer wieder fest, daraus sind im Atelier Aquarelle und Ölbilder entstanden. Einige Motive sind in der Churer Ausstellung als Zeichnung und Malerei nebeneinander zu sehen. Ergänzend zu den Engadiner Bildern ist ein grosses Plakat für eine Ausstellung im Kunstsalon Wolfsberg ausgestellt: Otto Dix hat die Christophorus-Legende als Motiv gewählt – auch das eine Rettung.

Skizze, Zeichnung, Aquarell: Kirche San Gian in Samaden im Engadin, 1938

Die Dix-Ausstellung in Chur ist Teil des in diesem Jahr laufenden schweizweiten Projekts Schau, wie der Gletscher schwindet. Die Begleitpublikation mit dem gleichen Titel wie die Ausstellung versammelt die im Oberengadin entstandenen Zeichnungen, Skizzen und Gemälde, dazu ein Aufsatz zur verschwundenen Büste von Friedrich Nietzsche, der einzigen Skulptur, die Otto Dix je geschaffen hat. In Aufsätzen der beiden Kuratoren Ina Jessen und Stephan Kunz wird das Werk des Künstlers nach 1933 eingeordnet.

Tal im Engadin (Blick auf Samaden), 1938

Zur Erhabenheit der hochalpinen Gebirge hat Otto Dix im Jahr 1943 geschrieben: «Du solltest doch mal auf einen Gletscher oder bis zu einem Gletscher gehen, es ist schon ein grosses urweltliches Erlebnis, und wer im Anblick dieser grossen Gewalten nicht an das Schicksal oder an Gott glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen. Eine kleine Drehung der Erdachse für 1000 Jahre, und das Land, das uns jetzt reich entgegenblüht, sieht so aus wie diese Eiswelt.»

Titelbild: Zwischen Samaden und St.Moritz, 1938. Mischtechnik auf Hartfaser
Alle Werke: © 2024, Pro Litteris Zürich

Bis 27. Oktober
Hier finden sie weitere Informationen zur Sonderausstellung Otto Dix und die Schweiz
Begleitpublikation: Otto Dix und die Schweiz. hg. von Ina Jessen, Stephan Kunz. Zürich, 2024, Scheidegger & Spiess. ISBN 978-3-03942-241-8

 

 

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