Gerti Homberger ist 90 Jahre alt, gebildet, sehr vermögend, aber trotz grosser Familie ziemlich allein. Wie aus einer rüstigen Seniorin mit fortschreitender Demenz ein von einem skrupellosen Betrüger manipuliertes Opfer wird, erzählt der Journalist und Dokfilmer Otto C. Honegger im Tatsachenroman «Der letzte Wille».
Es ist im Grunde kein Roman, dieses Protokoll eines sich über die Jahre hinziehenden Betrugs. Über weite Strecken sind es Dialoge zwischen den einzelnen Protagonisten. Otto C. Honegger rollt einen Fall auf, der sich zwischen 1989 und 2001 wirklich zugetragen hat, im Zürcher Oberland und Zürich. In Oswald Homberger, Neffe der Hauptperson Gerti Homberger und nachmaliger Beistand der alten Dame, lässt sich unschwer der Autor Honegger ausmachen. Zumal sogar in einem Gespräch festgehalten ist, dass sich der fiktive Beistand Homberger Notizen zum Fall gemacht habe, um später ein Buch über die Geschehnisse zu schreiben.
Es sind fast 400 Seiten Gesprächsprotokolle, ausführlich und mit so vielen, manchmal auch ziemlich unnötigen Details. So wird von einem Mittagessen in Hurden berichtet. Gerti, schon ziemlich dement, möchte zur Toilette gehen. Aber die Frau ihres Neffen und Beistandes, erklärt ihr, das müsse sie nicht, sie trage ja Pampers. Auf solche, völlig irrelevante und auch peinlichen Informationen möchten man als Lesende gerne verzichten.
Vermögend und zunehend dement
Nun aber zur Geschichte: Gerti Homberger wohnt in einer kleinen Wohnung in Zürich, wird nur selten von einem Mitglied ihrer grossen Familie besucht. Weihnachten, Geburtstage und weitere Feste feiert sie aber in Bauma, ihrem Geburtsort. Hombergers sind Textilfabrikanten. Gerti hat sich ihr Erbteil bereits früh auszahlen lassen und den stattlichen Betrag bei ihrer Hausbank zwar konventionell, aber solide angelegt.
Und dann kommt Dr. Peter Gattiker ins Spiel, ein eher glückloser Versicherungsvertreter. Er schmeichelt sich bei der alten Dame ein, verleitet sie – mit über 90! – zum Abschluss zweier Lebensversicherungen von je einer Million Franken und zum Kauf zweier Wohnungen. Er betont dabei immer die lukrative Anlage oder dann die Steuerersparnis – und Gerti Homberger ist ihm hilflos ausgeliefert. Gattiker gibt sich indes nicht mit den hohen Provisionen zufrieden, er setzt sich gleich selber als Nutzniesser der Finanzgeschäfte ein.
Als es der Familie dämmert, dass der aalglatte Gattiker kein guter Freund ihrer Verwandten, sondern ein durchtriebener Lügner und Betrüger ist, ist es schon fast zu spät. Gattiker hat sich auf alle Seiten hin abgesichert, mit gekauften ärztlichen Attesten, die der verwirrten Frau noch volle geistige Frische bescheinigen, mit Unterschriften und Schenkungsurkunden. Sogar als Heiratsschwindler versucht er sich, doch die alte Dame stellt trotz ihrer Demenz energisch in Abrede, dass sie den 50 Jahre jüngeren Gattiker jemals heiraten wollte.
Über den Tod hinaus
Im Oktober 1994 stirbt die hochbetagte Frau und jetzt geht es erst richtig los. Gattiker zaubert ein Testament aus dem Hut, das ihn als Alleinerben ausweist. Zwar können einige fragwürdige Transaktionen und Behauptungen geklärt werden, aber Gattiker kommt letztendlich mit einer Wohnung am Zürichberg und sehr viel ergaunertem Geld doch gut weg. Ende der traurigen Geschichte.
Wer sich jetzt fragt, ob all diese fiktiven Dialoge, die juristischen Erklärungen und überhaupt diese ganze Zusammenfassung eines eigentlichen Finanzskandals nicht unendlich langweilig zum Lesen sind, vergisst etwas: Hinter all dem steht ein Mensch, der wirklich gelebt hat, der alt und nicht mehr ganz zurechnungsfähig ist und sich deswegen so ausnehmen liess und einem falschen Freund vertraute. Hin- und hergerissen zwischen Vergessen und ganz kurzen lichteren Momenten erlebte die alte Dame ihre letzten Jahre unter grossem Druck – bis sie endgültig abschaltete und nur noch dahin dämmerte.
Und das macht, gerade für ältere Lesende, die ganze Tragik dieses Tatsachenromans aus. Da verliert ein sehr alter Mensch seine früher zwar nicht allzu enge, aber schöne Beziehung zu seiner Familie, seinen Willen, sein Vertrauen – und, sehr nachrangig, auch sein Vermögen. Und zu fürchten ist, dass es noch viele Gattikers gibt.
Erschütternd…
Wieso war die alte Dame einsam wenn sie doch eine grosse Familie hatte?
Gerade der Passus mit den Pampers finde ich wichtig-geht es doch hier um ein entwürdigendes Verhalten seitens der Frau ihres Neffen.
Der Erbschleicher ist zu verurteilen; ev. hat er ihr aber genau das gegeben was ihr die Familie vorenthielt.
Sie schreiben: …»Auf solche, völlig irrelevante und auch peinlichen Informationen möchten man als Lesende gerne verzichten»
Ich finde nicht, denn gerade eine solche Stelle zeigt mir als Lesende die unwürdige Art, wie mit der Frau umgegangen wird. Anstatt sie darin zu unterstutzen, solange als möglich selbständig zu bleiben, wird ihr das abgesprechen. Wie beschämend!
Vielleicht sollten Sie, die da Kritik übt, das nur für sich selber und nicht für die Lesenden allgemein, also auch für mich sprechen. So, wie ich hier auch nur meine Meinung zum Artikel kund tue.