Die „Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF)“ besucht Alters- und Pflegeheime in der Schweiz. In ihrem Bericht von 2023 stellt sie gravierende Mängel fest. Am häufigsten werde die Bewegungsfreiheit der Seniorinnen und Senioren durch mechanische und elektronische Massnahmen wie Bettgitter, Gurten an Rollstühlen und dergleichen eingeschränkt, ohne dass die gesetzlich angeordnete regelmässige Überprüfung dieser Massnahmen (Art. 383 ZGB) garantiert sei. Diese seien oft weder klar dokumentiert noch von einer Ärztin oder einem Arzt angeordnet.
Die Pflege von Menschen mit Demenz ist eine grosse Herausforderung – erst recht, wenn sie unter Zeit- bzw. Kostendruck und Personalmangel zu leisten ist. Aber es darf doch nicht sein, dass wir als Gesellschaft nicht mehr bereit sind, dieser vulnerablen Bevölkerungsgruppe eine respektvolle Pflege zuzugestehen! Ist es tatsächlich unvermeidlich, zu derart drastischen Massnahmen zu greifen, welche die Folterkommission als menschenrechtsverletzend einstuft?
„In Schweizer Pflegeheimen werden Hunderte Senioren ans Bett gefesselt“– Diese Schlagzeile des „Sonntagsblick“ (4.8.2024) wird zwar vielen Heimen nicht gerecht – aber ich hoffe, dass sie wenigstens dazu beiträgt, die Öffentlichkeit aufzurütteln. Denn sie bestätigt, was die Heime selbst und ihr Branchenverband mit Schulungen und Richtlinien zu bekämpfen versuchen. Dabei geht es nicht nur um die physische Einschränkung der Bewegungsfreiheit von verhaltensauffälligen Pflegeheim-Bewohnerinnen und -bewohnern. Dies bestätigt eine Untersuchung des Zürcher Arztes Dr. Max Giger in 600 Pflegeheimen der deutschen Schweiz. „Wenn man das Personal nicht hat, sind Medikamente das Billigste“, lautet sein Fazit.
Ruhigstellung, ob mit Medikamenten oder mit freiheitsberaubenden Massnahmen, sind für mich Formen der Gewalt. Wo bleibt die kantonale Aufsicht über die Heime? Und was sieht der Bund vor? Seit 2015, also seit bald 10 Jahren, läuft die parlamentarische Debatte zum Thema „Gewalt im Alter“.
Die VASOS fordert den Bund auf, nicht länger zu zaudern, sondern gemeinsam mit den Kantonen, Gemeinden und Heimen das vom Parlament beschlossene Impulsprogramm gegen Gewalt im Alter zu starten. Dazu braucht es mehr als ein paar Plakate, nämlich einen Aktionsplan, der wirklich wirkt. Damit die „Nationale Kommission zur Verhütung von Folter“ keine Menschenrechtsverletzungen in Heimen mehr anmahnen muss.
Bea Heim ist Präsidentin von VASOS
Endlich höre ich von jemand anderem, was ich mit meinem Vater und der Schwiegermutter erlebt habe!!! Alle haben mich beruhigt, das ist einfach so!!!! Es ist eine Schande, dass dies der Wirklichkeit entspricht in Zürcher Pflegeheimen!!! Kaum sind die Menschen im Pflegeheim, die jahrelang daheim gut gepflegt worden sind, herumlaufen und am Leben teilnehmen konnten, schlafen sie meist nur noch und sind kaum zu wecken!!! Es ist eine Schande und niemand hört es! Niemand glaubt es, niemand stört sich dran!!! Es geht nicht anders, wir haben zu wenig Leute!!! Und für das zahlen wir dann Tausende von Franken! Schlafend könnten die Alten noch lange daheim bleiben!!!verzeihen Sie!!! Es machte mich unendlich traurig! Niemand wollte mich hören!!!
Ich sehe es genauso – habe lange in der Langzeitpflege gearbeitet; immer wieder versucht anzumahnen, Veränderungen anzustossen, mich sehr unbeliebt zu machen bis zum Punkt, an dem ich vor lauter Selbstzweifeln und erfahrenem Gaslighting («Du siehst das zu eng», Das ist so gar nicht möglich bei unseren Prozessen», Herr xy übertreibt mal wieder»; «Diese Angehörigen sind einfach viel zu aufsässig in ihren Rückmeldungen» etc.) mit Burnout aufgab und kündigte. Es ist eine Schande, tatsächlich. Und fähige, empathische, kritische Mitarbeitende werden ausgebootet und schlecht gemacht. Die Fluktuation ist enorm.
Medigaben zur Ruhigstellung sind mehr als an der Tagesordnung. Und Massnahmen werden nie rechtlich abgeklärt und geprüft und evaluiert. Wer gerade Tagdienst hatte, konnte anordnen, was er wollte. Wenn ich den Arzt beiziehen wollte zur Evaluation und Überprüfung wurde abgewiegelt.
Es schockiert und es gibt wahrscheinlich nur eine Möglichkeit, sich nicht in solch unwürdige Zustände begeben zu müssen. Dies geht jedoch nur, wenn man dazu geistig noch in der Lage ist und auch den Mut dazu hat. Ich habe das in meinem Bekanntenkreis erlebt, und es ist sehr friedlich abgelaufen. Nichtsdestotrotz muss man ganz dringend diese Zustände in den Heimen verbessern. Die Mittel wären vorhanden, wenn man andernorts sparen würde.
Ihre Entrüstung über die Zustände an Schweizer Alters- und Pflegeheimen gemäss neustem Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), den ich über den Kanton Bern gelesen habe, teile ich voll und ganz. Aber entschuldigen Sie, diese Mängel und Menschenrechtsverletzungen kennt man doch schon länger und ähnliche Berichte Betroffener wurden schon vor Jahren public gemacht.
Ich informiere mich immer wieder auf den Plattformen der Institutionen, die sich politisch für uns Senior:innen starkmachen. Ich verstehe nicht, warum es nicht erfolgreichere Vorstösse im Parlament gibt, die solche unmenschlichen Praktiken, die hilflose Menschen am Ende ihres Lebens erdulden müssen, gesetzlich und praktisch einen Riegel schieben. Haben Sie eine Antwort?
Ich habe das Personal gebeten bei meinem Vater das Gitter raufzustellen, da er als er im Sterben lag immer sehr nahe an der Kante lag und ich nicht wollte, dass er noch rausfällt!