7 KommentareLebensbücher - Seniorweb Schweiz

Lebensbücher

Längst hat der sogenannte Bücherherbst begonnen. Die ersten ‘Herbstbücher’ erscheinen im Juli, die letzten so, dass sie gerade noch rechtzeitig auf dem Markt sind, wenn das Weihnachtsgeschäft beginnt. Im Jahr 2022 sind auf dem Schweizer Buchmarkt insgesamt über 12’800 neue Bücher. erschienen. Unmöglich also, da nur den Schimmer einer Übersicht zu behalten und auch als Vielleserin einigermassen à jour zu sein.

Ich weiss nicht, ob es mit dieser immer gewaltigeren Bücherflut zu tun hat oder einfach damit, dass ich älter werde: In letzter Zeit stehe ich oft vor meinem Bücherregal und überlege, welches der hier versammelten und bereits gelesenen Bücher ich nochmals lesen möchte. Es würde mich interessieren, ob es Ihnen auch so geht. Bei mir sind immer ungefähr zehn Bücher, die in die engere Wahl kommen. Diese zehn sind eine Art Lebensbücher. Damit wir uns richtig verstehen: Ich meine damit nicht Lebenshilfebücher, nur schon die Bezeichnung klingt für mich abschreckend. Ich meine damit Bücher, die mir eine Geschichte erzählen, von der ich nie genug bekomme, die ich immer wieder vernehmen will. Bücher, die mir eine Welt eröffnen, in die ich immer wieder eintauchen will. Gibt es auch für Sie solche Bücher? Wenn ja, verraten Sie mir die Titel, dann lege ich auch die meinen offen.

Der Schriftsteller Peter Bichsel, der im nächsten Herbst neunzig Jahre alt wird, ist überzeugt davon, dass die Menschen Geschichten brauchen zum Leben, ja, dass sie ohne Geschichten nicht überlebensfähig wären. Dabei versteht er unter Geschichten nicht Ereignisse, Sensationen und auch nicht unbedingt Tatsachen oder Anekdoten, die auf eine Pointe hinauslaufen. Es geht ihm um das Erzählen selbst, um das Ritual des Erzählens, um die Kinderfrage und dann? Und dann? Was geschieht dann? Erzähl weiter, bitte, erzähl weiter. In seinen Frankfurter Poetikvorlesungen, betitel mit ‘Der Leser. Das Erzählen’, erschienen im Jahr 1982, aber meiner Meinung nach noch immer aktuell, sagt er: »Während ich Geschichten erzähle, beschäftige ich mich nicht mit der Wahrheit, sondern mit den Möglichkeiten der Wahrheit. Solange es noch Geschichten gibt, so lange gibt es noch Möglichkeiten.» Ist das nicht wunderbar? Lesend und erzählend möglichen Wahrheiten auf der Spur zu sein.

Ist es das, was uns an Erzählungen, an Geschichten fasziniert? Dass sie vermeintlich gesicherte Realitäten in Frage stellen, dass sie zeigen, dass es ebenso gut auch anders sein könnte, dass immer auch das Gegenteil wahr sein könnte? Und im Laufe des Lebens ändern sich Realitäten, ändern sich auch unsere Fragen, die wir an sie stellen. Die Geschichten in Büchern, die wir nochmals und vielleicht Jahre später nochmals lesen, sind zwar dieselben. Aber wir sind es, die andere geworden sind und somit ändern sich auch die Fragen, die wir an die Geschichten stellen oder darin finden. Und nochmals Peter Bichsel, der in einem Interview zu seinem Achtzigsten sagte, es gäbe eine Frage, die ihn stets umgetrieben habe, nämlich die Frage: Was wäre, wenn? Denn so entstehe Literatur.

Wenn ich in meinen Lebensbüchern blättere, stelle ich fest, dass in allen auf unterschiedliche Weise diese ‘Was-wäre-wenn-Frage’ gestellt wird. Und auch bei der dritten oder vierten Lektüre bin ich gerne bereit, mich auf dieses Spiel einzulassen und mich davon berühren zu lassen. Und einmal mehr am Ende eines dieser Bücher angelangt, frage ich mich immer häufiger ziemlich bange: Was wäre, wenn es eines Tages das Erzählen nicht mehr gäbe? Wenn niemand mehr da wäre, der erzählen würde? Was wäre dann?

 

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7 Kommentare

  1. Zu meinen Lieblingen gehören Kinderbücher auf englisch: die 7 Narnia Chronicles von CS Lewis, The Hobbit und Lord of the Rings von Tolkien sowie die 7 Bände Harry Potter.
    Dann deutsch die Grimms Märchen, «an Nachtfeuern der Karawanserail» von Elsa Sophia von Kamphoevener, die unendliche Geschichte von Michael Ende, Ronja Räubertochter von Astrid Lindgren und Stein und Flöte von Hans Bemmann. Eine etws «kinderlastige» Liste für eine 73-jährige Frau…

  2. Ich bin am suchen nach Büchern von Frauen im Alter was machen sie so ?welche Geschichten haben sie.wer kann mir da weiterhelfen .?

  3. Meine Eltern waren in der Büchergilde Gutenberg. In meinem Keller sind noch 2 Kisten mit solchen Büchern. Sehr gerne möchte ich nochmals lesen ‹Der stille Don› von Michail Scholochow. Es sind aber 4 Bände, ob ich das noch schaffe?

  4. La Modification von Michel Butor und Owen Meany von John Irving sind 2 Bücher, die ich schon mehrmals gelesen habe und die mich immer wieder beeindrucken

  5. Ich habe viele Bücher in meinen Gestellen, die meisten sind fast wie Freunde und begleiten mich durchs Leben, ja von den meisten weiss ich den Inhalt, wenn ich nur deren Rücken betrachte, von den meisten kenne ich, trotz mehrmaligem Zügeln den genauen Ort im Gestell!
    Im Moment kommen mir viele Bücher von Verena Kast in den Sinn, zum Beispiel „ Freude, Inspiration und Hoffnung“ lese ich oftmals wieder durch. Oder Bücher von Oliver Sacks, darunter“ als mein Bein fortging“. „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ von Victor E. Frankl gibt mir in dunklen Stunden Mut.

  6. Das absolute Lieblingsbuch meiner Kindheit waren die Märchen aus «Tausendundeiner Nacht», mit spannenden Erzählungen aus einer fernen Welt wie «Scheherazade», «Alibaba und die 40 Räuber» oder «Aladin und die Wunderlampe» und viele mehr. Das dicke, mit malerischen Bildern aus der persischen und arabischen Welt versehene Buch, musste mehrmals geklebt werden, damit es nicht auseinander fiel.

    Obwohl ich als Jugendliche noch viel zu jung war für die klassische Weltliteratur, zogen mich die dicken Schinken meiner Mutter magisch an und auch wenn ich vieles nicht verstand, musste ich sie lesen. Im Gedächtnis geblieben ist mir vor allem der Roman von Betty Smith «Ein Baum wächst in Brooklyn». Mit dem Mädchen Francie in dieser lebensbejahenden Geschichte, das gegen die Widrigkeiten des Lebens anliest, habe ich mich sofort identifiziert. Der Roman ist 2018 in deutsch neu aufgelegt worden und kann ich allen Lesefreudigen dicker Bücher nur ans Herz legen.

    Zu meinen Lieblingen gehören auch die lustigen und gleichzeitig lebensklugen Bücher der Schauspielerin Lilli Palmer z.B. «Dicke Lilli, gutes Kind». Als ich mit den Büchern von Jane Austin in Berührung kam, war mir alles so vertraut, dass ich ernsthaft glaubte, in einem früheren Leben schon einmal an der Südwestküste Englands im 18. Jahrhundert gelebt zu haben, wer weiss….

    Aus Büchern kann man auch viel lernen und fürs Leben mitnehmen. Der zufälligen Begegnung mit dem Buch «Zen und die Kunst, sich zu verlieben» von Brenda Shoshanna, verdanke ich die Entdeckung einer neuen Lebensphilosophie und das einfache Meditieren. Auf die Psychologin und Lebensberaterin Margrit Erni wurde ich durch ihre Radiosendungen aufmerksam. Ihre Bücher nehme ich ab und zu aus dem Regal, wenn ich einen klugen Rat brauche. Durch die Bücher von C.G. Jung hat sich mir meine innere Welt und die eigenen Träume erschlossen. Die vielen kleinen und leicht zu lesenden Sachbüchlein der spirituellen Lehrerin Elisabeth Bond, wie «Der Schlafende Riese erwacht, Licht im Gehirn», befriedigen immer wieder meine Neugier auf das Leben.
    Da mir Bücher immer irgendwie zufliegen, ohne dass ich sie suche, gibt es ab und zu ein Buch, das ich einfach kaufen muss, um es später einmal zu lesen, quasi in Reserve. Ein Leben ohne Bücher ist möglich, aber sehr viel ärmer.

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