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Tamedia verkleinert die gesamte Belegschaft um einen Fünftel. Es ist einer der grössten Abbau in der Schweizer Mediengeschichte. Als ehemaliger Tamedia-Redaktor schmerzt dies den Autor.

Fünfzehn Prozent weniger Stellen in den Redaktionen. Der Medienkonzern Tamedia beschäftigt insgesamt 1400 Mitarbeitende. 290 Stellen gehen in den nächsten Jahren verloren, rund ein Fünftel. Die Redaktionen umfassen zurzeit 620 Stellen. 90 oder rund 15 Prozent fallen weg. Unklar ist noch, welche Standorte wieviele Journalistinnen und Journalisten verlieren.

Ausbau durch Abbau. Da stimmt doch was nicht. Simon Bärtschi hat es ganz nach oben geschafft. Er war früher Chefredaktor der Berner Zeitung und des Bund. Jetzt ist er publizistischer Leiter Tamedia. Bärtschi ist ein guter Journalist. Allerdings hat er Aussetzer. Vor ein paar Tagen wechselte er ins Marketing-Fach. In den Tamedia-Zeitungen schrieb er über die Massenentlassungen, dass der Konzern mit diesen Massnahmen seine Angebote laufend ausbauen wolle. Ausbau durch Abbau? Irgendwas stimmt da nicht.

«Bündelung» ist Schönsprech für Entlassungen. Bärtschi spricht von einer „Bündelung der Kräfte“. Das ist Schönsprech für Abbau. Die Konzentration soll gemäss Tamedia die vier grossen Marken stärken: die Berner Zeitung den Tages-Anzeiger, die Basler Zeitung sowie „24 heures» und Tribune de Genève. Titel wie das Thuner Tagblatt, der Berner Oberländer oder das BZ Langenthaler Tagblatt werden digital mit unterschiedlichen Konzepten wie bereits andere Tamedia-Marken in die vier grossen Plattformen integriert.

Berner Druckerei schluckt Bussigny und Zürich. Aufatmen können die Druckerinnen und Drucker in Bern. Tamedia will die Anlagen im Zentareal in Ostermundigen sogar erweitern. Sie sollen einen Teil der Kapazitäten der Druckorte übernehmen, die stillgelegt werden. In Bussigny VD wird die Offset-Rotation vermutlich im nächsten Frühling abgestellt, jene in Zürich wird Ende 2026 letztmals angefahren.

In den Redaktionen werden künftig noch mehr Räume leer bleiben. Tamedia-Hauptsitz in Zürich.

Massenenentlassung ist bloss noch business as usual. Wann, wer, wo weggespart wird, ist noch ungewiss. Die Massenentlassung bezeichnet der Tamedia-Schaumsprech als Umstrukturierungen. Die Reaktionen fallen erwartungsgemäss aus: Die Gewerkschaften Syndicom und Impressum sind empört und fordern einen Entlassungsstopp. Der Verband Schweizer Medien will mehr indirekte Medienförderung. Und die Bürgerlichen weisen wie eh auf die unabänderliche Macht der Marktwirtschaft. Bei den bisherigen Entlassungen war dies anders: Aufrufe, Demos, besorgte Stadtpräsidentinnen und -präsidenten. Jetzt ist der weit grössere Abbau bloss noch business as usual.

Früher war längst nicht alles besser. Der Autor hat das Journalisten-Handwerk bei der Berner Zeitung in den Achtzigern gelernt. Es war ein strubes Gewerbe und die Qualität war längst nicht so gut, wie es heute viele verklären. „Haben wir noch Stehsatz für die Letzte?“

Die Rotationsmaschinen druckten Geld. Dann kamen die die Goldenen Neunziger. Dank der Inseratenschwemme druckten die Rotationsmaschinen Zeitungen bis zu 128 Seiten und spülten so Geld auf die Konten. Damit konnte man nach dem Start der Digitalisierung in den Nullerjahren einigen Unfug anstellen: Gelungenes, Misslungenes, gut Gemeintes, Unzumutbares für die Mitarbeitenden. Irgendwann wurden sowohl die Geschäftsleitungen wie die Computer schlauer. So gelang, was eigentlich geplant gewesen war: Einsparungen.

Die Medienhäuser verloren bis zur Hälfte des Umsatzes. Nicht geplant, aber noch weit einschneidender waren die Umsatzeinbussen. Die Werbetreibenden platzierten ihre Millionen online. Die Printnutzerinnen und -nutzer entdeckten, dass sie die Artikel auch digital und vorläufig gratis lesen konnten. Sie verzichteten aufs Abo und die Kiosk-Zeitung. Innerhalb weniger Jahre verloren die Medienhäuser 30 bis 50 Prozent ihres Umsatzes. Tamedia rettete sich mit Umlagerungen ins Online-Geschäft, mit Einsparungen bei den Immobilien und mit schön geschminkten Fusionen. Und vor allem mit „Freistellungen“, Marketing-Speech für Entlassungen.

Berner «Mai-Massaker». Am Medienstandort Bern lässt sich diese Entwicklung beispielhaft verfolgen. Als erstes fusionierten 2001 Berner Zeitung und Bund unter dem gemeinsamen Verlagsdach Espace Media. Die beiden Blätter blieben vorderhand unabhängige Zeitungen. 2008 übernahm Tamedia den Verlag Espace Media und verantwortete 2009 eine drastische Kündigungswelle. Die Redaktionen bezeichneten den Abbau eingängig als „Mai-Massaker“.

Bloss noch verschiedene Schmuckfarben. Weitere Entlassungen realisierte der Konzern 2021. Berner Zeitung und Bund hatten bereits vorher nur noch regionale Themen getrennt behandelt und fast alles übrige von der Zürcher Verlagszentrale bezogen Nun gaben die beiden Blätter auch diese bescheidene Konkurrenz auf. Die Publikationen unterschieden sich nur noch unwesentlich. Am stärksten durch die Buntfarbe, blau für den Bund, rot für die BZ. Trotz Fusion vernichtete 2021 Tameida 20 Vollzeitstellen. 2023 entliess das Unternehmen weitere 80 Mitarbeitende.

Laufend «ausbauen». Soweit der Ablauf im Kanton Bern. Ãhnliches geschah im Kanton Zürich, in der Westschweiz und weniger ausgeprägt in Basel. Jetzt will Tamedia in der ganzen Schweiz gemäss Simon Bärtschi „die Angebote weiter laufend ausbauen.“

Die schönen Ziele will der Medienkonzern wiederum mit einem massiven Stellenabbau erreichen.

Bilder: Raisa Durandi/zvg
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In der ursprünglichen Ausgabe hatte dieser Artikel zwei unterdessen bereinigte Fehler. Alle Tamedia-Redaktionen umfassen zusammen nicht 270, sondern 620 Stellen. Und: Thuner Tagblatt, Berner Oberländer und BZ Langenthaler Tagblatt werden digital in die vier grossen Plattformen integriert. Der Autor entschuldigt sich für diese Ungenauigkeiten.

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2 Kommentare

  1. Wird den Menschen aus kaltschnäuzigen wirtschaftlichen Interessen die Möglichkeit, eine gedruckte Zeitung zu lesen genommen, darf man sich nicht wundern, wenn die von US-Weltkonzernen unsichtbar gesteuerten Bildschirm-Medien uns schon bald zu willenlosen und ohnmächtigen Jasagern wie in China gemacht haben werden.

  2. Das sehe ich genauso wie Herr Linsmayer. Freie Meinungsäusserung und unabhängige seriös recherchierte Berichterstattung, die man am Kiosk kaufen kann, ist ein wichtiger Baustein unserer Demokratie. So ist es nur logisch, dass man diese hart erkämpfte Errungenschaft nicht dem freien Markt überlassen darf, schon gar nicht Medienriesen wie Tamedia, die glaubt, nur nach Gewinnmargen operiern zu können.
    Jede Gemeinde, jeder Kanton und die Bundesregierung sollten sich überlegen, was sie aufgeben, wenn sie diese Entwicklung zulassen und nicht Hand bieten, denjenigen Unternehmen finanziell unter die Arme zu greifen, die dieses Gut erhalten wollen.

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