Am 24. November wird über die EFAS abgestimmt. Am Nachmittag der VASOS-Herbstversammlung wurden zwei Referate dazu gehalten, Fragen gestellt und Standpunkte vertreten. Die VASOS sagt schliesslich klar Nein zu EFAS.
Der Gesundheitsökonom Heinz Locher führte Argumente für EFAS, für die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen an und Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle argumentierte dagegen. Beide Referate waren ein Genuss. Trotzdem musste ich zuhause nacharbeiten, um zu versuchen meine Verwirrung zu entwirren.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat zu EFAS folgende Erklärung: „Mit der Reform zur einheitlichen Finanzierung der Leistungen sollen alle Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) nach demselben Verteilschlüssel finanziert werden – egal ob sie ambulant, stationär oder im Pflegeheim erbracht werden. Das Parlament hat am 22. Dezember 2023 die entsprechende KVG-Änderung verabschiedet. Dagegen wurde das Referendum ergriffen. Die Volksabstimmung findet am 24. November 2024 statt. Bundesrat und Parlament empfehlen, die KVG-Änderung zur einheitlichen Finanzierung der Leistungen anzunehmen.» Soweit klar, oder?
Auf der Website «Ja zur einheitlichen Finanzierung» findet man folgende erläuterte Behauptungen:
«Die einheitliche Finanzierung stärkt die ambulante Medizin und Pflege.»
«Die einheitliche Finanzierung fördert die Koordination im Gesundheitswesen.»
«Die einheitliche Finanzierung entlastet die Prämienzahlenden.»
Dass rund ¾ der Gesundheitsleistungen über Prämien und rund ¼ durch die Kantone finanziert werden, «bringt die nötige Klarheit und Transparenz.»
Ein Ja sei im Interesse von Patientinnen und Patienten wegen verbesserter Koordination, was zu weniger unnötigen Leistungen und einer integrierten Versorgung führe. «Alle ziehen am gleichen Strick.»
Die einheitliche Finanzierung beseitige teure Mängel im Gesundheitswesen, sei eine breit abgestützte Lösung und fördere die «Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Therapeutinnen, Spitex, Spitälern und Pflegeheimen. Eine Ambulantisierung entlastet das Personal und setzt unnötig belastete Ressourcen frei.» (…) «Es braucht diese gesunde Reform.»
Eine sehr angeregte Debatte über EFAS nach den beiden Referaten. Am Schluss waren die Meinungen gemacht. Die VASOS sagt klar Nein zu EFAS. (Foto bs)
Auf der Stop-EFAS Website des VPOD, welcher das Referendum gegen die Einführung von EFAS ergriffen hatte, gibt es ein «Argumentarium lang» und ein «Argumentarium kurz» zu folgenden vier Behauptungen:
«EFAS führt zu zusätzlichen Prämienerhöhungen»
«EFAS verschlechtert die Arbeitsbedingungen»
«EFAS schadet der Pflegequalität»
«EFAS droht die Kosten für Pflegeheimbewohner:innen zu erhöhen»
Heinz Locher meinte, man könne für oder gegen EFAS sein. Das Gesundheitswesen sei als dynamisches komplexes System nicht zu steuern, es müsse vielmehr als ein Gemenge von interaktiven Prozessen verstanden werden. Als lernendes System mit offenem Ergebnis bedürfe es verschiedenster Rückkoppelungen (Versorgungsforschung). Ursache vieler der heutigen Probleme seien die Unfähigkeit und die fehlende Bereitschaft, diese Lernprozesse (Health Technology Assessment (HTA), Evaluationen) immer und immer wieder zu durchlaufen. Lochers Fazit: «Planerische Hybris muss einer sachkundigen Demut Platz machen.»
VASOS Präsidentin Bea Heim bedankte sich bei den Referierenden, Laurence Fehlmann Rielle (l.), Gesundheitsökonom Heinz Locher (r.), und überreichte ihnen ein Geschenk. (Foto bs)
Das führt mich zurück zur Titelfrage: Ist EFAS bloss Kosmetik für das sterbende Gesundheitswesen? Offenbar ist das Gesundheitswesen nicht akut krank, sonst könnte mit einem passenden Rezept und Know How schnell eine gute Lösung gefunden werden. Das Gesundheitswesen scheint chronisch krank zu sein. Chronisch kranke Menschen haben neben ihrer Krankheit oft noch viele Kompetenzen und können Erfreuliches tun und erleben. Ebenso kann ein chronisch krankes Gesundheitssystem noch viel Gutes bewirken und viele Akteure im chronisch kranken Gesundheitswesen leisten Grossartiges. Aber es wird in absehbarer Zeit sterben und ersetzt werden müssen durch ein besseres System. Dabei schwebt mir Folgendes vor:
Da alle Menschen verletzlich und krankheitsanfällig sind, brauchen alle einen Zugang zu einem qualitativ möglichst guten Gesundheitssystem, dessen Leistungen von allen solidarisch getragen werden. Deswegen zahlen Gesunde für Kranke und Reiche für Arme. Die Kopfprämie ist zu ersetzen durch eine einkommensabhängige Prämie, die eingezahlt wird an genau eine obligatorische staatliche Krankenkasse für die Grundversicherung. Privat kann man sich auf private Kosten für x etwas bei einer privaten Versicherung versichern lassen. Alle Leistungserbringende erhalten einen fairen Lohn. Wer ungenügend arbeitet, muss entlassen werden, so wie eine Lehrperson, wenn sie ihren Auftrag nicht erfüllt, auch entlassen wird. Leistungserbringende im Gesundheitswesen müssen kritisiert und allenfalls sanktioniert werden, wenn sie nicht leisten, was von ihnen verlangt werden kann. Deswegen braucht es Kontrollmechanismen und Ombudsstellen, wodurch eine gute Qualität garantiert und Konflikte zwischen Leistungserbringenden und Patienten gelöst werden können.
Dringend braucht es ein obligatorisches und einheitliches elektronisches Patientendossier in die Hand der Patienten, damit sie oder von ihnen ins Vertrauen gezogene Personen Krankheitsgeschichten bei Bedarf minutiös nachvollziehen können und Fehldiagnosen, Übermedikation, Fehl- und Überbehandlungen bei entsprechenden Stellen monieren und allenfalls einklagen können.
Auch wenn ich nicht in allen Punkten mit dem «Manifest der Akademie Menschenmedizin» übereinstimme, lässt das Vorwort zum Manifest aufhorchen:
«Das heutige Gesundheitswesen basiert auf Werten und Handlungsweisen der Finanzwirtschaft und der Industrie. Es wird jedoch zunehmend deutlich, dass das ein Irrtum ist. Keines der drei Versprechen dieses Vorgehens wurde erfüllt: Kostendämpfung, Transparenz, Qualitätssteigerung. Ganz im Gegenteil: Gravierende Systemfehler mit Fehlanreizen und Fehlentwicklungen waren die Folge (…) Der Gesundheitsmarkt fördert einen Pseudowettbewerb für Wertschöpfung statt für Wohlergehen. Durch diese Fehlkonzeption werden Gesundheitsfachpersonen gezwungen, nicht mehr das Wohlergehen der Patient:innen, sondern kommerzielle Erwägungen ins Zentrum ihrer Arbeit zu stellen.»
Werden auch Mitglieder der ständerätlichen und nationalrätlichen Gesundheitskommissionen «gezwungen» oder durch Lobbyismus gelockt, eine sachdienliche und gemeinwohlorientierte Gesundheitspolitik zu vertagen und das elektronische Patientendossier zu vertrödeln?
Eine Info zum Schluss: Gemäss Bundesamt für Statistik betrugen die Kosten für das schweizerische Gesundheitswesen im Jahre 2022 91,5 Milliarden Franken, 11,7% des Bruttosozialprodukts. Es geht also um einen grösseren Topf, bei dem immer wieder mal, beispielsweise bei EFAS, umstritten ist, wer wieviel wofür einzuzahlen hat und wer wieviel wofür bezieht.
Titelbild: Blick in einen Operationssaal. Da wird in der Akutmedizin oft Bewundernswertes geleistet und den Akteuren gebührt dafür grosser Dank. Trotzdem ist der chronisch kranke Patient «Gesundheitswesen» sanft ins Sterben zu begleiten, damit ein besseres Gesundheitswesen geboren werden kann, das sicher auch nicht ohne Fehler sein wird. (Foto von freepik)
Links:
Informationen des Bundesamtes für Gesundheit zu EFAS
Manifest der Akademie Menschenmedizin
also ich musste zuerst VASOS googeln nach diesem Artikel…
Warum wir in unserem Land keine staatliche, obligatorische und den Einkommen angepasste Krankengrundversicherung haben?
Es ist doch wie beim BVG, wenn der Bund die Führung und Verwaltung für obligatorische Sozialversicherungen in die Hände privater Firmen abtritt, werden diese Versicherungsleistungen nicht im Sinne der Zahler:innen verwaltet, sondern das Marketing richtet sich ausschliesslich auf den Profit des Leistungserbringers.
Zudem setzt das BAG zu wenig Prioritäten und Grenzen im Leistungskatalog und überlässt damit der Pharmaindustrie, den Ärzten und Spitälern weitgehend den Spielraum, was als Grundleistungen gelten soll und vom Prämienzahler jedes Jahr mit höheren Beiträgen übernommen werden muss.
Wie bei der zweiten Säule der AHV übernimmt niemand für diese gravierenden Entwicklungen die Verantwortung. Die betreffenden Bundesämter und somit der Bundesrat machen meiner Meinung nach einen schlechten Job und schaden der Bevölkerung, indem sie grundlegende Neuerungen und Richtungsänderungen im fehlgeleiteten Gesundheitswesen blockieren.