Ich fahre im Allgemeinen nicht mit dem Taxi. Aber an diesem Tag, als ich eine grössere Bahnfahrt mit meiner Schwester unternahm, bis nach Domodossola fuhr, wo wir uns ein Mittagessen gönnten, liessen wir uns am Ende vor die Türe meines Hauses fahren. Auf der langen Fahrt durch das Centovalli fiel mein Denken auf die krude Idee, die Krans zu zählen. Sie sind ein Zeichen, dass gebaut wird und dass Menschen an der Zukunft arbeiten. Aber ich entdeckte weder in den Dörfern noch in ihrer Umgebung einen einzigen. Es kam mir wie ein «paese morto» vor.
Die Fahrt mit den unterschiedlichen Bahnen heimwärts dauerte lange. Das Wetter hatte sich geändert. Dass es zu regnen begann, kümmerte mich weiter nicht. Nur der Thunersee war nicht so leuchtend wie ich ihn in Erinnerung hatte und durch das Emmental und das Entlebuch wirkten die Häusser und Ställe mit dem tief nach unten ziehenden Dächern in sich gekehrt. Aber es gab hier Krans. Die Gegend lebte. Als wir endlich in Zug ankamen, war der Regen ein guter Grund, das Taxi zu bestellen. Zudem war ich müde und ich rechnete nicht lange, wir stiegen ein.
Während der etwas längeren Fahrt kam ich mit dem Chauffeur, einem Eritreer, ins Gespräch. Er sprach gut Deutsch, ja er vermischte die deutsche Sprache mit Schwyzerdütsch. Ich fragte ihn, wo er Deutsch gelernt habe. «Im Betrieb.» Er arbeite in einer grossen Garage. Dort höre er genau darauf, wie die Kollegen sprechen. Taxi fahren sei eine Zusatzarbeit. Er habe eine Familie.
«Er werde schöne Kinder haben, bei so einem solchen Vater», schmeichelte ich.
«Ich bin nicht schön. Meine Frau ist schön, wunderschön», schwärmte er. «Ich werde ein Bild zeigen.»
Er zeigte mir bei einem kurzen Halt seine Familie auf dem Handy.
«Er habe drei Buben. Die Mutter sei doch schön, wunderschön?», wiederholte er ein Kompliment erwartend.
«Da müssen sie aber arbeiten.»
«Ja, ohne Arbeit kannst du nicht leben. Ich mache alles für meine Familie.»
«Die haben sie jetzt beisammen»?
«Nein, nein es müsse noch weiter gehen.» Er stoppte, lachte fröhlich und sagte:
«Die Frau sagt, wir machen weiter, bis ein Mädchen kommt.»
«Das kann noch lange dauern.»
«Das habe ich meiner Frau auch gesagt, aber sie will ein Mädchen.»
Ich lobte ihn für seine Haltung zur Arbeit. Es gebe Eritreer, die nicht arbeiten wollen, obwohl sie könnten.
«Das ist falsch. Da in der Schweiz muss man arbeiten. Dann geht es gut. Oh, ich bin froh, dass dies heute die letzte Fahrt ist. Meine Frau hat angerufen und gefragt, wann ich heimkomme. Aber wenn ich etwas heimbringe, dankt sie mir.»
Ich gab ihm ein kräftiges Trinkgeld aus lauter Freude, einem so aufgeweckten Mann begegnet zu sein. «Da etwas für die Frau.» Er wohne in Baar. Wer arbeite, dem gehe es gut in der Schweiz.
Fazit. Ich war erfreut, einen Mann anzutreffen, der den Wert der Arbeit sieht. Er ist einer der Asylbewerber, der klug ist und schätzt, dass er arbeiten darf. Ich glaube, die Politik sollte alle zwingen zu arbeiten. Sie müssen wie mein Chauffeur erkennen, dass sie selbst der Schmied ihres Glückes sind und so im Land ihrer Flucht als Arbeiter geschätzt werden.
Eine runde, schöne, kluge Kolumne
Ich denke, Seniorweb kann glücklich sein, einen Kolumnisten wie Andreas Iten zu haben: einen Schreiber, der uns mit verständlichen Worten durch das Denken des Abendlandes führt, aber auch Anteil nehmen lässt an seinem persönlichen Alltag.
In der Kolumne «Der Taxichauffeur» begleiten wir ihn auf seiner Fahrt von Domodossola bis nach Hause in den Kanton Zug. Durch das Centovalli, wo keine Kranen stehen, und das Emmental und Entlebuch, wo er Kranen für das Bauen entdeckt.
Und dann lauschen wir dem Gespräch, in dem sich Andreas im Auto dem Chauffeur, einem Eritreer, nähert, dessen Poesie man im Original lesen muss… Eine Kurzgeschichte, wie ich sie nur aus der Weltliteratur kenne!
Danke, Andreas, für diese und viele andere deiner Kolumnen.
Hanspeter
Typisch Andreas Iten.Deine Gedanken gefallen mir. Liberal, offen ,transparent,klug und ehrlich. Herzlich IH
Lieber Herr Iten
Herzlichen Dank. Ich bin 88 Jahre alt und lese Ihre Artikel immer gerne und regelmässig.
Hoffentlich noch lange. Alles Gute MB