Viva la Greina!: Patrick Thurston, der Sohn des in der Schweiz wirkenden britischen Künstlers und Politaktivisten Bryan Cyril Thurston, hat uns mit dem wunderbaren Film-Essay «Greina» reich beschenkt: mit einer Meditation über Kunst, einer Liebeserklärung an die Greina, einem Vater-Sohn-Porträt und einer Kunst-Aktion für die Gesellschaft. Ab 17. Oktober im Kino.
«Nur die Poesie kann die Greina retten». Mit diesem Satz setzte sich Bryan Cyril Thurston ab 1967 bis 1986 mit seiner Kunst gegen den Bau eines Stausees in der Greina ein, einer weitgehend unbekannten, hochalpinen Landschaft zwischen der Bündner Surselva und dem Tessiner Bleniotal. Damals klang dieser Ausspruch in den Ohren seines Sohnes Patrick schwärmerisch, abstrus und unrealistisch. Doch der Stausee wurde verhindert, die Landschaft unter Schutz gestellt und die Gemeinden Vrin und Sumvitg erhielten den Landschaftsrappen. Die Kraft der Poesie und die Schönheit der Landschaft besiegten die kommerzielle Nutzung der Natur. Heute ist das Thema wieder brandaktuell, heute spricht man von Energienotlage. Doch ist uns der Sinn für die Kraft der Poesie noch so vertraut wie den Menschen damals?
Das Hochland der Greina
Annäherung
Langsam, ruhig und meditativ öffnet die Kamera, begleitet von Musik und Naturgeräuschen, den Blick auf eine Schwarzweisszeichnung von Bryan Cyril Thurston, der sinniert: «Es ist etwas von mir, das mich drängt: Tu es, es muss getan werden.» Danach sehen wir das Bild eines Berges, der aus dem Neben auftaucht. «Wir müssen versuchen, das Unmögliche zu tun.» Es folgt der Künstler bei der Arbeit im Atelier. Schon jetzt ist alles angesprochen, was im Film sich weiter entwickeln wird. Die ersten Szenen bestimmen den Rhythmus unseres Herzschlags für das grosse Mysterium der Landschaft der Greina und der Bilder des alten Mannes. Wie Ober- und Untertöne bringt der Film von Patrick Thurston dazwischen klug ausgewählte Statements, welche die Informationen über die Greina und die Strukturen der Kunstwerke und der Landschaften miteinander verbinden und zum Betrachten und Sinnieren einladen.
Nachdem der Sohn beim Vater angekommen ist, meint dieser: «Ich habe das Gefühl, wenn ich etwas tue, hat das immer etwas mit Engagement für etwas zu tun. Man kann es Kunst nennen. Es ist meine Arbeit. Meine Art, etwas zu tun, etwas festzuhalten.» Dann wird eine Landkarte ausgefaltet und tauschen beide ihre Erfahrungen beim Wandern. «Greina ist ein Ort der Schönheit», meint Bryan zusammenfassend. Und gegen Ende des Films: «Ich glaube, alles was wir im Leben tun, ist ein Akt der Liebe oder soll es sein.» «Ich bin ein Befreier, will die Menschen befreien, alles befreien.» «Zeichnen hält mich am Leben. Man muss weitermachen und darf nicht aufgeben, wenn man leben will.»
Patrick Thurston: drei Texte zu seinem Film
Patrick Thurston in Vaters Atelier
Patrick Thurston: drei Texte zu seinem Film
Die nachfolgenden Texte stammen, leicht bearbeitet, vom Filmemacher:
Ganz bewusst begann ich mit dem Handy zu filmen. Zuerst auf der Greinawanderung, dann während Besuchen bei meinem Vater, die ich allmählich intensivierte. Es waren Begegnungen, die plötzlich von einem Wohlwollen geleitet waren, die von Fragen und Neugier angetrieben wurden, wie ich dies zuvor nicht empfunden hatte. Ich wollte näher zu meinem Vater vordringen, spüren was ihn antriebt und immer noch antreibt, weshalb er in meinen Kinderaugen das Unmögliche versuchte und auf die Kraft der Poesie setzte, als ich zu wissen glaubte, dass nur Anwälte und politische Mittel die Greina retten könnten. Und gleichzeitig entdeckte ich über die Kunstwerke einen mir unbekannten Menschen. Einer der immer Neues sucht und sich ganz seinen gestaltenden Händen hingibt und darüber staunt, was sie ihm zeigen.
Ich wusste schon lange, dass die Greina zu einem Symbol geworden war. Sie steht für eine wundervolle Geschichte eines eigenverantwortlichen Verzichts. Die Nordostschweizer Kraftwerke liessen ihre Konzessionsrechte fallen. Der Verzicht kam überraschend, viele Kräfte wirkten zusammen, es war die Zeit der 1980er-Jahre, als auch der Verzicht auf das AKW Kaiseraugst folgte.
Ausstellung zum Erhalt der Greina
Kunst als aktiver Landschaftsschutz
Mit dem Slogan «Kunst als aktiver Landschaftsschutz» verband mein Vater die damals unbekannte Gebirgslandschaft mit Menschen in der ganzen Schweiz, mit Berg- und Landschaftsliebenden, mit den Herzen der Menschen in der Surselva und im Bleniotal. Mit über 90 Jahren ist mein Vater noch voller Tatendrang, voller Energie und Enthusiasmus. Für mich war es höchste Zeit, meinen Vater in einer anderen Weise bei der Arbeit zu beobachten, ihm zuzuhören, ihm Fragen zu stellen, ihn mit seinen Kunstwerken zu konfrontieren. Davon ausgehend habe ich die Spur zu den Menschen gelegt, die mit ihm und der Greina verbunden sind.
Die Landschaft und die Menschen zu befragen, entsprach meinem Wunsch, mich absichtslos heranzutasten und dabei nahe an den eigenen Gefühlen zu bleiben. Darauf folgte der nächste Schritt, hin zu einem Kinofilm, in dem die Essenz dieser Erkundungen vertieft wurden. Aron Nick als Co-Autor und Marlen Schmid als Cutterin leisteten Grossartiges. Alles begann von Neuem. Was schon angelegt war, wurde wiederholt, ergänzt und vertieft. Dadurch wurde der Film geboren als ein Stück Vater-Sohn-Bindungsgeschichte, als Zeugnis einer Schwarm-Leidenschaft für die Greina, die tatsächlich Berge versetzen konnte, und als Hommage an die Greina, damit sich ihre Schönheit ein weiteres Mal entfalten kann.
Bryan Cyril Thurston: Greina
Durch Bilder zur Poesie
Ich wusste, dass mir nur letzte Momente blieben, um meinen Vater in einem neuen Licht zu sehen, um Schritte zu unternehmen, mich hinzuwenden und ihm nahe zu sein. Und ich bin mir sicher, dass das Thema viele Väter und Söhne betrifft, genauso wie die Kraft der Poesie heute von vielen Menschen dringender gebraucht wird als je zuvor. Gemeint ist eine Kraft, die den eigenen Händen vertraut, die etwas aus einer Notwendigkeit heraus an die Hand nimmt. Der Film zeichnet die Leidenschaft eines Menschen nach, der sich mit seinen Kunstwerken voll und ganz einer bedrohten Landschaft seiner Sehnsucht hingab. Es wirkte Wunder! Die Berge blieben, das Wasser, die Alpweiden.
Noch mit 90 aktiv
Vom Schluss zum Anfang
Heute haben wir die Gewissheit: Die Greina bleibt, sie spricht zu uns und ihre Stimme bewegt etwas in uns. Die Werke von Bryan sind für alle Zeiten gesichert, nicht aber der Geist und die Kraft, die das Unmögliche möglich machten: «Jetzt braucht es uns, heute und in Zukunft brauchen wir solche Kräfte, die der Poesie vertrauen!»
Vielleicht ist das die Kernaussage dieses tiefsinnigen, meditativen Filmes von Patrick, der weit über die Familiengeschichte, die Aussagen der Mitmenschen, die in Kunstwerke verwandelten Landschaften der Greina führt, an den Ort des Heimwehs der Menschen nach ihrem Ursprung, ihrer Heimat.
Titelbild: Bryan Cyril Thurston