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Eine wahre Geschichte

Leidenschaftliche Leserinnen und Leser kennen das Problem: Kein Platz und null Übersicht mehr in den Bücherregalen. Letzte Woche nahm ich mich des lange verdrängten Problemes an, ausgerüstet mit einer grossen Anzahl leerer Einkaufstüten. Ich hatte mich geärgert, als ich erfolglos nach einem Buch in der bloss noch theoretisch nach Alphabet geordneten Bibliothek gesucht hatte. Aus Platznot stand Herta Müllers ‘Herztier’ neben ‘Die Verwilderung’ von Otto F. Walter.

Otto F. Walter, überlegte ich. Lese ich seine Bücher jemals wieder? Eher nicht, aber Otto. F.? Der Autor war in mehrfacher Hinsicht wichtig gewesen für die Schweizer Literatur. Ich stellte das Buch wieder zurück. Und so erging es mir mit vielen weiteren Werken. Ich nahm eines in die Hand, blies die Staubschicht weg, nieste, blätterte darin, manchmal fielen vergilbte Rezensionen heraus, oft aus Zeitungen, die längst nicht mehr existierten, und dann stellte ich das Buch wieder zurück.

Schliesslich nahm ich mir uralte Schullektüre vor. ‘Der Schimmelreiter’. ‘Bahnwärter Thiel’. ‘’Der Runenberg’. Weg damit. Dann wurde ich radikaler. Griff zu Taschenbüchern von Günther Grass, Peter Weiss, zögerte bei jenen von Peter Härtling, aber ich brauchte ja Platz. ‘Ein fliehendes Pferd’ von Martin Walser liess ich direkt von dannen traben.

Wie alles begann… und zweifelhaft endete…        Bild: Theres Roth-Hunkeler

Ich musste noch radikaler werden, brauchte aber klare Kriterien. Also: Es gehen keine Bücher von Autorinnen weg. (Ich staunte, dass ich viel mehr Bücher von Autoren besass!) Gesamtwerke bereits verstorbener Autoren werden ausgelagert in ein anderes Zimmer, wo sie zwar wenig Beachtung finden werden, aber so war es nun mal. Kinderbücher werden verschenkt (Ausnahmen: Die Lieblinge. Folge: Nur die wenigsten landeten in der Tüte).

In immer kürzer werdenden Abständen bekam ich Niesanfälle, aber allmählich standen die Bücher lockerer in den Regalen, mindestens jene von A-J. Denn Dürrenmatt, Frisch, Genazino, Hildesheimer, Humm und Inglin waren umgezogen ins andere Zimmer. Dann hatte ich keine leeren Tüten mehr und die Arme taten mir weh. Dennoch trug ich sechzehn prall gefüllte Tüten in den Keller, vier davon rissen bereits auf der Treppe. Ich fluchte und packte ihren verstreuten Inhalt in Schachteln.

Anderntags hatte mein Herzensmann schlechte Laune. Die Büchertüten im Keller versperrten ihm den Zugang zu seinen Werkzeugen. Sie müssten in die Halle 44 (einer Art Bücherbroki), sagte ich. Müssten sie, sagte er. Und wie kommen sie dahin? (Ich fahre seit vielen Jahren nicht mehr Auto.)

Dann passierten drei Dinge. Zuerst das Gute: Eine Freundin holte die Kinderbücher ab und freute sich darüber. Dann das, was mich künftig von jeglicher Bücherräumaktion fernhält, ich schwöre es. Auf der Auffahrt zur Halle 44 übersah der freundliche Fahrzeuglenker rückwärtsfahrend einen Pfosten. Augenblicklich sank seine Laune unter Null.

Vier Tage später stand ich in der Halle 44 und holte nach Hause zurück: ‘Nachgetragene Liebe’ von Peter Härtling.

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4 Kommentare

  1. Ich habe einige Bücher von meinen Eltern (sie waren in der Büchergilde Gutenberg) behalten; sie sind in einer Box im Keller. Jetzt habe ich aber die 4 Bände ‹Der stille Don› von Michail Scholochow wieder heraufgeholt zum evtl. nochmals lesen. In übrigen kaufe ich nur noch Taschenbücher, die ich aber nachher im Brockenhaus oder in diesen öffentlichen Büchergestellen entsorge. Was ich allerdings noch nicht weggeben kann, sind Gartenbücher etc., obwohl man heute im Wikipedia alles Wissenswerte auch findet.

  2. Ich packe anfallsweise Bücher, die mir nicht mehr entsprechen in eine Einkaufstüte und bringe sie in den nächsten öffentlichen Bücherstand. Dabei finde ich dort dann wieder neuen Lesestoff. Es ist eine Krux, aber es gibt wohl Schlimmeres als Lesen.

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