Es ist zuerst eine Nazi-Geschichte. Sie nahm 1934 ihren Lauf, als der deutsche Ingenieur Ferdinand Porsche in einem Exposé die Idee eines deutschen Volkswagens lancierte. Die Nazis sahen darin ihre Idee eines KdF-Auto (Kraft durch Freude) verwirklicht. Adolf Hitler persönlich förderte das Projekt. Sein Ziel: Der breiten Bevölkerung sollte erstmals ein bezahlbares, ein „Volksauto“ zur Verfügung stehen.
Nach dem Kriegsende 1945 waren es die Briten, die befahlen, dass aus den Kriegsruinen heraus das Projekt „Volkswagen“ sofort lanciert und auch verwirklicht wurde. Damit begann eine schier unglaubliche Erfolgsgeschichte des VW-Konzerns und mit ihm die der Konkurrenten BMW und Mercedes: gleichsam das deutsche Wirtschaftswunder. Noch weit mehr. Zuerst flutete die stets wachsende deutsche Autoindustrie Europa mit ihren Modellen, später traten sie in Konkurrenz zu den US-amerikanischen Strassen-Kreuzern, und in den letzten 30 Jahren beherrschten sie zunehmend den chinesischen Auto-Markt. Deutsche Handwerkskunst, die hochentwickelten Benzin- und Dieselmotoren schienen konkurrenzlos zu sein. Bis vor 10 Jahren.
Auch wir blieben nicht verschont. Im Gegenteil. Die deutschen Autos fanden auch in der Schweiz ihre Fans. Es war 1965. Ich hatte ihn vor einer Garage in Kleinbasel gesehen: den VW Käfer, perlweiss, mit einem Schiebedach, Jahrgang 1961. Der angeschriebene Preis: 1’950 Franken. Ich hatte gerade die Rekrutenschule hinter mich gebracht, erstes Geld verdient, etwas angespart. Doch er war unerschwinglich. Der Garagist, der mich bei den mehrmaligen Rundgängen um das Auto beobachtet hatte, meinte: Er könnte mir einen Kredit vermitteln. Davor hatte unser Vater uns Kinder immer wieder gewarnt: Kredite sind der Anfang, um in Armut zu landen.
Als ich am Wochenende meine Eltern in Luzern besuchte, erwähnte ich so nebenbei beim Mittagessen, dass ich einen grossartigen Käfer gesehen hätte. Niemand reagierte darauf, zu meinem Leidwesen. Im Zug nach Basel versuchte ich den Mantel aufzuhängen. Dabei bemerkte ich ein Couvert in der Innentasche, Ich setzte mich hin und öffnete sorgfältig den Briefumschlag. Als erstes fiel mir ein kleiner Zettel in die Hände: «Behalte es für Dich, Mama.» In einem noch etwas kleinerer Couvert lagen ein paar Hunderter-Noten, einmal zusammengefaltet. Unmittelbar unterliess ich es, sie zu zählen. Ich war beschämt und erfreut zugleich. Meine Mutter und ein Teil ihrer kleinen Ersparnisse. Dennoch: Ich war sicher, der Käfer gehört nun doch mir, und auch sie wollte es so.
Und heute? VW kämpft in China beinahe ums Überleben. Nachdem die Umsatz- und Gewinn-Kurven in China in den letzten 30 Jahren steil nach oben stiegen, geht es jetzt mit rasantem Tempo bergab. In Deutschland will VW drei Werke schliessen, tausende Mitarbeitende haben mit massiven Lohnkürzungen zu rechnen, bangen um ihren Arbeitsplatz. In Wolfsburg bei VW, in München bei BMW, in Stuttgart bei Mercedes, in Neckarsulm bei Audi blickten die Topmanager geblendet durch ihre Jahrzehnte langen Erfolge nicht konsequent auf den sich anbahnende Wandel hin zur Elektromobilität. Im Gegensatz zum US-Amerikaner Elon Musk und vor allem zu den chinesischen Techno-Unternehmen, welche in die Produktion von günstigen, sehr günstigen Elektroautos einstiegen. Die Entwicklung wird auch uns treffen, insbesondere die rund 580 Firmen, vor allem in der Ostschweiz, welche als Zulieferer Produkte für deutsche Autos herstellen.
Und noch ist kein Auto aus Deutschland in Sicht, welches die Rolle des VW-Käfers übernehmen könnte: ein Elektro-Auto für unter 20’000 Franken, das selbst autokritische junge Menschen überzeugen, gar faszinieren könnte, wenn es zur bezahlbaren Occasion wird, wie damals vor 60 Jahren.
Und wenn Trump gewinnt, will er alle Zölle massiv erhöhen, nicht nur den deutschen Autos die Marktchancen in den USA beschneiden, sondern auch den eAutos aus China den Markeintritt erschweren.
Befinden wir uns jetzt an einem Scheideweg? 1945 stellten die USA Deutschland mit dem Marschall-Plan wirtschaftlich wieder auf die Beine, dem VW-Käfer verhalfen sie damit zum Siegeszug. Jetzt 70 Jahre später soll alles ganz anders werden: «Amerika First» ist Trumps Politik. Europa und China sollen aussen vor bleiben, auch mit ihren Autos. Da können wir nur auf Kamala Harris setzen.