StartseiteMagazinLebensartSeppi Ritler oder «Blick war dabei!»

Seppi Ritler oder «Blick war dabei!»

Josef Ritler (85) war 40 Jahre lang in Diensten des «Blick» als rasender Reporter unterwegs. Seine Beiträge und Fotos zeigen ein gutes Stück Schweizer Mediengeschichte. Zu Besuch beim legendären Reporter in Luzern.

Das Gedächtnis eines Elefanten habe er, sei schlau wie ein Fuchs, neugierig wie eine Katze, fleissig wie die Ameise und stur wie ein Esel. So wurde Josef Ritler (85) vor Jahren einst von Fridolin Luchsinger, einst Chefredaktor des «Blick», des «SonntagsBlick», der «Schweizer Illustrierten» und der «SonntagsZeitung» im Rahmen einer Laudatio gewürdigt. «Seppi» gehöre zu einer aussterbenden Gattung im journalistischen Tierreich, «wo es bald nur noch Wiederkäuer, Krokodile, Brüllaffen, Papageien und Faultiere» gebe, sagte Luchsinger weiter.

Hoppla!

Wer ist dieser so hochgelobte Josef Ritler, den wir in seinem Heim bei Luzern zum Gespräch treffen? Geboren wird Josef nur ein paar Tage nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Polen am ersten Sonntag im August 1939. Er kommt als Ältester von acht Kindern in Raron im Wallis zur Welt. «Getauft wurde ich ein paar Meter neben dem Grab von Rainer Maria Rilke – und genützt hat es nichts», sagt Josef scherzhaft. Tatsächlich liegt südlich der Burgkirche der grosse deutsche Lyriker begraben.

Schlau wie ein Fuchs

Die Kinder- und Jugendjahre seien «hervorragend» gewesen, sagt er mit einem schalkhaften Schmunzeln und wir fragen uns, wie ernst er dies meinst. Zunächst besucht er die Schule in Naters. Weil er von seinen Mitschülern als vermeintlicher Streber verprügelt wird, schicken ihn die Eltern nach Brig zur Schule. Bei den Pfadfindern erhält er den Namen «Giraffe», «weil ich immer der Längste war».

Sepp mag den Schulbetrieb, könnte sich damals vorstellen, dereinst Lehrer zu werden. Vater sieht ihn mehr als Velorennfahrer. Seine Begründung: Er habe eine grosse Nase – wie Ferdi Kübler. Unter anderem, weil das Geld für ein Velo fehlt, beginnt der Jüngling eine Lehre als Maurer. Doch nach zwei Jahren muss er wegen einer Zementallergie die Reissleine ziehen. Er beginnt eine Fotografenlehre im Photohaus Pelikan in Luzern und hängt gleich noch die Kunstgewerbeschule dran.

Stur wie ein Esel

Nach der Ausbildung schreibt und fotografiert er für diverse Zeitungen und die Armee. Einmal habe er im Auftrag der Armee nach Einsiedeln reisen müssen, um da Soldaten in einem WK abzulichten. Und schon beginnt er zu erzählen: «Auf dem Weg dahin habe ich beobachtet, wie ein Film gedreht wird. Ich wollte fotografieren, wurde aber weggewiesen. So bin ich heimlich zurückgeschlichen, habe mich unter einem Lastwagen versteckt – und fotografiert».

Weil es sich um Dreharbeiten für einen Film zur Expo ‘64 handelte und die Boulevardzeitung «Blick» gerade täglich Beiträge zur bevorstehenden Landesausstellung publiziert, wird er von «Blick» kontaktiert. Seppis Fotos ergeben eine dreiseitige Reportage. Und eine Anfrage, ob er nicht beim Boulevardblatt arbeiten wolle. Er will, trotz Veto des Vaters, der das «Revolverblatt» wie viele Zeitgenossen damals nicht mag. Es sollten danach ganze 40 Jahre (und geschätzte 6000 Beiträge) werden, die Josef Ritler in Diensten von Ringier stehen würde.

Neugierig wie eine Katze

Ob er sich noch an seinen allerersten Auftrag erinnern könne, fragen wir ihn. Er nickt und es folgt die passende Geschichte dazu: Auf dem Weg ins Verzascatal (übrigens per Autostopp), wo seine damalige Freundin und spätere Frau Antoinette wohnt, erspäht er ein Auto, das in die Schöllenen-Schlucht hinabgestürzt war. Er macht ein Foto und verkauft es den interessierten Zeitungen.

Beim Erzählen erinnert er sich an seinen allerersten Beitrag in einer Zeitung. Und berichtet: «Meine Eltern rieten mir damals vom Kauf eines Fotoapparats ab. Selbstverständlich kaufte ich trotzdem eine Kamera und begann zu fotografieren.» Das erste Bild von ihm – ein Schnappschuss, entstanden im Pfadilager – erscheint mit Text im «Walliser Boten». So kommt es aus, dass er einen Apparat besitzt.

Obwohl er mittlerweise zahlreiche Kameras besitzt, hat er seinen ersten Apparat noch immer bei sich zuhause: Es ist ein Agfa Silette, eine Kleinbild-Sucherkamera.

Seine erste grössere Reportage sei damals anno 1965 der Gletscherabbruch des Allalingletschers in Mattmark gewesen, wo 88 Bauarbeiter ihr Leben verloren haben. «Ich war für den Blick eine ganze Woche da oben.» Sein Renommee als rasender Reporter ist rasch derart gross, dass immer dann, wenn es etwas Wichtiges zu tun gibt für ihn, «Blick» einen Helikopter zum Haus der Ritlers schickt, wo er nur noch Platz nehmen kann.

Mit dem Heli habe er auch Prinz Charles und Lady Diana verfolgt seinerzeit. Sepp kramt wieder in Erinnerungen: «Blick erhielt eine Telex-Nachricht aus England, wonach das Thronfolgerpaar in die Schweiz zum Skifahren anreise. Ein Informant rief mich an und sagte, er habe die beiden auf der Piste gesehen. Mit dem Heli flogen wir hin. Als wir sie sahen, stieg ich aus, schnallte die Skies an und verfolgte sie. Die beiden kamen tatsächlich mit dem gleichen Skibügel und ich drückte ab. Sie kamen zu mir und ich fragte, ob ich noch ein paar zusätzliche Fotos machen dürfe. Charles verneinte mit dem Hinweis, seine Frau sei nicht gut drauf. Dann verschwanden sie mit ihren Bodyguards zum Essen. Weil sie danach unauffindbar waren, suchten wir mit dem Heli sämtliche Pisten ab, bis wir sie wieder entdeckten. Diana fuchtelte hässig mit dem Skistock und «The Sun» berichtete später, die Prinzessin habe einen Helikopter mit dem Skistock angegriffen. Etwas später war sie offenbar besser gelaunt und ich durfte endlich fotografieren. Mit dem Heli flogen wir anschliessend nach Zürich, wo man in der Redaktion schon auf die Fotoausbeute wartete.»

Fleissig wie eine Ameise

Josef Ritler war also so etwas wie ein typischer Paparazzo. Aber auch ein «Witwenschüttler»? «Man sagt es», räumt er ein, erklärt aber: «Als Katholik hatte ich immer einen Rosenkranz bei mir. Wenn zum Beispiel im Urnerland eine Lawine niederging und Menschen zu Tode kamen, ging ich immer zuerst im Dorf mit den Menschen beten und reden, bevor ich zum Fotoapparat gegriffen habe. So hatte ich relevante Informationen meist noch vor dem Bild.»

Er und seine Berufskolleginnen und -kollegen waren damals, als der «Blick» noch einen zweifelhaften Ruf genoss, auch mit Vorurteilen und zum Teil heftiger Ablehnung konfrontiert. Er erinnert sich: «Es gab Morddrohungen, die Pneus wurden aufgeschlitzt und es wurde versucht, die Familie auseinanderzubringen». Im Bundeshaus war der «Blick» einige Zeit geächtet. Und die «Blick»-Journalistinnen und Journalisten wurden nicht akkreditiert. Er habe sich nicht beirren lassen. «Sowas hat mich im Gegenteil angespornt…»

 

Sepp, warst du ein sensationsgeiler Reporter?

«Nein! Aber ich wollte immer der Erste sein», lautet seine Antwort.

Damals, erklärt er, habe er überall Visitenkarten mit dem Hinweis verteilt, man möge ihn doch bitte anrufen, wenn irgendwo etwas geschieht. «So war ich häufig noch vor der Polizei am Schauplatz. Im Kofferraum hatte ich immer ein Leintuch dabei, mit dem ich allfällige Todesopfer zugedeckt habe.» Leichen, schiebt er nach, habe er nie fotografiert – «ausser in Mattmark und Würenlingen nach dem Flugzeugabsturz.» Und es sei für ihn immer dann schwierig gewesen, wenn es um Kinder ging oder solche beteiligt waren. Ansonsten habe er professionell funktioniert: «Es ist wie bei einem Polizisten oder einem Feuerwehrmann: Man macht seinen Job, liefert ab und erst dann kommen die Emotionen…»

Hast du einen sechsten Sinn?

Diese Frage bejaht er. Es sei soweit gegangen, dass er morgens beim Aufwachen seiner Frau gesagt habe: «Ich spüre es in der Nase: Heute passiert etwas Verrücktes, jetzt müssen die Jeans bereit sein. Oder: heute geschieht nichts und ich arbeite im Büro.»

Allerdings: Ohne Krawatte rückt Josef Ritler nie aus, was auch immer es zu tun gibt. Doch dies gehört der Vergangenheit ab. Krawatten habe er zwar noch, sagt er. Aber umbinden tut er sie nur noch selten.

Was, Seppi, macht einen guten Reporter aus?

«In erster Linie die Neugier – die habe ich noch heute. Und dann das Handwerk».

Wer die publizierten Fotos von Josef Ritler sichtet, der gerät ins Staunen. Tatsächlich hat er so manchen Promi vor seine Linse bekommen. Auf die entsprechende Frage schöpft er wieder aus dem Vollen und erzählt. Zum Beispiel von Papst Johannes Paul II: «Als er in die Schweiz kam, waren wir auf Flüeli-Ranft und warteten auf ihn. Dann kam er mit dem Heli. Ich stand beim damaligen Bischof Ernst Heinrich Karlen (auch ein Walliser) und plötzlich war der Papst bei uns. Ich begann zu fotografieren, lief rückwärts und fiel fast hin. Der Papst kam näher und stand mir unabsichtlich auf die Füsse.»

Beeindruckt haben ihn in den vier Jahrzehnten in Diensten von «Blick» besonders auch Charlie Chaplin, Art Furrer, Dölf Ogi, Hazy Osterwald «und alle, die etwas zu sagen hatten». Interessant ist die Tatsache, dass Sepp Ritler nicht nur die Promis fotografierte, sondern immer auch sicherstellte, dass es ein Bild von ihm selber mit den jeweiligen Promis gab. «Mein erster Chefredaktor sagte mir damals, ich müsse ein solches Bild unbedingt auch realisieren. Das habe ich bis heute durchgezogen.» So gesehen darf man feststellen, dass Josef Ritler den heutigen Influencern und Instagram-Stars um Jahre voraus war…

Gedächtnis wie ein Elefant

Unser Blick schweift im Wohnzimmer der Ritlers umher und bleibt bei einem Buchcover hängen, auf dem der frühere James Bond-Darsteller Sean Connery mit seinem Aston Martin zu sehen ist. Weshalb wundert es uns nicht, dass das ikonische Schwarzweiss-Bild von Sepp stammt? Eben. Er erinnert sich gut daran, dass die Filmcrew damals im Sommer 1964 die berühmte Autoverfolgungs-Szene am Furkapass für «Goldfinger» gedreht hat. Und er mittendrin. Einmal mehr: «Blick war dabei!»

Was tut Ritler, nachdem er nach 40 Jahren im Dienste von Ringier in Frühpension geht? Den Ruhestand geniessen? Von wegen! Er lässt sich vom damaligen Regional-TV «TeleTell» als gelegentlicher VJ anheuern.

Haben gedruckte Zeitungen und Zeitschriften eine Zukunft?

«Auf jeden Fall! Papier ist sinnlich und ich bin überzeugt, dass es auch in Zukunft noch gedruckte Zeitungen und Zeitschriften geben wird.»

Sepp Ritler selber konsumiert eigenen Angaben zufolge «alles, was übers Handy reinkommt.» Zudem lese er täglich den «Blick», die «Luzerner Zeitung» und den «Tagi». Um 07:30 Uhr morgens habe er sich diese Printprodukte meist schon zu Gemüte geführt, sagt er und ergänzt: «Dann fahre ich mit dem Bus in die Stadt Luzern, laufe sechs Kilometer dem See entlang, mache mit dem Handy ein Morgenbild und stelle es ins Facebook. Danach gehe ich ins Fitness.»

Drei Fragen zum Schluss sollen es noch sein. Die erste Frage dreht sich um die total zwölf Chefredaktoren, die Sepp Ritler in seinen Jahren bei «Blick» erlebt hat. Also:

Wer von diesen zwölf Chefredaktoren hat dich am meisten beeindruckt?

«Peter Übersax (1925-2011) und Fridolin Luchsinger (*1939)».

Seppi Ritler und seine Frau: «Sie ist ein Goldschatz».          Fotos Christian Roth

Hat das Familienleben angesichts deines Jobs gelitten?

«Die Familie war es sich daran gewöhnt, dass der Mann und Vater immer wieder zu allen Tages- und Nachtzeiten hat ausrücken müssen. Und meine Frau ist ein Goldschatz – sie hat nie reklamiert.»

Letzte Frage: Gibt es eine Reportage oder ein Thema, das du in all deinen Berufsjahren nie hast realisieren können? Wenn ja, was fehlt in deinem Palmares?

«Nichts. Ich habe soooo Vieles erlebt. Das reicht!»

Seppi Ritler ist zwar mit 85 Lenzen längst im verdienten Ruhestand. Dennoch ist er auch heute noch mit Kamera und Schreibzeug unterwegs, um für www.seniorweb.ch spannende Beiträge zu realisieren.

www.ritlermedia.ch

Titelbild: Seppi Ritler auf der Lauer mit einer seiner vielen Kameras. Grosse Fotos: Christian Roth.

Einige weitere wichtige Fotos, geschossen von Josef Ritler

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