Mit der gesellschaftspolitischen und kulturellen Bedeutung von Vereinen im 21. Jahrhundert und der Entwicklung der Agglomerationen im Schweizer Mittelland befassen sich zwei interessante Ausstellungen im Kornhausforum Bern. Grundlage für die Präsentation «Festival der Vereine» war eine Umfrage unter mehr als achtzig Berner Vereinen.
Mir hei e Verein, i ghöre derzue
Und d’Lüt säge, lue dä ghört o derzue
Und mängisch ghören i würklech derzue
Und i sta derzue.
Und de gsehn i de settig, die ghöre derzue
Und hei doch mit mir im Grund gno nüt z’tue
Und anderi won doch piess derzue
Ghöre nid derzue.
Und ou was si mache, die wo derzue
Tüe ghöre, da standen i nid geng derzue
Und mängisch frage mi d’Lüt, du lue
Ghörsch du da derzue?…….
Mani Matters Chanson passt auch sechzig Jahre nach seiner Entstehung noch immer zur Schweizer Vereinslandschaft: Es gibt Sportvereine, Theater- und Trachtenvereine, Jodler-, Bienen- und Kaninchenzüchtervereine. Ebenso vielfältig sind deren Mitglieder: Pfadfinder, Musikanten, Schützen, Hornusser, Turnerinnen und Turner, Eisenbahnfreunde, Kegler, Wanderer, Webstübeler, Tänzerinnen und Tänzer, freiwillig Pflegende, Bastlerinnen und Bastler, Youngster und Oldtimer, Aktive, Passive und Vorstandsmitglieder. Sie pflegen dasselbe Hobby, sind aber nicht immer der gleichen Meinung.
Sportvereine stellen einen Grossteil der Schweizer Vereinsmitglieder. Ihre Fotos hängen am Eingang zur Ausstellung «Festival der Vereine».
Experten schätzen die Zahl der Vereine schweizweit auf 80’000 bis 100’000. Ganz genau weiss das niemand, denn es gibt keine Pflicht zur Eintragung ins Handels- oder in ein Vereinsregister. Lediglich zwei natürliche oder juristische Personen sind für eine Vereinsgründung notwendig. Kapital muss bei der Vereinsgründung keins vorhanden sein. Sobald die Gründungsmitglieder die Statuten genehmigt haben, existiert der Verein. Die Statuten müssen laut Vereinsrecht mindestens folgende Angaben enthalten sein: Name und Zweck des Vereins. Welche Organe leiten den Verein? Mit welchen finanziellen Mitteln wird der Vereinszweck erfüllt?
Umfrage brachte interessante Rückmeldungen
Nun widmet das Kornhausforum Bern den Vereinen eine eigene, vertiefende Ausstellung. Eine breit angelegte Umfrage hat interessante Ergebnisse, Einsichten und Stimmen gebracht. Wie finanzieren sich Vereine heute? Haben sie Nachwuchssorgen? Was leisten Vereine für die Allgemeinheit? Sind Ehrenamt und Freiwilligkeit ein Problem? Chancen und Nutzen der Digitalisierung? Vereine als Schulen der Toleranz? Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit? Wird es bald keine Vereine mehr geben?
Experte Markus Lamprecht verneint ein Vereinssterben. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Vereinen und erstellt jeweils den Freiwilligenmonitor für die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft. «Die Zahl der Vereine ist in den letzten Jahrzehnten recht stabil», sagt Lamprecht. Zwar habe es in letzter Zeit bei der grössten Schweizer Vereinsgruppe, den Sportvereinen, einen Rückgang gegeben. Dieser sei aber auf viele Fusionen zurückzuführen. «Nebst dem, dass einige Vereine sterben, kommen auch immer wieder neue dazu, das gleicht sich eigentlich aus», erklärt Lamprecht. Über alle Vereine gesehen, gebe es in der Schweiz kein Vereinssterben.
Ob Schwinger, Jodler, Schützen oder Blasmusikanten: Die Vereinsmitglieder sind aufeinander angewiesen.
Zugehörigkeit und Toleranz
«Ich denke, dass das Vereinsleben die Möglichkeit bietet, mit Menschen aus anderen Generationen, Berufen und mit anderen Ideen zusammenzutreffen und die Vielfalt zu erleben,» findet André, Mitglied der Musikgesellschaft Köniz. Und Lilian, Mitglied im Orchester Münsingen, ergänzt: «Zusammengehörigkeit erachte ich als menschliches Bedürfnis. Gesellig sein und irgendwo dazuzugehören, ausserhalb der Familie, geniesse ich. Es sind die Eigenheiten der einzelnen Mitglieder, die es familiär machen, da man sich mit den Stärken und Schwächen auseinandersetzen muss, und gleichzeitig am gleichen Strang zieht.»
Andere Stimmen erwähnen den volkswirtschaftlichen Nutzen. «Vereine und ehrenamtliche Tätigkeiten übernehmen gerade in ländlichen Regionen immer wieder Infrastrukturen und Angebote, die die kommunale Hand selbst nicht tragen kann oder die von privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht gewinnorientiert betrieben werden können», liest man in der Ausstellung.
Am Beispiel der über 100jährigen Theatergesellschaft «Zytglöggeler» erfahren die Besucher, wie wichtig Tradition und Geschichte für die Vereine sind.
Verständlich, dass es angesichts des Nutzens für die Allgemeinheit auch Stimmen gibt, die eine stärkere Unterstützung der Vereine durch die öffentliche Hand fordern. Ihre Meinung dazu können die Besucherinnen und Besucher in einer Online-Umfrage abgeben. Bleibt noch die Frage, wie man die jüngere Generation für die Vereinsarbeit begeistern kann. Dazu haben sich Mitglieder des Pfadfindervereins Bern geäussert. «Die Pfadi lebt vom Engagement von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, das wächst. Da es heute vielfältige Methoden und Möglichkeiten gibt, sich sozial, politisch, gesellschaftlich zu engagieren, vervielfältigt sich dies auch unter den Jugendlichen,» liest man. «Die Pfadi wächst seit 15 Jahren nachhaltig, weil hier die Jungen das Sagen haben.»
Lena Bärtschiger vom Ausstellungsteam verwies anlässlich der Vernissage auf zahlreiche Veranstaltungen: An einem Vereinskarussell präsentieren am 30. November 2024 Mitglieder von mehreren Vereinen ab 13 Uhr Ausschnitte aus ihren Tätigkeiten. Die Veranstaltung dient auch der Vernetzung und dem gegenseitigen Erfahrungsaustausch.
LINK Vereinskarussell
«Vorortschweiz»
Im Stadtsaal des Kornhausforums findet derweil eine zweite interessante Ausstellung statt, die sich mit den Vororten im Schweizer Mittelland beschäftigt: Was sind die Beweggründe und Motivationen, in der Schweizer Agglomeration oder im Mittelland zu wohnen? Sind es eher ökonomisch-pragmatische Gründe oder ein Entscheid der Herkunft, Verbundenheit oder sogar der Sehnsucht auf ein Landleben?
Die Hecke (links) als unverzichtbares Element der Raumgliederung im Schweizer Vorort (rechts).
Die Ausstellung präsentiert die scheinbar typischen Wohn- und Arbeitsarchitekturen in ausgewählten Gemeinden und zeigt auf, welche Verbindungen zwischen Politik, Dorfentwicklung und Siedlungsformen bestehen. Im Mittelpunkt steht eine künstliche Hecke als unverzichtbares Element der Raumgliederung. Steril und abweisend.
Das Leben scheint woanders stattzufinden als in diesen Vororten. Kurator Nicolas Kerksieck will die Ausstellung allerdings nicht als Kritik an der Baukultur der Agglomeration verstanden wissen. Der Architekturhistoriker Dieter Schnell, Professor für Kulturtheorie und Denkmalpflege an der Berner Fachhochschule, stellte im Interview mit dem «Bund» fest, «dass sich unser Leben heute in zwei Sphären abspielt: in einer Arbeitswelt und in einer Wohnwelt.» Die beiden seien örtlich getrennt. Die Arbeit finde auswärts statt.
Von den zweckdienlichen Hecken-Bepflanzungen der Agglomeration führt die Ausstellung in die Wälder des Mittellandes, einem erstaunlichen und scheinbar urwüchsigen Dschungel direkt vor der Haustüre. Ihre Fotos, Videos, Installationen und Visionen zeigen folgende Künstlerinnen und Künstler: Simon Baumann, Michael Blaser, Markus Bühler, Kathrin Gschwend, Purple Eye, Susanne Hefti, San Keller, Oliver Lang. Die beiden Ausstellungen wurden kuratiert von Nicolas Kerksieck, Lena Bärtschiger, Oliver Degen und Clara Sollberger.
Das Aussstellungsplakat neben dem Eingang, hinter dem Berner Kornhaus
Die beiden Ausstellungen sind bis am 2. Februar 2025 geöffnet. Der Eintritt ist jeden Tag gratis.
Titelbild: Der Jodlerklub Maiglöggli aus Jegenstorf konzertierte anlässlich der Vernissage vor der Hecke. Foto: Lena Bärtschiger. Übrige Fotos PS.
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Literatur- und Kunstvereine ? Wo sind die? Gehören sie nicht dazu?