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«Im Wohnzimmer der Vögel»

2024 ist die Vogelwarte Sempach hundertjährig geworden. 1924 begann es mit dem Beringen von Vögeln, heute ist aus dem Einmannbetrieb eine Stiftung mit internationaler Ausstrahlung für die Erforschung und den Schutz der Vögel geworden.

Livio Rey von der Vogelwarte sagt, dass die Vision von einst heute immer noch gelte, nämlich die heimische Vogelwelt zu verstehen und ihre Vielfalt für künftige Generationen zu bewahren. Dazu gehöre, dass man sich draussen «im Wohnzimmer der Vögel, eigentlich aller Wildtiere» mit Respekt und Rücksichtnahme aufhalte.

Die Festgemeinde vor dem Beobachtungsturm bei der Eröffnung der Vogelwarte Sempach am 6. April 1924. Foto: © Vogelwarte Sempach

Begonnen hat die hundertjährige Geschichte der Vogelwarte mit dem Ornithologen Alfred Schifferli. Er stellte der neu gegründeten Organisation ein Zimmer in seinem Sempacher Haus zur Verfügung, baute eine Fachbibliothek auf und sorgte für den Bau eines Beobachtungsturms.

Vogelwarte-Gründer Alfred Schifferli mit einem handaufgezogenen Grossen Brachvogel aus dem Wauwilermoos. Foto © Else Schifferli

Die Beringung von Vögeln war der Ursprung der Datensammlung, aber auch ein Jahrhundert später sind zählen, erforschen und schützen der Vogelwelt die zentralen Aufgaben, seit 2015 im neuen Besuchszentrum.

«In Afrika verbringen viele unserer heimischen Brutvögel mehr Zeit als bei uns,» sagt Rey. Verschiedene Projekte zur Erhaltung der Lebensräume südlich der Sahara sind im Gange, beispielsweise in Burkina Faso. Seit 2021 koordiniert die Schweizerische Vogelwarte den afrikanisch-eurasische Aktionsplan für ziehende Landvögel. Derselbe ist ein Instrument der UN-Konvention über wandernde wildlebende Tierarten (CMS).

Bruno Bruderer am Radar verfolgt 1969 den Vogelzug über die Alpen ans Mittelmeer und weiter. Foto © Vogelwarte Sempach

Die Stiftung Vogelwarte ist getragen von Spenden aus der Bevölkerung. Im Jubiläumsjahr wollte man darum den Menschen etwas zurückzugeben. Vor allem mit Tagen der Offenen Tür in Sempach, einem Stand an der Olma, Referaten da und dort. Am spektakulärsten zum 100. Geburtstag der Vogelwarte war die Illumination des Bundeshauses. «Die Zusammenarbeit mit dem Rendez-vous Bundesplatz ist eine grossartige Plattform, um die Schweizer Vogelwelt mehr ins Bewusstsein zu rücken», sagte Matthias Kestenholz, Institutsleiter der Vogelwarte Sempach bei der Premiere am 19. Oktober 2024.

Rund 620’000 Menschen haben sich die faszinierende Reise in die heimische Vogelwelt an der Fassade des Bundeshauses angeschaut. Foto: © Starlight Events

Aber auch für die Vögel wird gesorgt: Mit dem Rahmenprogramm «Aufschwung für die Vogelwelt» schafft die Vogelwarte gemeinsam mit Partnern neue Flächen für die Vögel und die Biodiversität in der ganzen Schweiz.

Nestlinge des gefährdeten Feldsperlings in der Pflegestation der Vogelwarte. Foto © Vogelwarte Sempach

Rund 40 Prozent der Brutvögel stehen auf der Roten Liste, vor allem, weil viele naturnahe, hochwertige Lebensräume verloren gegangen sind. Dazu zählen die Feldlerche, der Kiebitz, das Alpenschneehuhn oder der Feldsperling. Auf Land im Besitz von anderen Eigentümern unterstützt die Vogelwarte finanziell und mit Beratung den Aufbau von Biotopen, welche vor allem gefährdeten Brutvogelarten nützen.

Das Rotkehlchen ist vom Verein Birdlife Schweiz zum Vogel des Jahres 2025 erkoren worden. Die zurzeit hier anwesenden Rotbrüstli sind aus dem Norden hierher gezogen, während 90 Prozent der bei uns brütenden Vögel in den Süden ziehen. Foto © Pexels Phil Mitchell

Seit den 1990er Jahren konnte im Klettgau dank mehr Strukturen und Biodiversitätsförderflächen im Ackerland der Bestand an Brutvögeln und Feldhasen gesteigert werden, eine Wiederansiedlung des Rebhuhns ist dagegen nicht gelungen. Erst im vergangenen Jahr wurde der Lebensraum für den Waldlaubsänger auf dem «Hundsrücken» in Duggingen/BL durch gezielte forstliche Massnahmen aufgewertet, oder im Gürbetal/BE entsteht in der Landwirtschaftszone neuer Raum für Biodiversität mit verschiedenen Gewässern, Stein- und Asthaufen sowie einer Hecke als Lebensraum für Zug- und Brutvögel, sowie Libellen, Amphibien und Tagfalter.

Der Bartgeier konnte erfolgreich wieder angesiedelt werde. Foto © Pexels Wildclicks

Wie es um die Vogelwelt heute stehe, wollten wir wissen. Einfach sei die Antwort nicht, sagt Rey Zwar haben viele Bestände in den letzten Jahren leicht zugelegt, aber 40 Prozent der Arten stehen nach wie vor auf der roten Liste, vor allem Arten, die auf Feuchtgebiete angewiesen sind oder in landwirtschaftlichen Flächen, die intensiv genutzt werden, nicht überleben können. Die Berggebiete verändern sich in zweierlei Hinsicht nicht unbedingt zum Positiven für den Artenschutz: Verlassene Alpen verganden, es breitet sich Wald aus, was für Bergvögel ein Problem ist, zugleich werden die Bergwiesen intensiver bewirtschaftet als früher, statt artenreiche Blumenwiesen werden immer mehr gedüngte Grünflächen mit Fettgräsern angebaut, die immer früher gemäht werden, was den Wiesenbrütern wie der Feldlerche oder dem Braunkehlchen das Überleben erschwert.

Die Blumenwiese statt eines englischen Rasens ist ein Stück Biodiversität im Garten der Autorin.

Hier wäre – so Livio Rey von der Vogelwarte – der Gesetzgeber gefragt, und an uns wäre es, bei Wahlen und Abstimmungen zugunsten der Natur zu entscheiden. Dazu können wir mit unserem Konsumverhalten beitragen, dass die Landwirtschaft naturfreundlicher produziert. Bedrohten Vogelarten helfen wir am besten, indem wir die Regeln in Schutzgebieten einhalten und Störungen in der Natur möglichst vermeiden, dazu gehören auch der Drohnen-Flug oder frei laufende Hunde.

Wer einen Garten hat, kann statt klinisch aufgeräumter Rabatten und einem englischen Rasen mit Holz- und Laubhaufen sowie einer Blumenwiese und einheimischen Sträuchern und Stauden das «Wohnzimmer» der Vögel so möblieren, dass es allen Wildtieren besser geht, denn ohne Insekten und Würmer können die Vögel nicht überleben. Während die Früchte des neuerdings nicht mehr gehandelten Kirschlorbeers nur von Amseln gepickt werden, kann ein Vogelbeerstrauch Nahrung für rund zwanzig Arten bieten.

Weichfresser wie die Amsel kann man mit Obst, zerhackten Nüssen oder Haferflocken füttern © Marcel Burkhardt

Nicht nötig ist die Winterfütterung, weil sich am Futterhäuschen vorwiegend die häufigen Arten wie Meisen und Rotkehlchen gütlich tun. Aber vielleicht tut es uns gut, den emsigen Betrieb draussen vor dem Fenster zu beobachten und vielleicht stimmt es uns ein, den Vogelschutz als Teil der Erhaltung der Biodiversität besser zu verstehen.

Titelbild: Die Vogelwarte feiert ihr 100-jähriges Jubiläum mit der spektakulären Show «Volare» am Bundeshaus vom 19. Oktober bis 23. November. Bild: © Starlight Events

Vogelwarte Sempach

 

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