StartseiteMagazinKolumnenDirekte Demokratie -  tiefe Medienkompetenz

Direkte Demokratie –  tiefe Medienkompetenz

Manchmal sind es die kleinen Artikel, die in den grossen Medien erscheinen, die es in sich haben. Da publiziert der Tagesanzeiger eine Meldung der schweizerischen Depeschenagentur SDA. Darin heisst es: «Die Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung ist laut einer vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom) in Auftrag gegebenen Studie nicht sehr hoch. Vielen Befragten fällt es schwer, bei Artikeln zwischen Information, Kommentar oder Werbung zu unterscheiden». Es kommt noch erstaunlicher: «Ein Fünftel der Befragten ist bei der Umfrage der Meinung gewesen, dass Medien und Politik Hand in Hand arbeiteten, um die Bevölkerung zu manipulieren.» Das ist nun aber tatsächlich eine happige Erkenntnis. Und so etwas in unserem direkt demokratisch verfassten Staat, in dem eines Voraussetzung ist: die gut informierte Bürgerin, der gut informierte Bürger. Genauer Stimmbürger*innen, um mal den Stern zu gebrauchen. Noch ein Nachtrag: Für die repräsentative Erhebung wurden rund 3’000 Personen online befragt.

Hatten wir in diesem Jahr nicht über entscheidende, tiefgreifende Abstimmungs-Vorlagen zu entscheiden? Waren wir bestens informiert? Einmal stimmten wir einer 13. AHV-Rente zu, die über 4 Milliarden Franken jährlich kosten wird. Dann schickten wir die  BVG-Revision bachab, an der, wie in der Vorlage vorgesehen, nur leichte Retuschen vorgenommen werden sollten, statt eine Reform an Haupt und Gliedern. Und dann stimmten wir knapp der neuen Finanzierung der Gesundheitskosten zu. Ob sie das bringt, was Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments darlegten, nämlich tiefere Krankenkassen-Prämien, ist mehr als fraglich.

Und dann noch dies: Das Renteneintrittsalter der Frauen steigt ab dem kommenden Jahr definitiv schrittweise von 64 auf 65 Jahre an. Das Bundesgericht hat den 50,5% der Abstimmenden Recht gegeben. Auch wenn das Resultat noch so knapp ausgefallen ist. Auch wenn die Mehrheit der Betroffenen, die Frauen, eine Erhöhung massiv abgelehnt haben. Und auch wenn das Bundesgericht den Bundesrat rügt, weil er mit falschen Zahlen, mit zu hohen Defiziten der AHV für ein Ja geworben hat. Punkt: Das Bundesgericht hat abschliessend entschieden: Mehrheit ist Mehrheit.

Die Beschwerde-Führerinnen gaben sich nach dem Urteil nicht entmutigt. Lisa Mazzone, Präsidentin der Grünen, beklagte den fehlenden Mut der Richter. Die irreführende Information des Bundesrates werde banalisiert, weil sie die Frauen betreffe. Es seien Männer, die nun sagten: «Nicht so schlimm». Genauso kämpferisch gab sich SP-Nationalrätin Tamara Funiciello: «Heute haben wir verloren, morgen werden wir gewinnen. Die Gründe des Gerichts mögen korrekt sein, aber der Bundesrat hat falsch informiert.» Dafür sei er nun immerhin gerügt worden.

Ja, der Bundesrat und seine Information. Wenn er davon ausgeht, dass er mit einer auch noch so guten Information auch kommuniziert hat, so täuscht er sich. Kommuniziert hat er erst dann, wenn die Bevölkerung auch verstanden hat. Das gilt nicht nur für den Bundesrat, sondern für  alle, für die Politik insgesamt, auf welcher Stufe auch immer, für die Behörden, die Wirtschaft, die Gesellschaft insgesamt. Selbst in einem persönlichen Gespräch ist darauf zu achten, dass das Gegenüber die Botschaft auch verstanden hat. Das ist anspruchsvoll und ist nur schwer jederzeit zu leisten, vor allem vom Bundesrat.

Berücksichtigt man noch, dass die Medienkompetenz der Schweizer Bevölkerung «nicht gerade hoch ist und ein Fünftel der Befragten der Meinung ist, dass Medien und Politik Hand in Hand arbeiteten, um die Bevölkerung zu manipulieren*, so ist Handlungsbedarf gegeben. Nach der «NZZ am Sonntag» gibt es in der Bundesverwaltung 420 Vollzeitstellen für die Öffentlichkeitsarbeit. Jährlich werden rund 117 Millionen Franken ausgegeben, um die Politik verständlich zu machen. An Personal und Geld fehlt es also nicht. Fehlt es an Ideen und Initiativen? Wohl eher. Was bis jetzt sicher fehlte, ist unbestritten: die Sorgsamkeit beim Verfassen des Bundesbüchleins. Dass es bieder daherkommt, kann man verzeihen, dass es manchmal gar fehlerhaft ist, vage Prognosen enthält, ist der direkten Demokratie nicht würdig. In der stetig voranschreitenden Digitalisierung, der Entwicklung der soziale Medien gepaart mit der Künstlichen Intelligenz KI, sollte es möglich sein, neue Formen der Kommunikation zu entwickeln. Als Ersatz für das Bundesbüchlein, damit der Dialog zwischen dem Bundesrat und der Wählerschaft neue Dimensionen erlangt.

Und eines bleibe nicht unterschlagen: Wir stellen die andere Seite dar, das Gegenüber. Können wir zuhören, sind wir willens, auch verstehen zu wollen? Die direkte Demokratie, soll sie funktionieren, ist auf die engagierte Bürgerin, den engagierten Bürger angewiesen. Was sich so leicht hinschreiben lässt, ist weit schwieriger umzusetzen, weit anspruchsvoller, als es tönt. Die nächste Nagelprobe steht uns bald bevor. Am nächsten Freitag will der Bundesrat das Verhandlungsergebnis mit der EU vorstellen. Danach sind wir herausgefordert. Wir haben zuzuhören, zu verstehen, abzuwägen und letztlich zu entscheiden.

Spenden

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, Sie zum Denken angeregt, gar herausgefordert hat, sind wir um Ihre Unterstützung sehr dankbar. Unsere Mitarbeiter:innen sind alle ehrenamtlich tätig.
Mit Ihrem Beitrag ermöglichen Sie uns, die Website laufend zu optimieren, Sie auf dem neusten Stand zu halten. Seniorweb dankt Ihnen herzlich.

IBAN CH15 0483 5099 1604 4100 0<

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-