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Wissen volksnah, mitten in Zürich

Gehen Sie ins Naturhistorische Museum! Ein Spaziergang durch Lebensräume und -zeiten auf unserem Planeten für Menschen zwischen drei und dreiundneunzig.

Vor einem nachgebildeten Dinosaurier sitzen drei Kinder mit einem Zeichenblock und Buntstiften. Sie üben sich darin, das seltsame Tier darzustellen. Ähnlich – wenn auch mit einfacheren Hilfsmitteln – mögen schon vor 30 000 Jahren unsere Vorfahren der Gattung Mensch von der Art Sapiens gelernt haben, Tiere ihrer damaligen Welt an Höhlenwände zu bannen, Bilder, die derart künstlerisch anmuten, dass sie modernen Werken in nichts nachstehen. Man betrachte nur die Pferdedarstellungen in der Chauvet-Höhle (Ardèche, FR).

Fortbewegung von vier Beinen auf zwei Beinen. (Bild: Michele Di Fede / Naturhistorisches Museum UZH)

Vor einem Skelett beantworten Schüler auf ihrem Tablet Fragen für die Schule, deren Antworten sie aus einer Säule mit digitalen Informationen entnehmen. Auch englischsprachige Touristen informieren sich an dieser modernen Auskunftsquelle. Erwachsene betrachten in einem abgedunkelten Raum Projektionen über den Neandertaler, der auch zu den Betrachtern spricht, während Kleinkinder, fast unsichtbar in der Dunkelheit, am Boden herumkrabbeln.

Der Australopithecus afarensis Lucy mit ihren Fussspuren (Bild: Michele Di Fede / Naturhistorisches Museum UZH)

Eine mediale Projektion zeigt, wie die Eiszeiten Landschaft und Tierwelt geprägt haben. Der Rundgang führt auch zu einem Sektor mit Tierpräparaten. Sie visualisieren, welche Art der Fortbewegung auf zwei Beinen die Evolution hervorgebracht hat: Hüpfen, watscheln, gehen. Und weil das Laufen auf nur zwei Beinen unstabil ist, kommt es als Ausgleich zu bestimmten Körperbewegungen, die gerade bei Vögeln sehr erheiternd wirken können. Man denke an Pinguine.

Wie ist ein Insektenkopf gebaut? (Bild: Kinderregion)

Weitere Kleinkinder springen mit nackten Füssen über eine Fläche mit einem Spezialbelag, der die Fussabdrücke speichert und demonstriert. An diesem Ort darf man als kleiner Homo sapiens ein bisschen überschüssige Energie in Bewegung umsetzen. Denn es ist voll im Naturhistorischen Museum, voll nicht nur mit kleinen und grossen Menschen jeglicher Couleur. Die Räume sind auch reich bestückt mit Exponaten. Dies besonders seit der Zusammenlegung des ehemals Zoologischen Museums mit dem Paläontologischen Museum im März 2024 und kürzlich mit dem Anthropologischen Museum, was zum neuen Namen «Naturhistorisches Museum» führte.

Isabel Klusman, Leiterin des Museums. (Foto: Christine Kaiser)

Die Verdichtung seit der Zusammenlegung sei eine Herausforderung gewesen, gesteht die Neuro- und Humanbiologin sowie Museumsleiterin Isabel Klusman. Und damit nicht genug. «Am 19. Mai 2025 wird das Botanische Museum folgen.» Der Bereich Botanik werde sich dem Spannungsfeld Menschen und Pflanzen in der Stadt widmen. Ziel der Gesamtschau sei es, die Vielfalt und Schönheit unserer Lebenswelt, aber auch ihre Fragilität und Vergänglichkeit zu zeigen, sagt Isabel Klusman. Das Museum sei stolz darauf, all dieses Wissen einem breiten Spektrum an Besucherinnen und Besuchern ohne Eintrittsgeld zu vermitteln.

Hesperosaurus (Bild: Michele Di Fede / UZH)

Ein neuer Hauptanziehungspunkt dürfte neben den Dinosaurier-Skeletten (10 Exemplare konnte das Museum aus dem Sauriermuseum Aathal übernehmen) die Präsentation des Neandertalers sein, inklusive eines echten Schädels. Die Anthropologen haben ihn auf den Namen Orsa getauft. Orsa spricht im abgedunkelten Raum zum Publikum. Seine Menschenart lebte während einer Zeitspanne von vor 430 000 bis vor 40 000 Jahren.

Im naturhistorischen Museum kann man die ganz grossen und die ganz kleinen Tiere beobachten. (Bild: Kinderregion)

Er war «schrötiger» als der heutige Mensch, also gedrungener gebaut und muskulöser. Denn Orsa war ein 90-prozentiger Fleischesser und musste Tiere jagen. Die Kalorien dürfte er gebraucht haben, lebte er doch im so genannten Jungpaläolithikum, in der letzten Eiszeit, die erst vor 11 500 Jahren zu Ende ging.

Der Neandertaler – ausgestorbener Verwandter des modernen Menschen (Bild: Michele Di Fede / Naturhistorisches Museum UZH)

Für sein Aussterben werden verschiedene Ursachen vermutet: Einerseits die Konkurrenz zu unserer heutigen Menschenart, dem Homo sapiens, der sich vor etwa 60 000 Jahren in verschiedenen Wellen vom afrikanischen Kontinent her über die ganze Welt ausbreitete und möglicherweise der bessere Jäger war. Dazu kamen Klimaschwankungen und damit verbundene Hungersnöte. Es wird vermutet, dass im Zusammenhang mit einem Vulkanausbruch in der Gegend des heutigen Neapels eine gewaltige Aschenwolke über dem europäischen Kontinent dazu beigetragen hat, dass die Population von nur noch 10 000 Individuen endgültig ausstarb. Die zunehmende Dunkelheit und die stark pigmentierte Haut könnte dazu beigetragen haben, dass ihr Körper nicht mehr genug Vitamin D produzierte. Moderne Menschen in unseren Breitengraden tragen noch etwa zwei Prozent der Gene des Neandertalers in sich.

Fortbewegung auf zwei Beinen – watscheln, hüpfen, gehen. (Bild: Michele Di Fede)

Auch die Neandertaler kannten bereits Werkzeuge, nutzten Feuer und bestatteten ihre Toten, wie der Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch Eine kurze Geschichte der Menschheit berichtet. Dieses Verhalten rückt uns modernen Menschen diese nahen Verwandten ein Stückweit näher. Zudem habe man Knochen von Neandertalern gefunden, die jahrelang mit schweren körperlichen Behinderungen überlebt hatten, so Harari, was darauf schliessen lasse, dass sie von den Angehörigen ihrer Gruppe versorgt wurden.

Naturforscher werden, der Traum vieler Kinder. (Bild: Kinderregion)

Wenn dieser sympathische Vorfahre letztlich an den harten Klimabedingungen in Verbindung mit einem erschwerenden Naturereignis ausgestorben sein sollte, so erleben wir heute eine seltsame Umkehrung, indem wir es unsererseits mit einer selbst induzierten Klimaerwärmung zu tun haben, die wir trotz gewaltiger technischer Möglichkeiten nicht in den Griff bekommen.

Schädel eines ausgestorbenen Höhlenlöwen. (Bild: Michele Di Fede)

Ist der moderne Mensch überhaupt klüger als sein unmittelbarer Vorfahre? Eine einzige Mutation in der Grosshirnrinde soll uns höhere Intelligenz verschafft haben, meinen die Entdecker dieser Mutation. Naja! Vielleicht muss man möglichst bald auf weitere derartige Mutationen hoffen. Möglich jedoch, dass Homo sapiens im Endeffekt kürzer auf diesem Planeten gelebt haben wird als es der Neandertaler trotz Eiszeit und ohne fortgeschrittene Technologie vermochte. Der Neandertaler lebte 360 000 Jahre auf diesem Planeten. Homo sapiens hat bisher rund 300 000 Jahre auf dem Buckel.

Titelbild: «Orsas Welt»: Eiszeit, Neandertaler und Verwandtschaft (Bild: Michele Di Fede / Naturhistorisches Museum UZH)

Informationen für den Besuch des Naturhistorischen Museums der Universität Zürich (am Donnerstag abend nur für Erwachsene)
Seniorweb hat über die neuen Dinosaurier im Museum berichtet

 

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1 Kommentar

  1. Hervorragend! Sehr informativ und anregend! Ausgezeichnete Bilder und genau die richtige Mischung aus Bilder und Text. Ich muss das Naturhistorische Museum unbedingt wieder einmal besuchen. Herzlichen Dank für diesen Artikel!

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