Das Buch «Van Gogh in Paris» des Kunsthistorikers David Misteli richtet den Blick auf bisher wenig beachtete Arbeiten des Künstlers. Nur zwei Jahre, zwischen 1886 – 1888, lebte Vincent Van Gogh in der Metropole, wo er in seinem Wohnquartier Montmartre zahlreiche Ansichten malte.
Vincent Van Gogh (1853-1890) begann sich in Holland erst um 1884 der Kunst zuzuwenden. Unter dem Einfluss der niederländischen Meister, aber auch durch die Beschäftigung mit Delacroix baute er seine frühen Ölbilder von dunklen Farbtönen her auf. Über die neuen Kunstströmungen in Paris las er in der Presse, zudem erhielt er direkte Informationen von seinem älteren Bruder Theo, der in der Pariser Kunstgalerie Goupil als Filialleiter angestellt war. Die Brüder korrespondierten rege miteinander, fast 1000 Briefe sind erhalten.
«Blick auf Paris vom Montmartre aus», Ende Sommer 1886. Kunstmuseum Basel.
Vincent wollte sich künstlerisch weiterentwickeln und die Impressionisten, Symbolisten und Pointillisten vor Ort kennenlernen. 1886 traf er in Paris ein, wo sich die Brüder eine Wohnung an der Rue Lepic am Montmartre teilten. Theo unterstützte Vincent finanziell und erhielt als Gegenleistung seine neu gemalten Werke zum Verkauf. Im Jahr seiner Ankunft malte Vincent noch weitgehend in erdigen, schweren Farbtönen, die er von zu Hause mitbrachte. So schuf er im Herbst 1886 von seiner Wohnstrasse her drei fast identische Ansichten mit Blick auf die Moulin de la Galette.
«Moulin de la Galette», 1886. Kröller-Müller Museum, Otterlo.
Der Hügel im Norden von Paris, der Montmartre, wurde 1860 durch die Stadterweiterung als 18. Pariser Arrondissement eingemeindet. Die Butte Montmartre ist mit 130 Metern Höhe die höchste natürliche Erhebung der Stadt. Hier standen einst über zwölf Mühlen, heute sind es noch zwei. Die Mühle Le Blute-Fin wurde 1622 erbaut, die Mühle Le Radet um 1717. Beide gehören zur Moulin de la Galette, die sich in der oberen Rue Lepic befindet.
Im frühen 19. Jahrhundert verkaufte der Mühlenbesitzer Galettes, Fladen aus Roggenmehl mit einem Glas Milch. Später wurde die Milch durch Wein ersetzt und aus der Mühle wurde in den 1860er Jahren ein bal populaire, ein öffentliches Tanzlokal. Weitere Amüsierbetriebe folgten. Künstler wie Toulouse-Lautrec, Edouard Manet oder Georges Seurat hielten das bunte Leben in ihren Werken fest.
«Blick auf Montmartre mit Steinbruch und Mühlen», 1886. Van Gogh Museum, Amsterdam.
Für die armen Künstler damals waren Wohnungen auf dem Montmartre erschwinglich, auch Renoir wohnte und arbeitete dort. Zudem gab es unbebautes Terrain, Gemüsegärten und noch etwa vier bis fünf Mühlen. Van Gogh liebte es, in seiner nächsten Umgebung herumzustreifen und zu malen. Von den Mühlen am Montmartre schuf er insgesamt rund zwanzig Gemälde.
«Gemüsegärten auf dem Montmartre», 1887. Van Gogh Museum, Amsterdam.
Van Goghs Malerei war in seinem ersten Jahr in Paris noch dicht und erdig. Doch er liess sich zunehmend von der lockeren und flüssigen Malweise der Impressionisten und Pointillisten inspirieren, auch hellte sich seine Palette auf. In Gemüsegärten auf dem Montmartre von 1887 fallen die zahlreichen diagonal verlaufenden Zäune auf. Der Blick wird durch den schmalen Weg über die Beete geführt, mit den darin arbeitenden Menschen, hin zu den Mühlen im Hintergrund. Darüber breitet sich der helle Himmel aus. Die Malerei wirkt leicht und zart.
«Moulin de la Galette», 1887. Sie wurde zum beliebten Ausflugsziel, wie die Podeste auf und vor der Mühle zeigen. Carnegie Museum of Art, Pittsburgh.
Die Aussichtsplattform auf dem Areal der Moulin de la Galette stellt Van Gogh fünfmal in unterschiedlicher Blickrichtung dar. Das Gemälde in Pittsburgh zeigt die Blute-fin-Mühle und das Areal der Moulin de la Galette aus nordwestlicher Richtung. Rechts neben der Mühle befindet sich die hölzerne Konstruktion des Aussichtspunktes, die hier besonders gut zu sehen ist. Für diese Ansicht wählte der Maler einen abschüssigen Standpunkt, der eine starke Untersicht erzeugt und sich unterhalb der Mühle befand.
«Montmartre bei der oberen Mühle» (Le Blute-fin), 1887. Anstelle der Aussicht stellt der Maler die Menschen dar, die die Aussicht vom Belvedere und von der Terrasse aus geniessen. The Art Institute of Chicago.
Die Landschaftsbilder, die Vincent Van Gogh in seiner kurzen Pariser Zeit herstellte, beschränken sich weitgehend auf das Umfeld des Montmartre-Quartiers. Allgemein fanden sie bislang nur wenig Beachtung. Umso erfreulicher ist es, dass der Kunsthistoriker David Misteli seine Dissertation diesem Thema widmet und es in einem illustrierten Buch Van Gogh in Paris vorstellt. Da dieses überaus wissenschaftlich verfasst ist, habe ich mir erlaubt, das Thema etwas einfacher zu präsentieren.
Alle Bilder: Wikimedia Commons
David Misteli, Van Gogh in Paris. Malerei und Ausdruck in der Moderne. Schwabe Verlag, Basel, 2025. ISBN 978-3-7965-5173-4