Noch vor einer Woche galt er als haushoher Favorit: Gerhard Pfister (62), noch Präsident der Mitte. Als Favorit war er für die Medien gesetzt. Er liess sich zum Leidwesen der Journalistenschar im Bundehaus aber nicht drängen: «Ich werde mich zum richtigen Zeitpunkt entscheiden.» Er wollte zuerst für sich klären, passe ich ins Gremium, bin ich ein Konkordanzpolitiker, der sich eingliedern lässt, der repräsentiert, was unter der Bundeshaus-Kuppel als ungeschriebenes Gesetz gilt: eidgenössisches Mittelmass. Ist er nicht. Was er selbst so aber nie sagen würde. Über die Sonntags-Zeitung lässt er die Öffentlichkeit wissen, was sie erfahren soll: «Ich wäre kein glücklicher Bundesrat».
Schneller als erwartet ist sie zurückgetreten: Bundesrätin Viola Amherd, selbstbewusst und souverän. Und sicher nicht deshalb, weil die SVP noch am letzten Wochenende ihren Rücktritt gefordert hat. Das hätte das Gegenteil bewirken können. Hat aber nicht.
Zu zielstrebig hat sie ihre politische Karriere als Anwältin konzipiert: Von der Gemeinderätin zur Briger Stadtpräsidentin und über den Nationalrat in den Bundesrat. Zu umsichtig und zu sorgfältig hat sie jeden Schritt nach oben geplant, eingeleitet und umgesetzt, als dass sie hätte scheitern können. Bevor sie in den Nationaltat nachrückte, hat sie beispielsweise den von der Universität St. Gallen angebotene Bildungsgang für Politikerinnen und Politiker besucht. Ein Weiterbildungsprogramme für alle wichtigen Themen rund um die Politik, wie die Universität schreibt und propagiert: «Professionalisieren Sie Ihren Gesamtauftritt und stärken Sie durch den Ausbildungsgang, heute «Abschluss der HSG genannt, Ihre politische Glaubwürdigkeit.» So sass mir damals vor beinahe 25 Jahren eine engagierte, wissensbegierige Frau gegenüber, die hervorstach, die es wissen wollte: Wie wirke ich, wie kann ich meine Präsenz steigern, wie meine politischen Botschaften wohlformuliert in nachwirkende Statements umsetzen? Ich erinnere mich wie sie so da sass, verschmitzt lachen konnte, schwierige Lernsituationen in ihrem Walliser-Dütsch mit einem Witz entkrampfte.
Ob sie es ganz nach oben schaffen würde? Repräsentierte sie das dazu notwendige eidgenössische Mittelmass? Ich hatte leichte Zweifel, mutete ihr schon damals mehr zu. Gerhard Pfister überliess ihr damals die Kandidatur. Als erste Frau, ohne sicherheitspolitische Erfahrungen und ohne vertiefende Kenntnisse über militärische Strategien, hatte sie den Vorteil, dass sie vor 6 Jahren unvoreingenommen in das Verteidigungs-Departement einziehen konnte, das sich im totalen Umbruch befand. Aus der Riesenarmee (600’000 Mann) des kalten Krieges war eine Armee (120’000 Mann) des Kleinstaates Schweiz entstanden. Mit einer veralteten Flugwaffe, einer unzulänglichen Flugabwehr, dafür ausgestattet mit einer Panzerdichte, die ihresgleichen in Europa suchte. Was Ueli Maurer, ihrem Vorgänger im VBS nicht gelang, schaffte sie: ein Ja des Schweizer Volkes zum Kauf von 36 US-Kampfjets F 35 für über 6 Milliarden Franken. Für die unzulängliche Luftabwehr schloss sie die Schweiz dem Projekt «European Sky Shield» an. Als Bundespräsidentin brachte sie die Bürgenstock-Konferenz zustande, der russischen Angriffskrieg in der Ukraine rückte damit weit stärker ins schweizerische Bewusstsein. Die Annäherung an die Nato, an eine europäische Sicherheitsstrategie war nicht ideologisch gesteuert, sondern schlicht eine Notwendigkeit, wenn die Schweiz ein verantwortbares Mass an Sicherheit erlangen will. Sie übertraf damit das eidgenössische Mittelmass. Und das Kollegium liess es sie wissen; sie wurde zunehmend ausgegrenzt.
Eine verantwortbare Sicherheitspolitik misst sich immer an der wohl wahrscheinlichsten Bedrohung, die sich aber immer wieder verändern kann. Die hohe Kunst besteht darin, dass die Schweiz ihre Sicherheitskonzeption immer wieder laufend der wahrscheinlichsten Bedrohung anpassen kann. Aktuell sind es der Ukraine-Krieg und der Krieg im Nahen Osten, die Massstäbe setzen. Der Ukraine-Krieg ist ein konventioneller Krieg gepaart mit den modernsten Waffen, den Drohen. Im Nahen Osten hat sich Israel vor allem gegen Raketen aus dem Libanon und aus dem Gaza-Streifen zu schützen. Mit Luftabwehr-Waffen, dem Irion-Dom.
Viola Amherd hat die Voraussetzungen für den Aufbau einer vertrauenswürdigen Verteidigung geschaffen, von der die Armee aktuell aber noch weit entfernt ist. Deshalb braucht es jetzt eine Verteidigungsministerin oder -minister, die oder der umsetzen kann, was nun zu schaffen ist: eine wehrhafte Schweiz in Kooperation mit Europa. Von den bisherigen Mitgliedern des Bundesrates ist nur Karin Keller-Sutter in der Lage, diese anspruchsvolle Aufgabe zu meistern; sie kann das nüchtern und vor allem überzeugend tun. Sie hat das Stehvermögen, analytischen Verstand, internationale Erfahrungen, kann schwerwiegende Probleme wie das IT-Desaster, die Schwiegkeien bei der Drohnen-Beschaffung im VBS lösen, kann mit Geld umgehen und hat damit die Fähigkeiten, Verteidigungsministerin zu werden, und zwar in ganz kurzer Zeit.
Von den bisher bekannten Mitte-Politikerinnen und -Politiker wäre eigentlich nur Gerhard Pfister die Aufgabe zuzutrauen, er hat Kraft genug, die Aufgabe zu stemmen. Und vor allem verfügt er über die intellektuellen Fähigkeiten, Sicherheitspolitiker zu werden. Das heisst nicht nur verwalten, die Armee gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit vertreten, sondern eine VBS-Chefin, ein -Chef hat selbst Impulse zu setzen, internationale Kontakte zu knüpfen, Kooperationen anzudenken und umzusetzen. Nun muss die Mitte die kompetente Frau, den sicherheitspolitisch versierten Mann finden. Gerhard Pfister hat es jetzt zumindest mit in der Hand, eine Kandidatin, eine Kandidatin aus dem Hut zu zaubern, die oder der mehr ist als eidgenössisches Mittelmass. Die Findungskommission der Mitte könnte auch Ausschau halten in der Wissenschaft, in der Diplomatie, gar in der Armee.
In den nächsten 4 bis 5 Jahren wird sich weisen, ob sich die Schweiz verteidigen kann oder gar konnte. Schon heute ist klar, ein Alleingang wäre weder zu stemmen, noch könnte die Schweizer Armee uns allein schützen. Und die Bereitschaft der USA mit Trump, für Europa die Kohlen aus dem Feuer zu holen, schwindet. Die Schweiz gibt nicht einmal 1% des Brutto-Inland-Produktes BIP für die Verteidigung aus. US-Präsident Trump fordert von Europäern 5%. Eine gigantische Summe.
Für Peter Bodenmann war die Schweizer Armee «ein Trachtenverein», für Ueli Maurer «die Beste der Welt». Mit diesem Lächerlichmachen, mit dieser unglaublich überhöhten Selbsteinschätzung wider besseres Wissen muss Schluss sein. Die Lage ist zu ernst. In den letzten 30 Jahre war das VBS ein Ministerium für «AnfängerInnen«. Jetzt ist es plötzlich wieder sehr bedeutsam geworden. Jetzt braucht es die Beste oder den Besten. So ändern sich die Zeiten. Noch muss man Bundesbern auf die Sprünge helfen.
Der Bereich V des VBS ist ein schwieriges Pflaster.
– Die Chefs der diversen Waffengattungen buhlen um Geld für ihren Teilbereich.
– Zu beschaffende Mittel konnten noch nie «ab Stange» gekauft werden. Für die Eidgenossen braucht es immer Sonderversionen, als Folge steigen die Kosten ins Unermessliche.
– Probleme bei den Beschaffungsvorhaben bleiben im Nebel der Geheimhaltung unter Verschluss, bis es nicht mehr anders geht.
– Beginnend bei der Mirage folgte ein Beschaffungsskandal dem nächsten.
– etc.
Wer will sich da die Finger vebrennen?
Eine wunderschöne Würdigung des Vermögens im Sinne von Könnens einer Frau von männlich kompetenter Seite – herzlichen Dank!
Dem schliesse ich mich an.
Zum ersten Mal habe ich an einem Artikel von Schaller nichts auszusetzen!
Dass Sie Herr Vogel zum ersten Mal an einem Artikel von «Schaller» nichts auszusetzen haben, wie Sie verlauten lassen, muss wohl als Kompliment für die Arbeit von Herrn Anton Schaller gewertet werden, dem ich mich gerne anschliesse.
Vielleicht gelingt es beim nächsten Mal etwas weniger gönnerhaft, denn bei einem Kompliment, das man ausspricht, geht es um den Adressaten und nicht um den Absender. Man lernt ja nie aus, nicht wahr.