Eine fulminante Drag-Show im Zürcher Pfauentheater: Regisseur Bastian Kraft inszeniert Andersens Märchen «Die kleine Meerjungfrau» als grandioses Glitzer-Spektakel mit Berufsschauspielern und Stars der Drag-Szene.
Die kleine Meerjungfrau ist anders als ihre Schwestern, sie fühlt sich zu Menschen hingezogen. Wer kennt nicht dieses uralte Märchen von Hans Christian Andersen? Sie verliebt sich in den Prinzen an Land und will unbedingt Mensch ohne Fischschwanz und mit zwei Beinen werden. Doch um diesen Wunsch zu erfüllen, muss sie der Meereshexe ihre Stimme geben. Sie geht den fatalen Handel mit der Meereshexe ein, wird ein menschliches Wesen – die Liebe des Prinzen kann sie jedoch nicht gewinnen. Sie muss zurück ins Meer und wird sich in Schaum verwandeln…
Eine höchst unterhaltsame Drag-Show
Bastian Kraft, dem Zürcher Schauspielhaus-Publikum bekannt für seine Inszenierungen «Andorra» und «Homo Faber» von Max Frisch und «Buddenbrook» von Thomas Mann, gestaltet das Märchen als höchst unterhaltsame Drag-Show mit Tiefen und Abgründen. Mit von der Partie sind neben den vier Ensemble-Mitgliedern Elias Arens, Julian Greis, Sasha Merloch und Karin Pfammatter die drei bekannten Dragstars Michel von Känel aka Paprika, Anis Meschichi aka Klamydia von Karma, Ivy Monteiro aka Tropikahl Ivy, die zwei Stunden lang ein grossartiges, buntes, fantasiereiches Spektakel präsentieren.
In der Tiefe des Meeres (v.l.): Anis Meschichi aka Klamydia von Karma, Julian Greis, Karin Pfammatter, Elias Arens.
Zu Beginn sitzen die sieben Spielenden mit dem Rücken zum Publikum an ihren beleuchteten Schminktischen, pudern ihre Gesichter, erzählen von ihren Schicksalen, so von der Mutter, die dem Kind das Andersen-Märchen vorlesen wollte, aber alle grausamen Stellen änderte, oder vom Jungen, der sich die Meerjungfrau-Barbiepuppe wünschte und die Eltern in Verlegenheit brachte. Ihre Gesichter sind übergross auf Leinwänden zu sehen. Die drei Dragstars stellen sich dem Publikum vor, der eine ist Tänzer, der andere Biologe an der ETH, der dritte Mathematiklehrer im Aargau, erzählen von ihren jahrelangen Leiden bis zu ihrem Coming-out. Es sind berührende, schmerzliche Bekenntnisse, die von Unverständnis für das Anderssein, von Ausgrenzung, Übergriffen und Sehnsüchten zeugen.
Grandioses Bühnenbild und tolle Kostüme
In vielen überbordenden, humorigen Episoden und Szenen wird Andersens Märchen spielerisch nacherzählt und hinterfragt. Und das in einem grandiosen Bühnenbild mit vielschichtigen Video-Einspielungen von Peter Baur und mit fantastischen Kostümen von Sophie Reble, die dem bunten Treiben eine unvergessliche Ambiente verleihen. Von den Schminktischen geht’s in die Tiefe des Meeres mit Nebelschwaden, herabhängenden Seegraslappen, vorbeischaukelnden Schiffen, schwebenden Spielzeugfischen und Drag-Nixen, wo das Schicksal der kleinen Meerjungfrau verhandelt wird. Dazwischen wird in Soloszenen politischer Protest gegen Kolonialismus und Verschmutzung der Meere laut. Drastisch die Szene, in der sich Dragqueen Barbie Breakout angesichts der Unterdrückung der Schwulen in Russland vor laufender Kamera den blutenden Mund zunäht.
Drag-Werdung am Schminktisch: Laufend ändern die Spielenden ihr Aussehen.
Virtuos ist das Spiel des siebenköpfigen Ensembles. Laufend ändern die Mitwirkenden ihr Aussehen, wechseln ihr Outfit, hüpfen mit gepolsterten Unterhosen herum, schweben in barockartigen Kostümen von der Decke, stolzieren in hohen Stöckelschuhen umher. Geboten wird ein Auf und Ab der Verwandlung, Fiktives und Reales vermischen sich zu einer «genderfluiden Party» mit Appellcharakter für mehr Akzeptanz und Toleranz. Besondere Erwähnung verdient Karin Pfammatter, die mehrere Rollen als Schwester, Mutter, Grossmutter der Meerjungfrau und als Meereskönig mit Dreizack umwerfend komisch meistert. Grandios, wie sie mit Dreizack am Bühnenrand steht und «Smalltown Boy» trällert. Eindrücklich auch der Rap auf Französisch für ein «Raus aus den Venusmuscheln» von Sasha Melroch, den sie ebenfalls am Bühnenrand performt. Haften bleibt auch der fiese Auftritt von Julian Greis als monströse Kraken-Hexe.
Abgesehen von den eher störenden politischen Protesten, wird ein atmosphärisch überaus gelungener Revueabend mit tollen Showeinlagen und berührenden, nachdenklichen Momenten geboten. Dafür gabs am Premierenabend Standing Ovation und immer wieder Zwischenapplaus.
Weitere Spieldaten: 30. Januar, 2., 9., 11., 20., 25., 28. Februar, 1. März
Titelbild: Das Ensemble in bunten Kostümen (v.l.): Anis Meschichi aka Klamydia von Karma, Ivy Monteiro, Elias Arens, Sascha Melroch, Karin Pfammatter, Julian Greis, Michel von Känel aka Paprika. Fotos: Toni Suter / T+T Fotografie
Es gibt doch wirklich nichts, was Männer nicht an sich reissen; jetzt auch noch Märchen.
Dekadenz in Reinkultur und Glitzerkulisse.
Männer, die Märchen an sich reissen, das kommt in meine Schmunzelecke.