2 KommentareDie Ukraine im Fokus der Weltpolitik - gestern und heute - Seniorweb Schweiz
StartseiteMagazinKolumnenDie Ukraine im Fokus der Weltpolitik - gestern und heute

Die Ukraine im Fokus der Weltpolitik – gestern und heute

Vollmundig wollte Donald Trump den Ukraine-Krieg unmittelbar nach seinem Amtsantiritt innert 24 Stunden beenden. Wenn er in Pressekonferenzen gefragt wurde, ob er nun mit Putin telefoniert habe, blieb er vage. Jetzt ist es ihm gelungen. Und die ganze Welt rätselt: Was haben die beiden nur vereinbart? Was hat Trump dem Herrn im Kreml versprochen? Welchen Preis muss die Ukraine zahlen, verliert sie die von den Russen besetzten Gebiete, muss sie der Nato fernbleiben? Bleibt Präsident Selenskyi beim Geschacher aussen vor, die Europäer ohne Einfluss? Alle erwarteten an der Münchner Sicherheitskonferenz, dass US-Vizepräsident James David «JD» Vance (41) den Schleier lüften würde. Vergebens. Vance rüffelte lieber die Europäer als Gegner der Demokratie, der Meinungsfreiheit und verschwand aus dem Saal. Bemerkenswert ist, dass Bundespräsidentin Karin Keller die Rede Vance` «schweizerisch» fand. Damit irritierte sie und erntete Kritik. Sie wird sich erklären müssen.

Was steht auf dem Spiel? Eher zufällig ist mir ein Buch in die Hände geraten, das jetzt zu lesen sich in diesem aktuellen Umfeld mehr als lohnt. Es ist zudem das eindrücklichste Buch, das ich in der letzten Zeit gelesen habe: «Kalte Füsse» von Francesca Melandri (61). Die italienische Schriftstellerin führt in ihrem Roman mit ihrem verstorbenen Vater Franco Melandri einen virtuellen Dialog über den Russland-Feldzug der Achsenmächte, Nazi-Deutschlands und Italiens, den sie immer nur Ukraine-Krieg nennt. Ihr Vater, Franco Melandri, war an vorderster Front mit dabei.

Und sie schlägt einen Bogen von 1941 bis heute zum aktuellen Angriffskrieg Russlands in die Ukraine. Sie fragt ihren Vater immer wieder, wie er den Krieg mit- und überlebt hat, wie er mit seinen Soldaten aus der Hölle fand, und was er wohl zum aktuellen Krieg, zum Frieden, den alle so sehnlichst wünschen, zu sagen hätte. Und stets treibt sie die Frage um: War mein Vater an den Gräueltaten der Angreifer an der ukrainischen Bevölkerung, an den ansässigen Juden, an den Widerständigen, am Brandschatzen beteiligt, wie das nun die Russen tun?

Ihr Vater führte als 23jähriger Leutnant einen Zug Gebirgsjäger in der Division Julia des italienischen Armeekorps Alpini. Ein legendäres Korps mit ihren Hüten und den aufgesteckten Hühnerfedern, welches Benito Mussolini an die Seite der deutschen Wehrmacht Hitlers entsandte, um mit den Deutschen das Nazi-Reich auszuweiten, an die Kornkammer, an die seltenen Erden in der Ukraine, an die Bodenschätze Öl, Gas, gar Uran in den riesigen Weiten Russlands heranzukommen.

Rasch stiessen die vereinten Kräfte der Achsenmächte in die Ukraine vor. Die Angreifer erblickten sehr schnell ihr Ziel: die riesigen Korn-, die goldenen Sonnenblumen-Felder. Denn die blühenden Landschaften verhiessen, was selbst Italien so sehnlichst vom Krieg erhoffte: Brot, was damals so rar war.

Auf eines waren die Alpini aber nicht vorbereitet: auf die tiefen Temperaturen, auf den eisigen Schneefall, als der goldene Herbst in den Winter überging. Und an eines hatten sich die Russen gewöhnt: an das furchterregende Wolfsgehaule der Alpini, wenn sie zum Angriff losstürmten. Schneller als erwartet kam es zum unvermeidlichen Rückzug. Zum Rückzug in die tiefverschneiten Landschaften auf Pappsohlen, die nur eines hergaben: kalte, verfrorene Füsse.

Eine Episode aus dem Rückzug 1942-43 hat mich sehr nachdenklich gestimmt, bis heute. Der Alpini-Zug schützt sich in einem Keller in Charkiw mit einheimischen Frauen und Kindern, eines in einer Wiege. Sein Unteroffizier erhält auf Umwegen überraschend die Nachricht, dass auch er Vater geworden ist. Plötzlich wird das Haus beschossen von Russen oder von Deutschen, von wem ist unklar. Eine Granate durchschlägt die Kellerdecke, zerfetzt das Gesicht des Kleinkindes, es stirbt. Der Unteroffizier verschreckt, ist untröstlich, er verliert gar seinen Verstand. Was hat er alles gesehen, die von Panzern zermalmten Toten, verkohlte Leichen in brennenden Häusern, das von einer Handgranate zerfetzte Gesicht eines Kameraden, gerade neben ihm im Schützengaben. «Auch in einem Krieg», schreibt Francesca Melandri, «gibt es eine Grenze des Grauens, die ein Mensch ertragen kann. Und diese Grenze ist der Tod eines Kindes.» Franco Melandris Buch der Erinnerung trägt denn auch den Titel »Rückzug mit dem Verrückten». Das Buch, das seiner Tochter Francesca wohl mit als Ausgangspunkt für die Recherchen zu ihrem Werk »Kalte Füsse» diente.

Und heute: Irgendwie ertragen wir es, gewöhnen uns beinahe daran, wenn die Russen ein Kinderspital in Kiew bombardieren, wenn Israeli eine Schule mit Kindern im Gaza-Streifen unter Feuer nehmen. Wir sehen, wie Männer Kleinkinder in Tüchern gewickelt zu Grabe tragen. Ein leichtes Zucken mit den Schultern, wir schreien nicht auf, widmen uns dem nächsten Beitrag in der Tagesschau.

Weit erregter reagieren wir, wenn es in der Nähe, auch in Deutschland vorkommt. Wie in Aschaffenburg, als ein afghanischer Asylant einen kleinen Jungen und den Mann, der das Kind schützen wollte, ersticht. Als in München ein Afghane in einen Demonstrationszug fährt und über 30 Personen zum Teil schwer verletzt. Eine Mutter und ihr Kind sterben. Das prägt den aktuellen Wahlkampf in Deutschland. Und J.D. Vance trauert mit in München und mischt sich gar ein in den Wahlkampf, indem er die rechtsnationale, zum Teil rechtsextreme AfD hofiert. Derweil wird in der Ukraine auf beiden Seiten weiter gestorben. Die Soldaten waren alle auch mal Kinder, wie wir alle auch, selbst Trump und Putin.

Zum Schluss ihres Buches fragt sich Francesca Melandri: «Wie werden wir uns verhalten, wenn eines Tages der Krieg keine Fernsehserie mehr ist, sondern der Fluch des Lebens. Werden wir grosszügig sein, brutal oder diejenigen sein, die den Gewalttätern durch ihr Schweigen das Feld überlassen? Und sie folgert: «Ich weiss es nicht, Papa. Aber wenn der Sturm kommt, werden wir es wissen.»

«Kalte Füsse» von Francesca Melandri. Übersetzung: Esther Hansen. Erschienen im Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2024 ISBN 978-3-8031-3367-0, 240 Seiten ISBN 978-3-8031-4399-0 (eBook)

Spenden

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, Sie zum Denken angeregt, gar herausgefordert hat, sind wir um Ihre Unterstützung sehr dankbar. Unsere Mitarbeiter:innen sind alle ehrenamtlich tätig.
Mit Ihrem Beitrag ermöglichen Sie uns, die Website laufend zu optimieren, Sie auf dem neusten Stand zu halten. Seniorweb dankt Ihnen herzlich.

IBAN CH15 0483 5099 1604 4100 0

2 Kommentare

  1. Auch Herr Schaller sieht Rechtsextreme in der AFD. Tatsache ist, dass bis heute jeder belegbare sachliche Beweis dafür fehlt. Es ist ganz einfach: Jeder „nicht Links/Grüne“ ist rechtsextrem!

    • Von wegen keine belegbaren Beweise, Frau Doris Sowieso. Sorry aber Sie sollten sich besser informieren und ihr Wissen nicht nur in den Blasen der «sozialen» Medien holen. Die Alternative für Deutschland AfD wurde bereits im März 2022 vom Deutschen Verfassungsschutz als Partei mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen eingestuft. Zudem steht die AfD Jungpartei wegen Hitlerparolen, Hetze und Hass in der Öffentlichkeit unter Beobachtung des Bundes.

      Die AfD leugnet den Holocoust und die Klimakrise und sie will die Grenzen Deutschlands dicht machen und alle «Nichtdeutschen» abschieben, was rechtlich nicht machbar und praktisch völlig absurd ist. Die Wirtschaft und die medizinische Versorgung in Deutschland würde ohne die Arbeitskraft der integrierten Ausländer zusammenbrechen.

      Um sich eine möglichst realistische Einschätzung über die Lage der politischen Landschaft in Europa und der Schweiz machen zu können, ist ein Studium des ersten und zweiten Weltkriegs sehr hilfreich. Im übrigen gab und gibt es Linksextreme, die genauso wie die Rechten vorgehen und damit die Demokratie und unsere westlichen Werte, wie die Menschrechte und freie Meinungsäusserung in Frage stellen und schwächen wollen. Das finden Sie natürlich nicht im Parteiprogramm der AfD. Ich empfehle Ihnen, sich wenigstens die beigefügten Links einmal in Ruhe durch zu lesen.

      https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/pressemitteilung-2022-1-afd.html

      https://www.swissinfo.ch/ger/politics/internationaler-tag-der-demokratie_westliche-demokratien-in-der-krise-sind-sie-bedroht/42440866

      https://www.rfo.de/mediathek/video/holocoust-gedenktag/

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-