Wer gilt als gesund, wer als krank? In «Hauptsache gesund. Eine Ausstellung mit Nebenwirkungen» im Stapferhaus Lenzburg steht das Thema Gesundheit im Zentrum. Begleitet von zahlreichen Fragen taucht das Publikum auf einem interaktiven Parcours spielerisch in die Materie ein.
Für die Gesundheit tun wir fast alles. «Doch wo sind die Grenzen und wer bezahlt den Preis?». Fragen über Fragen begleiten die Ausstellung im Stapferhaus in Lenzburg. Hauptsache gesund? Eine Ausstellung mit Nebenwirkungen – entstanden in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten unter der Leitung von Kuratorin Sibylle Lichtensteiger –ist nicht nur lehrreich, sondern auch ein Erlebnis. Gesundheitstipps sucht man vergeblich. Auf einem Parcours können sich Besucherinnen und Besucher informieren und aktiv einbringen.
Erste Station: «Wartezimmer»
Wie beim Arzt führt der Parcours zuerst ins Wartezimmer. Nach gegebener Zeit öffnet sich die Tür zum Untersuch. Mit der Frage «Wie geht es dir?» passiert man auf einem geschwungenen Pfad sechs Stationen: Herz, Atem, Muskeln Fingerspitzen, Nase, Gedanken und Emotionen. Dem Menschen gehen täglich 60’000 bis 80’000 Gedanken durch den Kopf, informiert etwa eine Leuchtschrift. Oder über einem langen Band unterschiedlicher Oberflächenbeschaffenheit lässt sich das eigene Fingerspitzengefühl testen.
Gang durch den «Untersuchungsraum»
Mit der Frage «Woher weiss du, ob du krank oder gesund bist?» öffnet sich die nächste Tür zur Diagnose. Dieser Raum ist sehr belebt. Das Thema stösst auf grosses Interesse, alle Stühle vor den Videoscreens sind besetzt. Denn hier erzählen Betroffene von ihrer Diagnose, die für das Leben einschneidend sein kann.
Im «Diagnoseraum» erzählen Betroffene auf Videoscreens von ihrer Diagnose. (rv)
So berichten Menschen sehr berührend von Diagnosen wie ADHS, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder Depression und ihren Erfahrungen. Sie wecken auch Verständnis. Zum Beispiel die Frau mit der Diagnose Gehörlosigkeit: Sie erzählt, wie sie von der Gesellschaft oft als krank bezeichnet wird, dabei fühlt sie sich kerngesund. Ihre Art mit Händen und Mimik zu kommunizieren, vergleicht sie mit einer Fremdsprache, die man auch erlernen kann. An der Wand werden zusätzlich auf Panels einzelne Krankheitsbilder wie Malaria, Diabetes mellitus oder Endometriose erklärt und in Vitrinen historische Diagnoseinstrumente, etwa ein Stethoskop oder ein Röntgenapparat, präsentiert.
Auch mit der Diagnose «an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit» fühlt sich die Frau kerngesund. Ihre Art zu kommunizieren, kommt einer Fremdsprache gleich. Videostill (rv)
Zur Behandlung führt ein Lift nach oben mit der Frage «Was macht dich gesund?». In zwölf Abteilungen wird das Spektrum von Therapien und Heilverfahren vorgestellt, vom einfachen Hausmittel bis zum teuren Medikament, vom präventiven Fitnessprogramm bis zur aufwändigen Operation und Rehabilitation. In hohen Regalen stehen Packungen mit Superfood, Chips oder Cola Light, dazu Informationstafeln zu Mikronährstoffen oder nachhaltigen Lebensmitteln. Im angrenzenden Fitnessbereich kann auf einem Velo ein Erklärvideo zum Laufen gebracht oder auf einem Bosu Balance Trainer das Gleichgewicht getestet werden. Ein bei den anwesenden Schülern beliebter Bereich.
Der «Fitnessraum» ist bei den Jungen besonders beliebt.
In der Abteilung Medikamente lassen sich beschriftete Schubladen öffnen, die über einzelne standard- und komplementärmedizinische Medikamente orientieren: von Dafalgan, Nierentee über Globuli bis zu Placebos. Auch Impfungen sind ein Thema. Fragen «Worauf vertrauen wir, wenn wir ein Arzneimittel einnehmen?», aber ebenso Fragen zu Kosten werden gestellt. Zudem zeigen Videos Operationen mit Kommentaren von Chirurginnen und Chirurgen verschiedener Fachrichtungen. Da die Menschen auch dank dem medizinischen Fortschritt immer länger leben, wird im Bereich Intensivmedizin nach den Grenzen des Möglichen gefragt.
«Intensivmedizin»: Geräte fürs Überleben
Pflegefachleute berichten im Bereich Pflege und Fürsorge auf grossen Videoscreens von ihren langjährigen Erfahrungen. Doch ihnen wird zunehmend die Zeit für Gespräche gekürzt. Fürsorge hat aber ihren Preis. «Was ist uns die Pflege wert?», ist hier die Frage. In einer Ecke steht ein grosser Teddybär, bereit, umarmt zu werden. Er zeigt, dass wir uns auch gegenseitig unterstützen können.
«Umarme mich», wir können uns auch gegenseitig unterstützen.
Erholung hat ebenso einen Preis. Doch dieser passt sich oft weitgehend dem Geldbeutel des Erholungssuchenden an. Denn, wer es sich leisten kann, bucht Urlaub im Wellnesshotel. Immer mehr Menschen gönnen sich Massagen, Spa- und Saunaaufenthalte, um zu relaxen und aufzutanken. So folgen in der Abteilung Wellness die Fragen: «Woher kommt das Bedürfnis nach Entspannung» und «Wovon müssen wir uns erholen?».
«Wellness»: Relaxen vor einer Naturkulisse
Die Zahl der Menschen mit psychischen Problemen steigt stetig an. Die Abteilung Psychotherapie lädt ein, miteinander ins Gespräch zu kommen. Dafür gibt es gemütlich gestaltete Sitzecken für zwei Personen. Als Anregung gibt es auf den Tischchen Karten mit Fragen zum Thema psychische Gesundheit. Dieser Bereich zeigt deutlich, dass es empfehlenswert ist, mit einer Begleitperson die Ausstellung zu besuchen. So lässt sich über die vielfältig auftauchenden Fragen und Eindrücke diskutieren.
Sitzecken für persönliche Gespräche
Eine Rampe führt zum Notfallraum hoch. Hier liegt das Gesundheitswesen auf dem Operationstisch, «ein Eingriff am offenen Herzen, ein komplexer Fall mit Risiken», heisst es. Die Besuchenden haben ein Operations-Beistelltischchen vor sich und entscheiden fortlaufend, was zu tun ist: Aufgrund von Aussagen von Medizinern, Verbandsmitgliedern und Politikern, die per Video unterschiedliche Visionen zum Gesundheitswesen vorbringen, kann per Knopfdruck abgestimmt werden.
«Notfallraum»: Das Publikum assistiert bei der Operation des Gesundheitswesens.
Der letzte Raum Austritt schliesst den Kreis mit der ersten Frage «Wie geht es dir?». Hier kann man sich auf die gepolsterten Bänke hinsetzen, zur Ruhe kommen und, unter beruhigenden Klängen, darüber nachdenken, was im Leben zählt, was Sinn gibt. Hier kann auch das «Persönliche Journal», das für eigene Gedanken am Anfang mit auf den Weg gegeben wird, ergänzt werden.
Titelbild: Regale mit Lebensmitteln und Informationstafeln
Fotos: Stapferhaus, Lenzburg, © Anita Affentranger
Publikation: «Hauptsache gesund?», mit 33 Fragen und 111 Antworten, Hrsg. Stapferhaus, Lenzburg 2024, im Museumsshop CHF 9.90
Bis 26. Oktober 2025
«Hauptsache gesund. Eine Ausstellung mit Nebenwirkungen», im Stapferhaus in Lenzburg. Mehr Informationen zu Ausstellung und Begleitprogramm finden Sie hier
aller beste Reportage, die zu einem sehr empfehlenswerten Besuch im Stapferhaus anregt