Die deutsche Künstlerin Wiebke Siem lädt das Publikum im Kunstmuseum Luzern ein, selber kreativ zu werden. Es soll am «Traum der Dinge» mitbauen.
Normalerweise ist es in Museum streng verboten, die Kunstwerke zu berühren. Nicht so in der neusten Ausstellung von Wiebke Siem. Am Boden liegen aus Holz gefertigte Arme, Beine und Köpfe. Sie laden ein, an von der Decke hängenden Ketten Körper zu basteln.
Die Künstlerin lässt das Fantastisch-Groteske in den häuslichen Alltag einbrechen. Ob Kostüme, die dazu einladen, in eine andere Identität zu schlüpfen, oder Möbel, die die Arme baumeln lassen – Wiebke Siem schafft einen ebenso komischen wie abgründigen Kosmos, der mit Ironie und Witz die Widersprüche und Unzulänglichkeiten unserer Lebenswelt sichtbar macht.
In ihren Werken verbindet die Künstlerin einen feministischen Blick mit der Kritik an problematischen Aneignungsstrategien von aussereuropäischer Kunst in der Moderne. Die Skulpturen eröffnen zahlreiche Assoziationen zur Kunstgeschichte, sei das zu den Figuren von Sophie Taeuber-Arp, der Bauhaus-Bühne, Karikaturen oder surrealistischen Collagen.
Mit der interaktiven Installation Der Traum der Dinge lädt Wiebke Siem das Publikum ein, selbst tätig zu werden: Schalen, Wäscheklammern, Kochlöffel, Wallhölzer, Kleiderbügel, Perückenköpfe und andere Holzobjekte können zu lebensgrossen Figuren zusammengefügt werden. Je nachdem, ob ein Waschbrett, ein Teigbecken oder eine grosse Sperrholzdose den Leib bildet, entstehen Wesen unterschiedlichen Charakters.
Die Künstlerin hat über Jahre hölzerne Gegenstände aus Haushalt und Handwerksstätten zusammengetragen, abgeschliffen und so gebeizt, dass sie eine einheitliche Farbe haben. Aus Vasen, Perückenköpfen, Hutformen, Stiefelleisten, Kleiderbügeln, Waschbrettern und vielen weiteren Objekten können Figuren ganz unterschiedlichen Charakters zusammengestellt werden. Ob ein Waschbrett oder eine Brotschüssel den Bauch formt, macht einen Unterschied!
Die 19 Figuren Ohne Titel sind ursprünglich Teil der raumgreifenden Installation Das Maximale Minimum. Sie bestehen aus Nähutensilien wie Knöpfen, Gürtelschnallen, Stopfeiern oder Knopfdosen. Ihre Präsentation erinnert an die Zurschaustellung von Kulturgütern kolonialer Herkunft in ethnologischen Museen, losgelöst von ihrem Entstehungskontext.
Die Körperteile liegen bereit, zusammengestellt zu werden
Die Künstlerin kommentiert mit der bühnenhaften Inszenierung problematische Aneignungsstrategien ausser-europäischer Kultur in westlichen Museen. Wiebke Siem greift in ihrem Werk immer wieder Stereotypen auf, um gesellschaftliche Konzepte wie Geschlecht oder Ethnie zu thematisieren. Die Künstlerin verwendet in beiden Werken Objekte aus Tätigkeitsbereichen, die traditionell als weiblich gelten, sei das die Küche, der Haushalt oder das Nähatelier. Sie verweist damit aus dezidiert weiblicher Perspektive auf Gender-Klischees und Machtasymmetrien oder reflektiert das Sammeln von ethnologischen Objekten kritisch.
Die Künstlerin Wiebke Siem
Indem sie das Publikum teilhaben lässt und sich in den Hintergrund stellt, ironisiert sie zudem die grosse, schöpferische Geste und den Geniekult. Die in Kiel geborene, heute in Berlin beheimatete Künstlerin Wiebke Siem ist mit dem renommierten Goslarer Kaiserring Preis als eine der «innovativsten und originellsten Künstler:innen ihrer Zeit» ausgezeichnet worden.
Von 1979 bis 1984 studierte sie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Bekannt wurde sie in den 1990er-Jahren mit ihren raumgreifenden Installationen von verfremdeten Alltagsdingen. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten und ist international mit Ausstellungen vertreten.
Die von Eveline Suter kuratierte Ausstellung dauert bis 29. Juni 2025
Fotos: Josef Ritler