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Repression in Georgien – damals und heute

Das Theater Effingerstrasse in Bern zeigt im Mai ein Polit-Stück über Georgien, das den Bogen spannt von den stalinistischen Säuberungen der 1930er Jahre bis in die heutige Zeit. An einem Anlass des Fördervereins erzählten die Co-Autorin und der Co-Autor,  wie es zu dem Stück kam.

Markus Keller, Gründer des und Regisseur am Theater an der Effingerstrasse, war 2023, nach der Lektüre des Romans «Das 8. Leben» der georgischen Erfolgsautorin Nino Haratischwili, zusammen mit seiner Frau Rosmarie nach Tiflis gereist und wurde anlässlich eines Stadtrundgangs auf den historischen Stoff aufmerksam. Rusadani Tabukashvili war ihre Rundgangleiterin. Die junge Doktorandin führte die Kellers zu einem historischen Ort, einer Villa an der Machabelistrasse, in welcher heute der Sitz des Olympischen Komitees Georgiens untergebracht ist. Die Villa war in den 1930er Jahren ein Ort des Schreckens. Hier wohnte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Georgiens, Lawrenti Berija. Hier verschwanden Menschen. In diesem Gebäude kam es zu Folterungen und Exekutionen.

Die Villa an der Machabelistrasse, welche im Stück «Die besondere Strasse» eine zentrale Rolle spielt. Das Haus war von 1931–1938 der Amts- und Wohnsitz des georgischen KP-Chefs Lawrenti Beria. Heute ist sie Sitz des Nationalen Olympischen Komitees Georgiens.

Bereits während Kellers Reise und in den Wochen danach reflektierten der Berner Theatermann und die georgische Studentin über Vergangenheit und Gegenwart, über das kollektive Gedächtnis und die aktuelle politische Lage in Georgien. «Plötzlich packte es mich wie ein Feuer», erinnert sich Keller. Das geistige Feuer hatte Folgen: 2024 schrieb er zusammen mit der jungen Georgierin das Stück «Eine besondere Strasse», das nun am 3. Mai 2025 am Effinger zur Uraufführung gelangt.

Co-Autorin Rusadani Tabukashvili und Regisseur sowie Co-Autor Markus Keller.

Der Hintergrund des Stücks

Ab den 1930er Jahren war Georgien Teil der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Seit Ende der 20er Jahre war der Russe und Stalin-Freund Lawrenti Berija nach Georgien versetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren repressive Massnahmen wie Verhaftungen durch die «Tscheka» gegen die breite Opposition bereits in vollem Gange. Vom Georgier Stalin gefördert, wurde Berija 1931 Chef der kommunistischen Partei. Er sorgte dafür, dass keinerlei politischer Widerstand aufflackerte. Während dem Kalten Krieg war Georgien ein «rebellischer Satellit» der Sowjetunion.

Lawenti Berija.

In den 1980er Jahren wuchs die Unzufriedenheit der Georgier mit der sowjetischen Herrschaft. Die Perestroika- und Glasnost-Politik unter Gorbatschow förderte nationale Bewegungen. 1989 kam es in Tiflis zu blutigen Zusammenstössen zwischen Demonstranten und sowjetischen Truppen. Am 9. April 1991 erklärte Georgien seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. In den folgenden Jahren geriet Georgien in eine Phase politischer Instabilität, wirtschaftlicher Krise und Bürgerkrieg. Auch die Regionen Abchasien und Südossetien strebten nach Unabhängigkeit, was zu bewaffneten Konflikten und anhaltenden Spannungen führte. Erst ab Mitte der 1990er Jahre stabilisierte sich die Lage.

Strassenszene von 2003: Georgiens Rosenrevolution.

Im Jahr 2003 wurde Eduard Schewardnadse durch die friedliche Rosenrevolution gestürzt. Micheil Saakaschwili wurde 2004 georgischer Präsident. Saakaschwili setzte auf Reformen, Korruptionsbekämpfung und Westintegration, aber regierte zunehmend autoritär. 2012 gewann die Partei „Georgischer Traum“ die Parlamentswahlen, was den ersten demokratischen Machtwechsel in Georgien markierte. Die Beziehungen zu Russland blieben gespannt.

Da Georgien eine Annäherung an die EU und NATO anstrebte, kam es in den letzten Jahren immer wieder zu politischen Krisen, Protesten und Auseinandersetzungen um neue Gesetze, die als Bedrohung für die Zivilgesellschaft und die Westorientierung gesehen werden. 2024 wurde trotz massiver Proteste ein umstrittenes Gesetz gegen  „ausländische Einflussnahme“ verabschiedet, das von vielen als Rückschritt in Richtung russischer Einfluss gewertet wird.

Die Geschichte des Theaterstücks

Infoveranstaltung zum Stück im Effinger-Theatersaal.

Auf der Informationsveranstaltung des Fördervereins gab es erste Informationen zum Stück: Die Geschichte der «besonderen Strasse» spielt im Jahr 2025, spannt den Erzählbogen aber rückwärts, in die repressiven 30er Jahre: Die Protagonisten Tatia und Irakli sind in eine Altwohnung an der Machabelistrasse eingezogen. Gegenüber ihrem Mehrfamilienhaus befindet sich die besagte Villa. Eine Nachbarin, mit der sich Tatia anfreundet, erzählt ihr eine Geschichte, welche sich in derselben Wohnung im Jahre 1937, auf dem Höhepunkt der stalinistischen Säuberungen, zugetragen haben soll und dazu führte, dass die Machabelistrasse zu einer «ganz besonderen Strasse» wurde: «Wer weiss, was passiert, wenn die Russen kommen. Es wird wieder wie bei Berija: Terror, Denunziationen und Verhaftungen», prognostiziert Protagonist Irakli im Stück.

Unter Leitung von Regisseur Markus Keller wird derzeit geprobt. Mit von der Partie: die Co-Autorin, die den Spielenden den historischen Kontext erläutert und sie lehrt, die georgischen Vornamen korrekt auszusprechen. So jedenfalls äusserte sie sich auf der Informationsveranstaltung mit einem Augenzwinkern.

Repression, Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen in Georgien, damals und heute: Auf die Premiere am 3.5. darf man zurecht gespannt sein.
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Zu den Co-Autoren

Rusadani Tabukashvili (Foto Severin Nowacki), geboren und aufgewachsen in Tiflis, nimmt regelmässig an Demonstrationen für ein freies Georgien teil. Derzeit doktoriert sie an der Universität Tiflis im Bereich Kulturwissenschaft mit dem Thema «Kollektives Gedächtnis, Erinnerungsorte und historische Gedächtnisbildung in Georgien». Daneben arbeitet sie als Rundgangleiterin und hilft der Konrad Adenauer Stiftung, ihre Fördergelder zur Unterstützung der georgischen Zivilgesellschaft sinnvoll zu verteilen.

Markus Keller gründete 1976 mit Kurt Frauchinger das Zimmertheater Chindlifrässer in Bern. In den 1980er und 1990er Jahren arbeitete er als freischaffender Regisseur, Autor und Theaterleiter, schrieb Hörspiele und TV-Drehbücher (u.a. für die Serie „Motel“) und inszenierte an Freilichtbühnen sowie an Theatern in Deutschland (Dinslaken, Hannover). 1996 gründete Keller zusammen mit Ernst Gosteli im Gebäude des ehemaligen «Atelier-Theaters» das «Theater an der Effingerstrasse», das er bis 2020 leitete. Auf der kleinen Bühne inszenierte er ein breites Repertoire von Kriminalstücken über Literaturadaptionen bis zu modernen Stoffen und prägte das Haus als künstlerischer Leiter und Hausregisseur massgeblich.

Seit der Spielzeit 2022/23 ist Christiane Wagner künstlerische Leiterin am Theater an der Effingerstrasse.

LINK: Theater an der Effingerstrasse

Spielzeit: 3. bis 30. Mai 2025

Mitwirkende:

Regie, Bühne: Markus Keller. Kostüme: Sybille Welti.
Besetzung: Dascha von Waberer, Christoph Keller, Heidi Maria Glössner, Karo Guthke, Sebastian Gfeller, Asia Tschudi, Helen Rosa, Isabel Rosa.


Titelbild: Tatia und Irakli mit ihrer Familie. Foto Severin Nowacki. Alle übrigen Fotos ZVG.

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