Axel Kirchhoff hat in seinem Buch Silent Portraits 66 Menschen in ihrer meditativen Praxis porträtiert. Am 1. Mai war die Buchvernissage in St. Gallen.
Der Fotograf Axel Kirchhoff zeigt in Silent Portraits 122 Schwarzweiss-Fotografien von 66 Personen, je ein Ganzkörperporträt und ein Foto des Gesichts während der Meditation. Die ausgewählten Personen von Jung bis Alt repräsentieren unterschiedliche Meditationstraditionen oder sind auf der Suche nach der für sie passenden Meditationsform. Vertreten sind Meditierende aus den Weltreligionen, aus Advaita Vedanta, aus dem Taoismus, aus Yoga-Traditionen und frei Meditierende aus Sport und Kunst. In Kurztexten weisen die Meditierenden auf ihre Meditationstradition hin und auf für sie zentrale Meditationserfahrungen wie «inneres Licht», «innere Aufmerksamkeit», «inneres Gewahrsein», «Gegenwart des Lehrers» und «Wohlwollen».
Hier einige Ganzkörperporträts mit Kurztexten:
Stefan Geisse, Stress-Coach Zürich
Advaita Vedanta
Brückenbauer zwischen Herausforderungen unserer Zeit und den asiatischen Weisheitslehren für ein gesundes, zufriedenes und erfülltes Leben. Dabei fliessen insbesondere Erkenntnisse aus dem Yoga in der Tradition Patanjalis und der Bhagavad Gita sowie der ayurvedischen Lehre in meine Arbeit ein.
Über das innere Licht
Meditation über unser inneres Licht hilft mir, mein Ego abzuschwächen und zugleich eine tiefe Verbundenheit mit etwas Grösserem zu erfahren. Jenseits der Bedürfnisse, Wünsche, Vorstellungen oder Ablehnungen eben dieses Egos erfahre ich in diesem Moment tiefen Frieden und ein Gefühl der Geborgenheit und des Getragenseins. Ich bin Teil eines grösseren Ganzen. Ich bin.
Noa Zenger, Pfarrerin, evangelisch, Zürich
Kontemplation, christlich
Atemgebet, schlichtes Sein im Atem, Geistesgegenwart = gegenwärtig und wach werden mit meinem menschlichen Geist im allgegenwärtigen Heiligen Geist.
Über die innere Aufmerksamkeit
Ein Hineinlauschen auf das Atemgeschehen in mir – staunende Wahrnehmung: Ich werde geatmet, es geschieht in mir. Wahrnehmen der Christusgegenwart, die mir schon immer «entgegenwartet».
Roland Dörig, Psychologe, St. Gallen
Integrativ, ganzheitlich
Das Fundament meiner spirituellen Praxis entspringt dem säkularen Buddhismus, einer starken Verbindung zur Natur. Durch verschiedene Meditationsformen (Samatha, Vipassana, Metta) kultiviere ich heilsame Geistes- und Herzensqualitäten. Im Laufe der Zeit hat mich mein Interesse auch zu verkörperten und bewegten Formen der Meditation des Yoga, Fünf-Rhythmen-Tanz, Mantra-Singen, Shinrin Yoku etc. geführt.
Über die Gegenwart des Lehrers
Das Bild zeigt mich in einem Moment der Dankbarkeit und der Wertschätzung. Ich empfinde Dankbarkeit und Wertschätzung für all die Lehrer und Menschen, die mich durch ihre Lehre, durch ihre Haltung, ihr Tun oder ihr blosses Wesen inspirieren und inspiriert haben. Eine Geste der Würdigung des Göttlichen in jedem, in allem und mir selber.
Dawud Yunus Güllü, Schüler, Ebnat-Kappel
Islam
Ich bin momentan in der zweiten Oberstufe und werden nach den Sommerferien ins Gymnasium wechseln. Nebenbei bin ich im Nationalkader vom Taekwondo und betreibe somit viel Sport. Um all dies hinzubringen, braucht man eine starke Willenskraft, innere Ruhe, ununterbrochenen Glauben und Mut.
Über das innere Gewahrsein
1.Wenn man beruhigt ist, kann man besser aussuchen, was man will, zum Beispiel «Ich habe Hunger». Was will mein Körper wirklich zum Essen? 2. Geht es einer Person nicht so gut, dann fühle ich meistens Mitleid, aber wenn alle in Frieden sind, so fühle ich mich wohl und alle anderen Lebewesen auch. 3. Allah. 4. Wenn der innere Frieden passt, dann ist man automatisch auch ausserhalb friedlich und freundlich. 5. Die Erholung ist und wird etwas ganz Wichtiges im Leben sein.
Ari Hechel, Schüler, Zürich
Judentum
Ich sage täglich vor dem Schlafengehen ein kurzes Gebet und am Shabbat ein längeres in der Synagoge. Ich habe mit meiner Familie bei den Shabbat-Mahlzeiten und in der Synagoge die ersten Gebete gelernt. Im Kindergarten und in der Schule lernte ich Hebräisch und weitere Gebete.
Über das innere Gewahrsein
In den Portraits sieht man mich beim Beten. Ich trage einen Tallit, einen Tefillin auf meinem linken Arm und eine Kippa auf dem Kopf. Der Tallit gehörte meinem Ururgrossvater, weshalb der Gebetsmantel eine speziell Bedeutung für mich hat. Die Tefillin erhielt ich von meinen Grosseltern zur Bar Mizva, also für den 13. Geburtstag, denn dann wurde ich erwachsen im Judentum.
Johanna Kolless, Lehrerin/ Autorin, Thun
Folge Jesu
Ich selbst bin auf dem Weg und freue mich, wenn ich anderen Menschen dazu beitragen kann, sich auf den Weg zu machen, um sich das Leben zu kreieren, das sie haben möchten.
Über das Wohlwollen
In der Meditation fielen mir besonders die vielen Lehrer und Lehrerinnen ein, die in mir stets etwas gesehen haben, das ich noch nicht sah. Sie haben immer an mich geglaubt und mich liebevoll herausgefordert und gefördert. Es hat mich sehr berührt, da ich selbst schon bald 20 Jahre Lehrerin bin. Ich sage meinen Schülerinnen und Schülern: «Ich glaube an dich, so lange, bis du selbst an dich glaubst.»
Vanja Palmers, Lehrer/Schüler, Frohmatte
Soto Zen
Beim Zazen handelt es sich um ein Sitzen in Stille, jenseits von Worten und Bildern. Die christliche Tradition kennt das als Herzensgebet.
Über das Wohlwollen
«Mögen alle Wesen glücklich sein» ist das Motto, der Schlachtruf, den ich mir auf die Fahnen geschrieben habe…hauptsächlich als Orientierungshilfe für mich selber.
Der Neurowissenschaftler Ulrich Ott vom Giessener Bender Institute of Neuroimagining (BION) äusserte sich in Silent Portraits und an der Vernissage zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Wirkung von Meditation und liess sich von Seniorweb kurz interviewen:
Seniorweb: Was sind aus wissenschaftlicher Sicht die Wirkungen von Meditation, wenn man täglich nur 10 Minuten meditieren kann?
Ulrich Ott: 10 Minuten ist nicht sehr viel, da kommen Sie also nicht so tief rein, aber es ist schon ausreichend, um die Stressspitzen zu kappen. Wenn Sie das regelmässig machen, vertieft sich das auch über die Zeit. Besser wären natürlich 20-30 Minuten, aber 10 Minuten ist besser als gar nichts. Es ist eine Zeit der Besinnung, wo Sie zu sich kommen, wo Sie den Organismus runterfahren, das vegetative Nervensystem beruhigen – das nützt schon.
Was sind die Merkmale eines meditativen Lebensstils im Alltag?
Das ist wichtiger als die Zeit auf dem Kissen. Beim Essen, Abwaschen, Duschen, beim miteinander reden oder miteinander spazieren usw. – es gibt sehr viele Möglichkeiten, wo diese Haltung der Meditation und der Achtsamkeit das ganze Leben durchdringen. Das hat eine viel stärkere Wirkung als die 10 Minuten isoliert auf dem Kissen zu verbringen.
Was sind die Wirkungen eines meditativen Lebensstils im Alter?
Im Moment gibt es sehr viel Forschung zum Thema longevity, also Langlebigkeit. Man will nicht nur alt werden, sondern mental gesund alt werden und da gibt es vier Säulen dafür: Die Bewegung, das richtige Essen, die Sozialkontakte und die Regeneration. Auch dafür ist die Meditation ein ideales Werkzeug, um immer wieder zu sich zu kommen, zur Mitte zu kommen, sich zu beruhigen, sich zu regenerieren. Wer lange geistig fit und gesund bleiben will, für den kann ich Meditation sehr empfehlen.
Dr. Ulrich Ott, geb. 1965 ist ein deutscher Psychologe und Meditationsforscher und arbeitet zur Zeit an der Universität Giessen, wo der die Arbeitsgruppe «Veränderte Bewusstseinszustände» leitet. Einige seiner Werke: Spiritualität für Skeptiker (2021); Yoga für Skeptiker (2020); Meditation für Skeptiker (2019); Gesund durch Atmen. Ein Neurowissenschaftler erklärt die Heilkraft der bewussten Yoga-Atmung (2018). (Foto bs)
Axel Kirchhoff las zur Begrüssung bewegende Worte des Verlegers Oliver Seltmann, der an der Vernissage leider nicht anwesend sein konnte. Seniorweb konnte Axel Kirchhoff zwei Fragen stellen:
Seniorweb: Warum hat Ihre Arbeit am Buch «Silent Portraits» fünf Jahre gedauert?
Axel Kirchhoff: Mir war von Anfang an klar, dass wenn das Buch eine meditative Wirkung haben sollte, ich beim Erstellen des Buches nach meditativen Grundsätzen zu arbeiten habe: Keine Zielorientierung, keine Gewinnorientierung, keine Erwartung. Mir war also wichtig aus einem meditativen Zustand mich der Arbeit zu öffnen und diesen meditativen Zustand kann man nicht erzwingen. Ich musste also Achtsamkeit entwickeln, um zu erkennen, wann mein meditativer Zustand es zuliess zu fotografieren.
Hat sich Ihre meditative Praxis im Laufe der Arbeit am Buch verändert?
Meine meditative oder spirituelle Praxis hat begonnen, als ich mit 18 einem Sufitänzer begegnet bin, der sich bewegte, wie ich es bisher noch nie gesehen hatte. Seit diesem Moment wuchs in mir die Erfahrung, dass Meditation einfach und unspektakulär ist. Ein islamischer Mystiker aus dem 7. Jahrhundert hat mal gesagt: Aufregung ist für den Schüler, den Lernenden das, was für den Jäger der Schlaf. Also mit Aufregung lässt sich nicht meditieren. Deswegen versuchte ich bei der Entwicklung des Buches immer wieder zur Einfachheit und dem Unaufgeregt-sein zurückzukehren, was ein andauernder Prozess ist.
Axel Kirchhoff, geboren 1968 in München, lebt und arbeitet in St. Gallen. Nach Stationen als Showtänzer und Kunstschmied studierte er an der Schule für Gestaltung St. Gallen Fotografie. Seit 2002 ist er freiberuflich tätig, 2014 eröffnete er ein Atelier für Fotografie und Video. (Foto Stephanie Künzler)
Unvergesslich bleibt die Buchvernissage auch wegen des Meditationskonzerts mit akustischen Klanglandschaften von AUKAI.
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Titelbild: Peter Huseyin Cunz in seiner Meditation. Alle Meditationsbilder von Axel Kirchhoff stammen aus dem Fotoband Silent Portraits. Seltmann Publishers, Berlin 2025. ISBN 978-3-949070-66-2. Preis Fr. 55.- Auflage 1000 Stk. Auch die Texte der porträtierten Meditierenden sind dem Buch entnommen.