Am 8. Mai 1945 endete der 2. Weltkrieg. Das Foto mit der Sowjetflagge auf dem Reichstag der stark zerstörten Stadt Berlin markierte sinnbildlich die Niederlage Nazideutschlands und erlangte internationale Berühmtheit. Die Aufnahme stammt vom russischen Kriegsfotografen Jewgeni Chaidej. Heute ist das Thema Russland ein schwieriges Thema, auch im Kunstbetrieb. Galerist Klaus Memmert zeigt trotzdem in Berlin rund 30 Bilder dieses Jahrhundertfotografen und kann viel über die Hintergründe erzählen.
„Was, Sie sind aus Basel. Ich habe dort drei Jahrzehnte als Forscher in der Chemie gearbeitet.“ So begann das Gespräch mit Klaus Memmert in Berlin bei meinem eher zufälligen Besuch in seiner Galerie namens Beyond.Reality. Der 67-Jährige deutsche Kunstliebhaber hatte vor ein paar Jahren in der Nähe des Bahnhofs Zoo eine ehemalige Goldschmiede gemietet und in ein kleines Kunsthaus umfunktioniert.
Galerist Klaus Memmert. Foto Markus Sutter, Berlin
Rund um das 80-jährige Ende des 2. Weltkriegs finden in Deutschland gegenwärtig unzählige Veranstaltungen und Ausstellungen zu diesem Thema statt. Berlin arbeitet seine wenig ruhmreiche Vergangenheit in dieser Zeit besonders intensiv auf. Klaus Memmert hat sich für seine Galerie einen speziellen Themenschwerpunkt ausgesucht. Er zeigt Bilder aus dem 2. Weltkrieg von Jewgeni Chaldej, einem sowjet-ukrainischen- jüdischen Fotografen. Er wurde 1917 in der heutigen Ukraine in Donezk geboren und starb 1997 in Moskau.
Hammer und Sichel ein No Go
Doch heute, genau genommen seit dem Überfall Russlands auf die Krim und erst recht seit der Invasion in der Ukraine, sind Bilder mit Hammer und Sichel und einem Kriegssieger Russland vielfach tabu. Dazu zählt auch das Lebenswerk von Chaldej, der einen Ruf als „Jahrhundertfotograf“ hat. Kaum jemand im Kunstbetrieb will mit Russen oder Russland noch etwas zu tun haben. Mit seiner Ausstellung setzt Memmert nun einen Contrapunkt. Er wehre sich gegen diese verallgemeinernde „Russophobie“, sagt der Galerist. Das Lebenswerk Chaldejs verdiene es, veröffentlicht zu werden.
Ohnmacht in der zerstörten Friedrichstrasse.
30 Fotos, alles signierte Originalabzüge des Fotografen, erhielt er aus der Bildsammlung des befreundeten Künstlers Ernst Volland. Dieser hatte Chaldej in den 90er Jahren kennengelernt und mehrere Ausstellungen über dessen Schaffen durchgeführt. Die ausdrucksstarken Bilder, welche den Schrecken des Krieges und die Gefühle der Menschen deutlich machten, stiessen damals immer wieder auf überwältigende Reaktionen. Eine Tageszeitung schrieb zum Beispiel: „Es gibt hier kaum ein Bild, das sich, selbst nach flüchtigem Betrachten, nicht tief in die Erinnerung eingräbt. Soldaten, die durch die weisse Nacht in ein ungewisses Schicksal schreiten, eine alte Frau, die sich in Murmansk über verbrannte Erde schleppt, der Selbstmord eines Wiener Nazis, die erschütternden Ansichten aus dem Budapester Ghetto; es ist eine unerträgliche, riesige Anhäufung von Waffen, Leichen, Trümmern, Leiden und Zerstörung; aber inmitten des Wahnsinns gibt es anrührende Augenblicke, wo sich vor dem mitfühlenden Objektiv Chaldejs Geschichtliches und Privates kreuzen.“
Auch an den Nürnberger Prozessen dabei
Chaldej machte auch nach dem Krieg noch sehenswerte Bilder. So war er an den Nürnberger Prozessen vor Ort. Ein besonderes Augenmerk habe er auf den ranghöchsten noch lebenden Nationalsozialisten gelegt, Hermann Göring.
Momentaufnahme im Nürnberger Gerichtssaal.
Das Foto vom Rotarmisten, der die Sowjetflagge auf dem Reichstag vor dem zerstörten Berlin hisste, ist aber das berühmteste und vor allem symbolträchtigste. Der deutsche Historiker Hanno Hochmuth, der zur Zeitgeschichte Berlins im 20. Jahrhundert forscht, hat in einem Interview einige interessante Details zu diesem Foto vom 2. Mai 1945 aufgelistet. „Es ist sicherlich das berühmteste manipulierte Foto der Weltgeschichte“, bilanziert der Wissenschaftler.
Das Bild symbolisiert das Ende des 2. Weltkriegs. Die eigentliche Erstürmung des Reichstags fand allerdings nicht am 2. Mai 1945 statt, sondern bereits in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 1945. „Das Gebäude war sehr umkämpft, da wurde geschossen, ausserdem war es dunkel. Damals konnte man Dunkelheit noch nicht (fotografisch) festhalten, zumal Heckenschützen genau gewusst hätten, wo jemand ist, wenn es geblitzt hätte.“ Das Bild musste also am Tag nachgestellt werden.
Sowjetische Polizistin.
Zum Zweiten kam das Bild vom 2. Mai 1945, das den Sieg über Nazideutschland bildlich festhielt, zu früh, weil der Krieg erst ein paar Tage später mit der Kapitulation in Reims (7.5.45), beziehungsweise in Berlin-Karlshorst (8.5.45) definitiv endete. In Russland wird übrigens immer der 9. Mai gefeiert, weil in Moskau schon Mitternacht vorbei war.
Bildmanipulationen diverser Art
Aber nicht nur bezüglich Aktualität gilt es ein paar Präzisierungen anzubringen: Das angesprochene Foto wurde auch manipuliert. Retourchiermöglichkeiten und -fähigkeiten gab es schon vor dem Zeitalter von Photoshop und der Künstlichen Intelligenz. So sind zum einen schemenhaft Rauchschwaden zu sehen, obwohl das Foto zu einem Zeitpunkt aufgenommen wurde, als die Kampfhandlungen in Berlin bereits eingestellt waren. Man wollte damit suggerieren, dass das Foto noch während der Kampfhandlungen gemacht wurde. „Ausserdem ist direkt dort, wo ungefähr der Rauch ist, die Reichskanzlei gewesen, darunter der Führungsbunker. Die Rauchschwaden steigen also nicht irgendwo auf, sondern direkt beim Führungsbunker.“ Das war kein Zufall. Mit dem Bild sollte das Herz der NS-Diktatur getroffen werden, im wahrsten Sinne des Wortes.
Truppenverschiebung am See.
Und zum Abschluss noch ein interessantes Detail von einer weiteren Bildmanipulation: Der Soldat, der den Fahnenhisser beim waghalsigen Vortreten von unten abstützte, trägt auf den meisten Fotos in Chaldejs Privatarchiv an beiden Handgelenken mehrere Uhren. Chaldej habe später erzählt, dass er die Fotos gleich am nächsten Tag zur grossen sowjetischen Nachrichtenagentur Tass geschickt habe. Einem aufmerksamen Bildredaktor fiel sofort auf, dass so etwas nicht veröffentlicht werden konnte. Denn man sehe sofort, dass der Soldat geplündert haben muss, weil er mehr als eine Armbanduhr trägt.
Folglich wurden die Uhren auf dem Foto wegretouchiert. „Schon der Bildredaktor in Moskau wusste, dass ein so kleines Zeichen einen schlechten Eindruck bei der Veröffentlichung machen würde“, so Historiker Hanno Hochmuth.
Flieger über dem zerstörten Reichtstag.
Bei meinem zweiten Besuch in der Galerie von Klaus Memmert war ein roter Punkt neben diesem berühmten Bild zu sehen: Ein Käufer hatte das Originalbild bereits erstanden. „Zu einem tiefen vierstelligen Betrag“, wie Galerist Klaus Memmert andeutete.
Titelbild: Das Foto mit der Sowjetflagge auf dem Reichstag der stark zerstörten Stadt Berlin markierte sinnbildlich die Niederlage Nazideutschlands. Fotos Jewgeni Chaldej.
Ausstellung in Berlin: 30.04. – 29.05.2025
Jewgeni Chaldej – Der sowjetische Kriegsfotograf
Öffnungszeiten: Mi – Fr 13 – 18 Uhr, und nach Vereinbarung.