Im Krieg, nach einem Krieg, immer wieder, stellen sich Fragen um Leben und Tod. Für uns als TV-Konsumenten, aufmerksame Beobachterinnen und Beobachter in der besonderen Art als Verschonte. So der Ukraine-Krieg, der im vierten Jahr immer mehr zivile Opfer fordert und immer noch kein Ende findet. Die Bomben-Attacken auf die Menschen im Gazastreifen und das erneute Durchkämmen der israelischen Armee des ganzen Streifens lassen neben dem Gefühl einer quälenden Ohnmacht viele Fragen offen. „Die wohl verstörteste Frage unter allen“, schrieb Iren Meier, die als langjährige Radio-Journalistin im Bosnienkrieg im Einsatz war, ist: „Hast du getötet?“ Diese Frage dringe ein ins Innerste des Menschen. „Dort, wo sich Gewissen, Ethik, Moral und Glaube streifen.“ Und sie schrieb, dass die Frage einen langen Weg gehe, bevor sie ausgesprochen werde. Immer wieder holen mich diese Sätze von Iren Meier ein, führen mich zurück an den Ort, wo ich am Ende dieses Weges angekommen war.
Ich sitze ihm vis-a-vis. Im Restaurant, das einen direkten Blick auf die legendäre Brücke in Mostar erlaubt, auf die wieder errichtete Brücke, welche im Bosnien-Krieg 1993 zerstört wurde. Wir reden über Krieg und Frieden. Über seinen Krieg. Wie er auf dieser Seite in Stellung lag und darauf wartete, bis auf der anderen Seite einer seiner Schulkollegen es ganz kurz wagte: „Meine genaue Stellung auszuspähen, und wie ich dann kurz entschlossen auf ihn schoss“. Ich bin zutiefst erschüttert, senke den Kopf, fasse mich, wage es kurz darauf, ihm direkt in die Augen zu schauen: „Hast Du ihn getroffen?“ Sein Blick beinahe starr. Er, der heute als Einsatzchef einer Spezialeinheit der zentralen Polizei aktiv ist, sinniert vor sich hin, denkt wohl nach, dahin zurück. Unser Gespräch stockt. „Ich weiss es nicht, ich habe ihn nie mehr gesehen,“ bricht es aus ihm heraus.
Hat er getötet? Sitze ich einem Mann gegenüber, der aus legitimen oder vorgeschützten Gründen einen ehemaligen Schulkameraden erschossen hat? Was rechtfertigte sein Handeln? Überhaupt: Welche Rechtfertigung lag dem Bosnien-Krieg zugrunde? Einem Konflikt zwischen Ethnien, zwischen Christen, Orthodoxen und Moslems, der noch nicht ganz befriedet ist, immer wieder im lokalen Rahmen ausbricht.
Das Ereignis liegt zurück. Das Treffen im Mostar fand vor mehr als 10 Jahren im Rahmen eines Projekts der Direktion für Entwicklungshilfe DEZA statt. Das Treffen hat sich aber tief in meinem Gedächtnis verankert. Und es kommt immer wieder hoch, wenn ich mich intensiver mit dem Ukraine-Krieg und Israels Vorgehen im Gazastreifen befasse. Insbesondere mit den erwähnten Bomben-Attacken der israelischen Armee auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. den sie erneut durchkämmen, besetzen, dabei die Hamas definitiv vernichten wollen.
Noch mehr erfassten mich die Bilder vom Roten Platz in Moskau. Eine gigantische Militärparade zum Sieg über Nazi-Deutschland vor 80 Jahren. Ein Kriegsherr, der über all diesen Frauen und Männer in Kampfanzügen steht, die im Gleichschritt, Schulter an Schulter vor ihm defilieren. Tausende, die er in den Krieg geschickt hat, schicken wird, in eine „militärische Spezialaktion“, wie er den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verharmlosend bezeichnet. Junge Menschen, die er verpflichtet, den Gegner, ukrainische Frauen und Männer, Mütter und Väter im besten Alter zu töten. Kommandanten, die er anschickt, völkerrechtswidrig die Zivilbevölkerung mit Drohnen, Granaten und Raketen zu zermürben, um sie so zur Aufgabe zu zwingen. Ukrainerinnen und Ukrainer verteidigen ihre Freiheit, ihren Glauben an ihre junge Demokratie, an einen Rechtsstaat, träumen von einem Leben, wie wir es ihnen vorleben. Die Russinnen und Russen, an ihrer Seite zunehmend Nordkoreaner, kämpfen für Putin, der eines am Jubeltag unmissverständlich zum Ausdruck brachte: „Wir Russen stellen die unüberwindbare Hürde gegen den Nazismus, die Russenphobie und den Antisemitismus dar wie damals vor 80 Jahren. Er rechtfertigte damit den Krieg gegen die Ukraine.“ Denn: „Die Wahrheit und die Gerechtigkeit sind auf unserer Seite.“ Und wenn er jetzt plötzlich Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen zwischen der Ukraine und Russland anbietet und nicht auf den US-Vorschlag (unterstützt von Merz, Macron Tusk und Starmer) auf eine 30-tägige Waffenruhe eingeht, tut er das trickreich kalkuliert. Er weiss, dass Selensky nicht ohne Teilhabe und Schutzgarantien der USA und der Europäer seinen gerechten Frieden aushandeln kann. Und Putin wird triumphieren: „Sieht, Selensky will gar keinen Frieden.“ Gefehlt: Selensky will am Donnerstag nach Istanbul reisen und Putin treffen. Und nun: Wie wird Putin reagieren? Fortsetzung folgt.
Durch diese Machenschaften eines machtrunkenen Mannes rückt die verstörteste Frage: Hast Du getötet vom einzelnen Soldaten weg hin zu Putin, dem Befehlshaber. Unter dem massiven Druck, dem ein einzelner Soldat ausgesetzt ist, stellt sich dennoch die Frage: Warst Du wider besseres Wissen an diesem völkerechtswidrigen Krieg, an Massakern wie in Buschat beteiligt? Hattest Du eine Chance, Dich zu verweigern? Ohne in den Tiefen der Rechtsfragen zu recherchieren, wird immer offensichtlicher, dass Putin zu Recht als Kriegsverbrecher angeklagt und zur Festnahme ausgeschrieben ist. Er hat nicht getötet. Er hat das Töten befohlen.
Der 8. Mai 1945, der Feier- und Erinnerungstag 80 Jahre Frieden nach dem zweiten Weltkrieg, löste besonders in Deutschland eine grosse öffentliche und mediale Diskussion aus. Hast Du getötet? Diese Frage wurde von der Kriegsgeneration lange todgeschwiegen. Verständlich, denn das Schuldbewusstsein über die Gräueltaten des Hitlerregimes im zweiten Weltkrieg lastet auch noch Generationen später schwer auf der Seele. Doch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit findet rege statt. Dies ist eine gute Voraussetzung für eine positive Zukunft dieses wichtigen Landes in Europa.
Seit die Männer auf dieser Welt das Sagen haben, wird uns suggeriert, dass Ansprüche oder Probleme nur mit Gewalt durchgesetzt und gelöst werden können. Dabei zeigt die Geschichte, dass die Menschen in ihrer frühen Entwicklung meist friedlich unterwegs waren. Sie hatten Respekt vor der (Mutter) Natur, denn sie zählten sich auch dazu. Die Logik war ein möglichst ausgeglichenes Geben und Nehmen. Doch je mehr die Menschheit eigenen Besitz, Gewinnmaximierung, Macht und Ruhm zu den wichtigsten Zielen im Leben erhob, desto mehr nahm die Ausbeutung von Mensch, Tier und der Natur zu.
Die grössten Profiteure des herrschenden Raubtierkapitalismus und Politisierens über die Köpfe der Menschen hinweg, scheren sich einen Deut um die verheerenden Auswirkungen, die sie uns und unserem Heimatplaneten Erde damit antun. Im Gegenteil, um dieses System weiter in dieser Form am Leben zu erhalten, schliessen sich die Mächtigen dieser Welt zusammen, um sich weiterhin gewissenlos über Menschen- und Daseinsrechte anderer Lebewesen hinweg zu setzen, die Natur bis zum geht nicht mehr auszubeuten und in der Folge werden sie auch vor Unterdrückung, brutalen Kriegen und Zerstörungen nicht zurück schrecken.
Ein rascher Zusammenschluss und die Solidarisierung mit allen demokratisch funktionierenden Ländern dieser Welt ist deshalb unabdingbar, wenn wir an ein lebenswertes und friedliches Zusammenleben aller Menschen in der Zukunft glauben wollen.