Jahrhundertelang wurden die Täufer verfemt, verfolgt, ausgegrenzt. Nun feiern sie ihr 500jähriges Jubiläum. Zürich wird Gäste aus aller Welt zu einem Fest empfangen, in der Zentralbibliothek gibt es eine Ausstellung zur Täuferbewegung, doch ihr Ursprung war in Zollikon.
Kennen Sie das Zollikon Institute? In Zollikon hat es keine Adresse, aber in Berlin. Freilich nicht in Deutschlands Hauptstadt, sondern in Berlin, Ohio, also im mittleren Westen. Den Namen hat die Institution für Weiterbildung von Mitgliedern der Amish und der Mennoniten dank einer fünfhundertjährigen Geschichte, die am Zürichsee begonnen hat: Zollikon ist Gründungsort der Täufer-Bewegung.
Die Homepage des Zollikon Institute in Ohio mit der Adresse zollikon.org
Die Täufer feiern 2025 ihr 500jähriges Jubiläum. Am 29. Mai 2025 lädt die mennonitische Weltkonferenz Gäste aus der ganzen Welt nach Zürich ein, um dem 500-Jahr-Jubiläum der Täuferbewegung zu gedenken. Unter dem Motto «Mut zur Liebe» wird die Geschichte der Bewegung und was daraus bis heute geworden ist gewürdigt und gefeiert. Aus der ganzen Welt werden Gläubige erwartet.
Zürcher Disputation 29. Januar 1523. Aquarell aus Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte, illustriert von Heinrich Thomann 1605/1606
Ulrich Zwingli, seit 1519 Leutpriester am Grossmünster, und seine Schüler waren dabei, die katholische Kirche zu reformieren, den Ablasshandel abzuschaffen, das Wort Gottes direkt aus der Bibel in der Sprache zu predigen, welche die Menschen auch im Alltag reden. Priester sollten heiraten können, die Messe sollte abgeschafft und Heiligenbilder aus den Kirchen entfernt werden. Erst Erwachsene sollten die Taufe empfangen, wie es das Neue Testament beschreibt.
In den Häusern an der Gstadstrasse, die vom Zolliker Kirchengebiet zum See führt, gab es die ersten Erwachsenentaufen. Archiv Adrian Michael, Zollikon
An der Tauffrage zerbrach die junge Bewegung: Zwingli wollte nicht ohne den Rat von Zürich im Rücken so schnell so Wichtiges ändern, Conrad Grebel und Felix Manz sowie der Bündner Jörg Cajacob, Blaurock genannt, liessen sich nicht aufhalten. Am 21. Januar 1525 versammelten sich die Rebellen in einem Privathaus und Blaurock taufte als ersten Erwachsenen Conrad Grebel. Schon am 22. Januar war die Gruppe nach Zollikon verschwunden. Viele Bauern unterstützten die jungen Prediger. Der Bildersturm traf auch die Zolliker Kirche, der Taufstein wurde entfernt.
Laurent Casagrande bei der Dorfführung zu alten Häusern und einem wichtigen Brunnen, der als Kopie heute vor einem Museum in Pennsylvania steht
Dieser Taufstein führt ins Heute: Der Gymnasiast Laurent Casagrande hört als Primarschüler im Religionsunterricht von dem Diebstahl, den Hintergrund hat er damals nicht ganz verstanden. Jetzt muss er seine Maturarbeit schreiben und will hinter das Geheimnis kommen. Er recherchiert, findet aber wenig, wendet sich ans Ortsmuseum und tritt damit das Projekt Von Zollikon raus in die Welt los: Am 10. Mai ist Zollikon im Zeichen der Täuferbewegung gestanden.
Amish People beim Ausflug mit dem Buggy. Für das grosse Jubiläum an Auffahrt werden viele Täufer aus aller Welt nach Zürich und Zollikon reisen. Foto: KiwiDeaPi
In derselben reformierten Kirche, erbaut 1497/99, wird bei einer Tagung die Geschichte der Täufer bis in die globale Gegenwart verhandelt, ein ökumenischer Gottesdienst mit Riki Neufeld, Pastor in einer Baselbieter Mennonitengemeinde und zwei Zolliker Pfarrern beschliesst den Anlass. Zwischendurch geht es – geführt vom Gymnasiasten Casagrande – zu den fünf Orten, die vor einem halben Jahrtausend Versammlungsorte der jungen Täuferbewegung waren.
Rütistrasse 43, Haus Felix Kienast. Auf dem Plakat ist zweisprachig die Information zu dem Ort zu lesen, rückseitig gibt es jeweils einen Rundgang-Plan.
Der Dorfrundgang zu den fünf Plakatstelen vor den damals wichtigen Häusern kann jederzeit wiederholt werden. Die Texte in deutsch und englisch auf den Plakaten hat Laurent Casagrande verfasst unter Mithilfe von Urs Leu, Leiter der Abteilung Alte Drucke und Rara der Zürcher Zentralbibliothek und dem Museumsdirektor Bruno Heller.
Der hat die Tagung Von Zollikon raus in die Welt organisiert und die reformierte Kirchgemeinde ins Boot geholt. Urs Leu, der die Ausstellung Verfolgt-vertrieben-vergessen in der Zentralbibliothek verantwortet, hat die Anfänge zusammengefasst: In Zürich sind zwei Weltkirchen entstanden, die protestantisch-reformierte und jene der Täufer.
Bei den Amish in Lynndenville NY: Landwirtschaft ist nicht mehr rentabel, aber noch immer eine Grundlage für die Gemeinschaft. Foto:
Nochmals zurück ins 16. Jahrhundert: Am 29. Januar 1523 kam es zur ersten Zürcher Disputation, bei der die Obrigkeit Zwingli gestattete, sein Reformwerk weiterzuführen. Es ging um die Abschaffung des Zehnten, der Steuer, welche die wirtschaftliche Grundlage der Kirche war. In der zweiten Disputation im Oktober des gleichen Jahres wurde festgelegt, dass das Tempo der Reformen beim Rat liegen sollte. Nach der dritten Disputation im Januar 1524 war die Reform vorerst abgeschlossen, es blieb bei der Kindstaufe. Die Zwangstaufe von Säuglingen ermöglichte der Obrigkeit die Kontrolle der Bevölkerung, weil jede Taufe in den Kirchenbüchern verzeichnet wurde. Historiker und Familienforscher sind heute Nutzer dieser Quellen.
Auflösung einer Täuferversammlung 5. September 1574 in der Au bei Altstetten (ZH). Johann Jakob Wick: Sammlung von Nachrichten zur Zeitgeschichte 1560-1587
Die radikalen Zwingli-Schüler wichen nach Zollikon aus. Am 25. Januar 1525 fand im Haus des Rudi Thomann ein erstes Abendmahl mit Taufen statt, aus dem innerhalb weniger Tage die erste protestantische Freikirche entstand, welche Menschen aller Schichten erfasste. Aber bald wurden viele verhaftet und in Gefängnisse, unter anderen im Wellenbergturm – der Alcatraz von Zürich, so Urs Leu – geworfen. Es kam zu Verurteilungen, Hinrichtungen durch Ertränken, aber auch zu Fluchten, dank gleichgesinnten Helfern, oder zu Freilassungen, wenn man konvertierte.
Wer denkt, Protestbewegungen oder neue Parteien könnten sich erst seit dem Internet oder wenigstens seit dem Telefon schnell ausbreiten, ist auf dem Holzweg. So schnell, wie sich die Täuferbewegung nach der Trennung von Zwinglis Reformation in halb Europa ausgebreitet hat, überholt im Tempo viele Protestaktionen der Gegenwart.
Gefangenenbefreiung aus dem Hexenturm. Heinrich Bullinger: Reformationsgeschichte, illustriert von Heinrich Thomann 1605/1606
Europa war im Aufbruch, die katholische Kirche und die Obrigkeit wurden bekämpft, das war das eine, die heftige Verfolgung, Verbannung und Hinrichtung der ersten noch bis vor wenigen Jahrzehnten verfemten Täufer zwang zur Flucht.
Ertränkung von Felix Manz am 5. Januar 1527. Conrad Grebel erlag im gleichen Jahr bei Maienfeld der Pest.
Der Stand Zürich war 1670 endgültig täuferfrei, wer nicht konvertierte, musste gehen, erst aus der Stadt, später in andere Hoheitsgebiete. Nur im Kanton Bern und im Baselbiet gibt es bis heute auf Schweizer Staatsgebiet Täufergemeinschaften.
Gruppen aus halb Europa emigrierten in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo sie ohne verfolgt zu werden, siedeln und ihren Glauben leben konnten. Der Theologe Peter Dettwiler hat die Amish in Indiana, Pennsylvania und Ohio besucht und weiss zu berichten, dass sie sich ihrer Ahnen bewusst sind und deren Sprache sprechen, Pennsylvania Dutch, wie sie den altertümlichen pfälzisch-hochalemannischen Dialekt nennen.
Amish People sind in ihren Gebieten schnell erkennbar, sie nutzen keine Autos und keine Züge, sondern bewegen sich mit Velo, Trottinett oder in der Pferdekutsche und zu Fuss. Foto: Gadjoboy
Wie sie sich in der modernen digitalen Gesellschaft zurechtfinden, ist hochinteressant: Zuhause in der Gemeinschaft leben die Amish traditionell, auswärts können sie in Unternehmen am Computer oder an einer Maschine arbeiten. Die Ausbildung bekommen sie beispielsweise im Zollikon Institute. Ebenso erstaunlich ist das Rumspringa: Die Amish Jugend kann sich ab 16 bis zur Taufe – sofern sie sich dann taufen lassen, was die meisten tun – austoben, auf Parties gehen, Handies benutzen, Kleidung und Haartracht nach Lust und Laune wählen, kurz: Sex, Drugs and Rock ’n Roll.
Die Täuferhöhle bei Bäretswil im Zürcher Oberland soll Zufluchtsort gewesen sein.
Heute zählt die Gemeinschaft der Täufer über 2,1 Millionen Menschen in über 80 Ländern. Und es werden mehr. In den USA lebt die Mehrheit der Täufer, vor allem die Amish, Mennoniten und Hutterer. Gründer der Amish ist Jakob Ammann (1644-1730) aus dem Simmental, Menno Simons (1496-1561) aus den Niederlanden ist der Vater der Mennoniten und die Hutterer nennen sich nach Jakob Hutter (1500-1536) aus dem Tirol, der wie Felix Manz in Zürich von seinen Verfolgern in Innsbruck hingerichtet wurde.
Titelbild: Zollikon als Gründungsort einer Weltkirche: Von Zollikon raus in die Welt. Screenshot
Links zu 500 Jahre Täufergeschichte:
Zur Ausstellung in der Schatzkammer der Zentralbibliothek (bis 14. Juni)
In der Predigerkirche werden bis 5. Juni Quilts der Amish präsentiert
Ortsmuseum Zollikon und Täufergeschichte
Zum Täuferjubiläum
Publikation: Kinder des Friedens. 500 Jahre Täufertum in der Schweiz. Mit Beiträgen von Oliver Dürr, Urs B. Leu, Hanspeter Jecker, Tobias Jammerthal. TVZ-Verlag Zürich, 2025, . ISBN 978-3-290-18687-6
Ein sehr interessanter Beitrag; ich wusst bisher nicht, dass die religiöse Täufergemeinschaft auch den Amish, Mennoniten und Hutterer zugeordnet werden.
Vielen Dank für diese Bereicherung meiner Wissenslücken.