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Japanische Kunst im Berner Seeland

Das Centre Albert Anker in Ins BE, letztes Jahr neu eröffnet, präsentiert in seiner zweiten Wechselausstellung eine ungewöhnliche Entdeckung: Der Berner Maler besass eine beachtliche Anzahl japanischer Farbholzschnitte aus dem 19. Jahrhundert.

Unter dem Titel Faszination Japan. Die Sammlung von Albert Anker lockt uns das Centre in seinen stilvollen Ausstellungspavillon. Wir kennen den Maler von seinen schönen Gemälden aus dem Seeland, vor allem den ländlichen Szenen und den ausdrucksvollen Porträts junger und alter Menschen seiner Umgebung. – Aber wie kamen japanische Farbholzdrucke in seinen Besitz?

Ausstellungsraum im Pavillon, 2024 eröffnet. – Zum Schutz der Farbholzschnitte ist der Raum abgedunkelt. (Foto mp)

Daniela Schneuwly-Poffet, Leiterin des Centre, erzählte von ihrer Überraschung, als sie im Haus neben einigen japanischen Gefässen und Lackarbeiten eine Sammlung von Farbholzschnitten entdeckte. Geschützt im Schrank behielten sie ihre Qualität, vor allem die grosse Leuchtkraft der Farben. Von anderen Mitgliedern der Familie Anker kamen noch weitere hinzu – insgesamt sind es 31 Blätter.

Utagawa Hiroshige (1826 – 1869) und Utagawa Kunisada (1786 – 1865): Winter, Der Sumida-Fluss, 1862. Farbholzschnitt und Kreppdruck (Chirimen-e) © Centre Albert Anker Foto: Martin Gasser, Solothurn

Wer sich mit Albert Anker (1831-1910) beschäftigt, weiss, dass er Reisen innerhalb Europas unternommen hatte und über dreissig Jahre lang die Winter in Paris verbrachte, mit Frau und Kindern. Von 1866 bis 1882 arbeitete er dort als Fayence-Maler; er pflegte Kontakte zu anderen Künstlern, lernte die Impressionisten kennen. Besonders mit Vincent van Gogh stand er in Verbindung. Zum Pariser Kulturleben gehörten die Weltausstellungen.

Albert Anker wurde 1878 zum Mitorganisator der Schweizer Abteilung ernannt, was wohl eine Verpflichtung, aber auch eine Ehre war. – Nebenbei: Ebenfalls in diesem Jahr wurde er zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt. Anker besass also ein gewisses Renommée.

Utagawa Kuniaki (aktiv ca. 1844 – 1868): Die junge Murasaki und der östliche Genji, 1862. Farbholzschnitt und Kreppdruck (Chirimen-e) © Centre Albert Anker. Foto: Martin Gasser, Solothurn

An der Weltausstellung von 1878, der dritten, die in Paris stattfand, war beim Publikum die Leidenschaft voll entfacht für Kunst- und Dekorationsobjekte aus Ostasien, Chinoiseries und Japonaiseries. Beliebt waren japanische Drucke von Farbholzschnitten, exotisch und nicht teuer. Auch die Impressionisten, die modernen Künstler jener Zeit, waren von den Holzschnitten beeindruckt – mehr als die Kunstinteressierten in Japan. Das holländische Van-Gogh-Museum besitzt siebzehn Chiri-men-e-Farbholzschnitte. Van Gogh und Anker kannten sich ja – sammelten sie gemeinsam, tauschten sie ihre Fundstücke untereinander?

Albert Anker, Théodore Deck (1823 – 1891): Medaillon mit einer Japanerin im Buchdeckel von Pierre Lotis Madame Chrysanthème, um 1888, Fayence. © Privatsammlung. Foto: Barbara Hess, Muri b. Bern

Hans Bjarne Thomsen, Experte für ostasiatische Kunst, erklärt, dass es damals ein «Überangebot» an zeitgenössischen Farbholzschnitten gab, die in Japan kaum noch jemand kaufen wollte. Deshalb nahmen die japanischen Händler ihre Drucke mit an die Pariser Weltausstellungen. Hayashi Tadamasa erwarb sich den Ruhm des erfolgreichsten Importeurs japanischer Artikel in Europa.

Unbekannt: Schatulle mit Heuschrecke und Schnecke, um 1880. Lackarbeit © Centre Albert Anker. Foto: Barbara Hess, Muri b. Bern

Nicht nur diese Blätter, sondern auch besonders bearbeitete waren das: die Chiri-men-e Farbholzschnitte, eine Art manuell hergestellte Krepppapier-Drucke. Sie wurden aus den ursprünglich grösseren Drucken um ca. ein Fünftel verkleinert, mit erstaunlichen Wirkungen: Die Proportionen der ursprünglichen Darstellung blieben exakt erhalten, durch die «Schrumpfung» erhielt das Papier ganz feine Falten. Infolgedessen besass das Papier eine festere Struktur, die fast wie eine Textilie wirkt und reissfest ist. Es entstand eine gewisse Dreidimensionalität, vor allem die Farben wirkten durch das «Stauchen» intensiver.

Im Ausstellungsraum liegen einige Exemplare, deren Textur wir haptisch erfahren können. Sogar in den Abbildungen hier ist die spezielle Struktur der Chiri-men-e Drucke zu erkennen.

Albert Anker: Halbfigur einer Japanerin, Vorstudie zu einem Fayence-Teller um 1888. Bleistift und Kohle auf Papier. © Centre Albert Anker. Foto: Barbara Hess, Muri b. Bern

Was uns raffiniert erscheint, beeindruckte die Japaner und Japanerinnen damals nicht – umso mehr aber das Publikum in Paris. Was die Drucke darstellten, war gar nicht so wichtig. Farben und Stil zogen die Aufmerksamkeit an. Beliebt war das Thema «Die schöne Japanerin». – Die in Ins ausgestellten Keramiken stammen nicht alle aus Japan, denn Frankreich war eines der europäischen Zentren für Fayencen.

Albert Anker schuf selbst Vorlagen für Fayencen, Bilder auf Vasen oder Schmucktellern, besonders für Théodore Deck, Besitzer einer in Paris renommierten Fayencemanufaktur. – Auch Keramik-Laien kennen die blau-weissen Keramik-Gefässe. Vor allem das «Berliner Blau» (oder Preussisch-Blau) war damals sehr beliebt, sogar in Japan. – Die Pariser Fayencerien wurden in jenen Jahren zum Treffpunkt aller Japan-Begeisterten, zu denen auch Van Gogh gehörte.

Tsukioka Yoshitoshi (1839 – 1892): Ansicht der Schlacht von Anegawa 1866. Farbholzschnitt und Kreppdruck (Chirimen-e) ©Centre Albert Anker. Foto Martin Gasser, Solothurn

Die spezielle Technik des Chiri-men-e konnte nicht in Massen produziert werden, jedes dieser Blätter ist ein Einzelstück. – Nirgends sonst findet man die gleichen Blätter. Einige der Blätter zeigen Samurai, japanische Ritter, andere Schauspieler, die damals durch das Kabuki-Theater berühmt waren.

Professor Thomsen macht uns auf einige Farbholzschnitte mit ziemlich wilden Kriegern aufmerksam. Yoshitoshi, der letzte – und hochgeschätzte – Meister des traditionellen Farbholzschnitts, schuf im 19. Jahrhundert solche Bilder mit grausamen Szenen. Sie passen nicht in das Bild, das wir von Albert Anker als friedliebendem versöhnlichen Menschen haben. Was war sein Interesse daran – wusste er vom Ruhm dieses Künstlers? Wenn Daniela Schneuwly-Poffet nicht in versteckten Schubladen noch Aufzeichnungen von Anker findet, werden wir es nie genau wissen.

Alle Informationen zum Centre Albert Anker in Ins BE finden Sie auf der Webseite.

Die Ausstellung Faszination Japan. Die Sammlung von Albert Anker ist noch bis 21. September 2025 geöffnet.

Zur Ausstellung ist ein Buch/Katalog (in Deutsch, Englisch und Japanisch) erschienen: Faszination Japan. Die Sammlung von Albert Anker.
Herausgeberin: Daniela Schneuwly-Poffet, Centre Albert Anker.
Mit Beiträgen von Saskia Goldschmid und Prof. em. Hans Bjarne Thomsen.
Michael Imhof Verlag 2025. 128 Seiten, 103 Farbabbildungen
ISBN 978-3-7319-1524-9

Titelbild: Utagawa Hiroshige (1797 – 1858): Sazai-Halle im Tempel der Fünfhundert Arhats, um 1850. Farbholzschnitt und Kreppdruck (Chirimen-e) © Centre Albert Anker  Foto: Martin Gasser, Solothurn

 

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