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Von Charlie Chaplin und grossen Diktatoren

Rund um den Globus treiben Diktatoren ihr Unwesen. Mit der Politsatire «Chaplin 1939» von Cliff Paillé bringt das Theater Effingerstrasse in Bern eine Schweizer Erstaufführung auf die Bühne, die nicht besser getimt sein könnte. Die Inszenierung stammt vom Berner Regisseur Stefan Meier

Mit Sicherheit kennen Sie Charlie Chaplins politischsten Film, «Der grosse Diktator», eine beissende Kritik an Adolf Hitler und den Nationalsozialisten. Aber kennen Sie auch die Hintergründe, die Motive und Debatten, die Chaplin bei der Abfassung des Drehbuchs beeinflussten? Der französische Autor Cliff Paillé hat die Entstehungsgeschichte in einem witzigen Dreipersonenstück zusammengefasst. Neben dem Filmstar treten Chaplins Halbruder Sidney sowie seine zweitweise Ehefrau Paulette Godard in Aktion.

Charlie Chaplin (links) streitet mit seinem Halbbruder Sidney.

Stimmiges Set

Das Bühnenbild am Theater Effinger besteht aus sechs senkrecht aufgehängten Filmstreifen mit Fotos aus Chaplin-Film. In der Mitte der Bühne steht ein Schreibtisch, bestückt mit einer alten Schreibmaschine. Rechts ein schwarzes Sofa, links ein Sessel (Bühne: Peter Aeschbacher). Das Stück beginnt mit sanfter Filmmusik. Am Schreibtisch sitzt, mit dem Rücken zum Publikum, Charlie Chaplin (Christoph Keller). Er arbeitet am Drehbuch für den Film «Der grosse Diktator».

Fünf Minuten lang spricht er kein Wort, tanzt aber im typischen Chaplin-Stil über die Bühne, versprüht Freude, wenn ihm ein genialer Einfall durch den Kopf geht, reisst das Manuskript aus der Maschine, wenn ihm eine Textpassage missfällt, und wirft die Blätter weit von sich: Ein stimmiger Beginn, der die Genialität, die spielerische Verrücktheit des Künstlers hervorragend wiedergibt.

Dann tritt Sidney Chaplin (Aaron Frederik Defant) in Erscheinung. Der Halbbruder nimmt Kenntnis von der entstehenden Parodie über Hitler und versucht, Charlie vom Plan abzubringen. Sich über den Naziführer lustig zu machen, könnte gefährlich werden. Charlie sei bereits im Visier von FBI-Direktor Edgar Hoover und der Inlandpolizeibehörde.

Paulette liest Charlie die Levitten.

Doch Charlie, der von den US-Behörden verdächtigt wird, ein Kommunist zu sein, hält an seinen Ideen fest und betont, er wolle mit dem Film einen leidenschaftlichen Appell gegen Faschismus, Hass und Unterdrückung, ein Plädoyer für Menschlichkeit, Demokratie und Frieden abgeben. Die beiden Halbbrüder wälzen neue Ideen. Schliesslich stimmt Sidney zu und zeigt sich sogar begeistert. Ausweg ist eine Namensänderung: Adolf Hitler wird im Film kurzerhand in «Adenoid Hynkel» umtauft, Deutschland heisst Tomanien.

Spannungen mit Ehefrau

Dann stösst als dritte Protagonistin, die Schauspielerin Paulette Godard, hinzu. Sie ist die zeitweilige Ehefrau von Carlie Chaplin (Cornelia Werner). Die Akteurin scheint vor allem an ihrer eigenen Karriere interessiert und erhält dank Chaplin in der Filmwelt mehr Aufmerksamkeit. Ihrem genialen Mann aber wirft sie vor, sich wie ein Bub zu benehmen, viel zu viel zu arbeiten, sich nicht um die Kinder zu kümmern und die Familie zu vernachlässigen.

«Tramp», Chaplins Landstreicher, steht für Menschlichkeit und Gerechtigkeit.

Parallelen zu Chaplins Fantasiefigur «The Tramp» werden sichtbar. Gegen Ende des Theaterstücks verwandelt sich Sidney in die liebenswerte Figur mit Schnurrbart, Melone, Spazierstock, Schlappschuhen (Kostüme: Sarah Bachmann) und wird von seinem Chaplin wie eine Marionette gesteuert, bewegt. Der grosse Künstler haucht seiner Figur sozusagen Leben ein.

«Hitler hat genau denselben Schnurrbart,» konstatiert Paulette, worauf Chaplin antwortet: «Er hat ihn mir gestohlen, das steht fest.» Doch «Tramp» steht nicht für Trump und auch nicht für Machtmissbrauch und Krieg, sondern für Menschlichkeit, für den kleinen Mann, für die Schwachen und Entrechteten. «Der Spazierstock steht für die Würde des Menschen, der Schnurrbar für die Eitelkeit und die ausgelatschten Schuhe für die Sorgen,» sagt Chaplin.

Historische Tatsachen

Hitler balanciert den Globus: Ausschnitt aus dem Film «Der grosse Diktator».

Autor Cliff Paillé nutzt für sein Spiel historische Tatsachen: 1937 hatte der ungarische Filmproduzent Alexander Korda Chaplin vorgeschlagen, einen Hitlerfilm mit einer Personenverwechselung zwischen dem «Tramp» und Hitler zu entwickeln, da beide denselben Schnurrbart hätten. Chaplins Freund Cornelius Vanderbilt schickte ihm eine Serie von Postkarten, die Hitler zeigten, der eine Rede hielt. Diese Bilder prägten den 1940 uraufgeführten Film «Der grosse Diktator».

Grossartige Chaplin-Interpretation

Die Berner Inszenierung von Regisseur Stefan Meier erzählt die Entstehungsgeschichte des historischen Films in einer liebenswürdigen, berührenden Weise. Grossartig die Wutanfälle Chaplins (Christoph Keller), der den Diktator mimt, wunderschön die Augen, der Gesichtsausdruck, die Bewegungen von «Tramp» (Aaron Frederik Defant). Eindrücklich die Vehemenz von Ehefrau Paulette (Cornelia Werner), die ihren Mann herausfordert und gleichzeitig fördert. Leider ging deren Ehe 1942 in Brüche.

Im Theaterstück zeigt Chaplin, wie Hitler im Film den Globus balanciert.

«Chaplin 1939», die letzte Produktion der zu Ende gehenden Saison 24/25 am Effinger, lenkt den Blick über den Atlantik, wo ein neuer Diktator herrscht und die US-Demokratie in eine grosse Krise stürzt. Da bedient sich der amerikanische Präsident ähnlicher Methoden wie seinerzeit Adolf Hitler, um seine politischen Gegner in die Knie zu zwingen und seine Ziele skrupellos durchzusetzen.

Fazit: Die Welt bräuchte einen neuen Charlie Chaplin, der die aktuellen Entwicklungen jenseits des Atlantik in eine filmische Politsatire kleidet und den Amerikanerinnen und Amerikanern einen Spiegel vorhält.

Titelbild: Charly Chaplin als Hitler (Christoph Keller, rechts), Sidney Chaplin (Aaron Frederik Defant, links). Alle Fotos Severin Nowacki.

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Theater Effingerstrasse

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