«Die hohe Kunst der Weisheit» betitelt Otfried Höffe sein neuestes Buch. Was eine hohe Kunst ist, scheint nicht jedermanns Sache zu sein. Gibt es heute weise Menschen in der Politik, in der Wissenschaft, im Alltag? Was zeichnet einen altersweisen Menschen aus?
Otfried Höffe (geb. 1943), einer der bekanntesten Philosophen Deutschlands, hat lange in der Schweiz an der Uni Fribourg und an der ETH gelehrt. Von 1992 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2011 war er Professor für Philosophie an der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Ethik und politische Philosophie mit starkem Bezug auf Aristoteles und Kant. Dazu liegen einige Publikationen vor.
«Die hohe Kunst der Weisheit. Kleine Philosophie der Lebensklugheit» (2025) ist das dritte Buch über hohe Künste. 2018 erschien «Die hohe Kunst des Alterns. Kleine Philosophie des guten Lebens» (fünfte Aufl.2024), im Jahre 2023 «Die hohe Kunst des Verzichts. Kleine Philosophie der Selbstbeschränkung» (zweite Aufl. 2023).
Bei der einleitenden Begriffsbestimmung von «Weisheit» grenzt sich Höffe von Begriffsverständnissen ab, wie sie etwa in Mythen oder in religiösen Offenbarungen vorkommen und durchforstet europäische und aussereuropäische Weisheitsliteratur.
Weise wird jemand genannt, der sein Metier im theoretischen oder praktischen Sinne vortrefflich beherrscht. Wer alle Weisheitsliteratur gelesen hat und darüber Vorträge halten kann, wird aber noch nicht weise genannt. Die Weisheit einer Person zeigt sich auch in seiner Lebensführung. So war für Platon Sokrates weise, weil er nicht nur ein Vorbild war bei der Suche nach Wissen, sondern auch in seiner Lebensführung. Als Sokrates nicht bereit war, auf das freie Gespräch zu verzichten, nahm er das Todesurteil der Herrschenden auf sich und starb durch den Trank aus dem Schierlingsbecher.
«Der sterbende Sokrates» im Parco Ciani, Lugano. Kopie einer von Mark Antokolksi 1875 geschaffenen Skulptur. Das Original befindet sich im Russischen Museum in Sankt Petersburg. (Foto bs)
Der stoische Weise war über Jahrhunderte ein Lebensideal im Abendland: «Denn er vermag alle Unbilden des Lebens in Gelassenheit, am besten sogar in unerschütterlicher Heiterkeit zu ertragen.» Aber es ist eine Weisheit in persönlichen Angelegenheiten. Demgegenüber entwickelt Aristoteles neben der erkenntnistheoretischen Orientierung das Ideal des lebensklugen Praktikers, der sich im privaten und politischen Handeln nicht nur auskennt, sondern auch klug handelt und das kluge Handeln in Handlungssituationen des Alltags einübt.
Nach diesen Grundverständnissen von Weisheit betrachtet Höffe «Lebensweisheit als Lebenskunst» (Kap. 2), «Die Lebensweisheiten der Moral» (Kap. 3), «Weisheit in der Psychologie» (Kap.4) und um sich in Zeiten der Globalisierung nicht nur auf den westlichen Kulturraum zu beziehen, weitet Höffe den Blick unter dem Titel «Weltweisheitserbe» in andere Kulturräume (Kap. 5).
Im Kapitel 2 befasst sich Höffe näher mit der sogenannten «Altersweisheit» als ein Beispiel für Lebensweisheit als Lebenskunst, die sich vom Prinzip des Glücks leiten lässt. Ältere Menschen mit viel Lebenserfahrung seien oft eher fähig, einen versöhnlichen Blick auf das eigene Leben zu werfen, da sie einige Schwierigkeiten und Schicksalsschläge schon mit Erfolg bewältigt haben.
Glücksfördernd sei, abnehmende physische, psychische, geistige und soziale Leistungsfähigkeit zu kompensieren, etwa indem man sich allein oder mit Freunden der Musse und der Reflexion des eigenen Lebenswegs widme. Wer erkenne, dass sinnliche Genüsse, Reichtum, politische Macht oder Ansehen nicht glückstauglich seien, sei noch nicht weise, es brauche dazu noch den Willen, sein Leben den Erkenntnissen gemäss einzurichten.
Höffe konsultiert einige Autoren, die Anregungen gegeben haben, «in Klugheit und Ehren alt zu werden» u. a. Cicero und Jakob Grimm.
Cicero gibt vier Empfehlungen, gängige Vorwürfe gegen das Altern abzuwehren:
- Gegen den Zwang zur Untätigkeit dadurch, dass man aus bisherigen Ämtern verdrängt oder heute in Pension und Rente geschickt wird, empfiehlt Cicero ein Engagement für das Gemeinwohl, etwa durch Freiwilligenarbeit.
- Gegen das Nachlassen von körperlichen und geistigen Kräften hilft, Unwichtiges beiseitezulegen.
- Den Verlust von manchen Freuden lässt sich durch eine unbeschwerte Lebensfreude kompensieren.
- Beunruhigungen durch die Nähe des Todes kann man überwinden, wenn man sich klar wird, dass man nach dem Tod nicht unglücklich ist.
Nach Jakob Grimm (1785-1863) eignet sich das Alter, «in heiterer Gelassenheit auf sein bisheriges Leben zurückzublicken», bei Beschwerden erfahrungsoffen zu sein und charakterliche Vorzüge wie «Linde, Milde, Behagen, Mut und Arbeitslust» auszubilden und eine bisher nicht bekannte «Ruhe und Befriedigung» zu geniessen.
Höffe fasst aus seinem Essay «Die hohe Kunst des Alterns» das «Prinzip der vier L» zusammen, um in heiterer Gelassenheit zu altern.
Das erste L, das Laufen ist gegen den körperlichen Zerfall gerichtet und umfasst alle Formen körperlicher Bewegung, um nicht einzurosten.
Beim zweiten L, dem Lernen geht es darum, geistig aktiv zu bleiben, um mentalen Abbauprozessen entgegenzuwirken. Das Lernen von Fremdsprachen, eines Musikinstruments oder die Teilnahme an Kursen in Volkshochschulen und Seniorenuniversitäten können aktivierend sein, aber auch das geistige Durchdringen von Problemen der Gegenwart, am besten mit andern.
Das dritte L, das Lieben ist das beste Gegenmittel gegen Einsamkeit und Langeweile, durch die Pflege von mehr oder weniger engen Freundschaften, von weiteren Sozialbeziehungen oder das Aufgehen in ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Das vierte L, das Lachen schützt vor Mürrisch- oder Verbittertwerden im Alter. Um nicht «ein ewig nörgelnder Dauergrantler zu werden» ist das Eintauchen in die «gesamte Welt positiver Gefühle und Empfindungen» empfehlenswert. Soweit der kleine Exkurs zur Altersweisheit.
Eine alte weise Frau? Ist das erkennbar? Woran? (Foto aus Pixabay)
Ist Weisheit lernbar? Ja, Weisheit ist nach Höffe nicht eine elitäre Kunst. Unabhängig vom Intelligenzquotienten, von Schulweisheiten und erworbenen Diplomen und unabhängig der gesellschaftlichen Stellung kann einem im Laufe des Lebens bewusst werden, was einem glücklich-gelingenden Leben förderlich und was hinderlich ist. Aber die Erkenntnis muss «zu einer geübten und gelebten Praxis werden», so Höffe.
Im letzten Kapitel zitiert Höffe viele Lebensweisheiten aus dem Weltweisheitserbe, die in allen Kulturen anregend wirken. Wer möchte, könnte daraus einen Jahreskalender mit 365 Lebensweisheiten basteln. Ebenso lassen sich aus dem Internet für einen passende Lebensweisheiten googlen, so dass an jedem Tag des Jahres beim Aufstehen oder beim Frühstück eine Lebensweisheit den Tag erhellt.
Höffes Buch regt an, sich mit einer weisen Lebensführung anzufreunden.
**********************************************************************
Titelbild: «Der Denker» von Auguste Rodin, vor dem Musée Rodin in Paris (Foto Wikimedia Commons). Ohne Denken keine Weisheit, ohne Handeln keine Weisheit.
Buch: Höffe, Otfried: Die hohe Kunst der Weisheit. Kleine Philosophie der Lebensklugheit. München 2025. ISBN 978 3 406 83102 7