1 Kommentar«Bildung muss inklusiv und für alle zugänglich sein» - Seniorweb Schweiz
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«Bildung muss inklusiv und für alle zugänglich sein»

Vom 9. bis 12. Juni 2025 vertrat Hanishha Soosai (23) als erste offizielle UN-Jugenddelegierte der Eidgenossenschaft die Anliegen der Schweizer Jugend in New York an der 18. UN-Konferenz zur Behindertenkonvention. «Seniorweb» sprach mit der Brückenbauerin über ihre Erfahrungen.

Seniorweb. Wie sind Sie UN-Jugenddelegierte geworden?

Hanishha Soosai: Mich hat schon früh beschäftigt, wie politische Entscheidungen getroffen werden – und wer daran beteiligt ist. Mit Freunden haben wir in meiner Kindheit das UNO-Hauptquartier in Genf besucht. Aus Interesse habe ich mich letztes Jahr als UN Youth Delegate beworben. Nach einem Auswahlverfahren mit dreisprachigen Interviews (EN, FR, DE) wurde ich gemeinsam mit meinen zwei Co-Delegierten für eine Mandatsdauer von zwei Jahren, bis Mai 2026, gewählt.

Was hat Sie motiviert, das Amt zu übernehmen?

Ich möchte dazu beitragen, dass junge Menschen – insbesondere jene mit mehrfacher Diskriminierungserfahrung – eine Stimme erhalten. Ich glaube fest an den Spruch: «Einem Menschen zu helfen, verändert vielleicht nicht die ganze Welt – aber es kann die Welt dieses einen Menschen verändern.» Genau das ist mein Antrieb: Ich möchte etwas bewegen – besonders für Kinder und Jugendliche aus benachteiligten und verletzlichen Gemeinschaften. Mein besonderes Engagement gilt den Themen Chancengerechtigkeit (SDG 10), inklusiver Bildung (SDG 4), sicherer Migration und den Menschenrechten.

Da ich aus einer Familie mit Fluchtgeschichte komme, hat das meine Perspektive auf Gerechtigkeit und Teilhabe stark geprägt. Ich bin mit zwei kulturellen Identitäten aufgewachsen – in einem kleinen Ort im Berner Oberland, mit tamilischen Wurzeln – und habe früh erlebt, was es heisst, dazuzugehören oder eben gleichzeitig anders zu sein. Diese Erfahrung hat mich geprägt. Ich habe gesehen und gespürt, wie strukturelle Ungleichheiten Menschen ausschliessen können – sei es im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt oder im politischen Raum.

Was hat Sie motiviert, an der Konferenz zur Behindertenrechtskonvention teilzunehmen?

Hanishha Soosai vor den Landesflaggen am UNO-Hauptsitz in New York. Foto PD.

Ich engagiere mich besonders für inklusive Bildung. Doch was bedeutet Inklusion wirklich – im digitalen Zeitalter, in Zeiten von künstlicher Intelligenz, in einem Bildungssystem, das oft noch auf Normen basiert? Bildung ist der Schlüssel zu echter Teilhabe – doch für viele junge Menschen mit Behinderungen ist sie nach wie vor nicht zugänglich, vor allem im digitalen Bereich. An der diesjährigen Konferenz wurde erstmals das Thema KI im Zusammenhang mit Inklusion diskutiert. Künstliche Intelligenz bietet zwar Chancen, aber auch grosse Risiken.

Diese Konferenz bot mir die Möglichkeit, genau diese Perspektive in den Diskurs einzubringen – als junge Frau, als Youth Delegate, als jemand mit politischem Engagement im Bereich Bildung und Menschenrechte. Ich bin überzeugt: Eine gerechte Gesellschaft misst sich nicht daran, wie sie mit der Mehrheit umgeht, sondern wie sie genau mit jenen Menschen umgeht, die an den Rand gedrängt werden – bewusst oder unbewusst.

Sind Sie auch abseits vom internationalen Parkett politisch aktiv?

Ja, ich sehe meine Rolle nicht nur bei der UNO. Ich halte immer mal wieder Schulbesuche in der Schweiz, organisiere Workshops und engagiere mich ehrenamtlich für Menschenrechte – etwa bei PEARL, einer Grassroots-Organisation, die sich durch Forschung und politische Interessenvertretung für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte der tamilischen Bevölkerung im Nordosten Sri Lankas einsetzt. Unsere Mission ist es, weltweit Gemeinschaften zu mobilisieren, um auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen und für Gerechtigkeit sowie das Recht auf Selbstbestimmung der Tamilen im Nordosten Sri Lankas einzutreten.

In beiden Bereichen – lokal wie global – versuche ich, Brücken zu bauen zwischen denen, die Entscheidungen treffen, und denen, die oft nicht gehört werden. Dabei sehe auch ich mich in vielen Bereichen eher noch als Anfängerin und gucke mir vieles «ab» von Leuten, die mich täglich mit ihrer Arbeit und ihrem Aktivismus inspirieren.

Was war ihr persönliches Highlight während der Reise?

Ganz klar: mein eigenes Statement in einem grossen Saal im UNO-Gebäude. Ich hatte die Gelegenheit, ein Statement im Namen der Schweiz in meiner Kapazität als Schweizer UN Youth Delegate zu halten. Das Statement habe ich am Roundtable zum Thema «Leaving no one behind: Using AI as a tool for supporting inclusivity to strengthen the participation of persons with disabilities» verlesen. In meinem Statement hob ich sowohl das Potenzial als auch die Risiken künstlicher Intelligenz für die Inklusion junger Menschen mit Behinderungen hervor. Meine zentrale Botschaft: (Digitale) Bildung muss von Anfang an inklusiv, zugänglich und menschenrechtsbasiert gestaltet werden, um eine echte Teilhabe zu ermöglichen.

Höhepunkt ihrer Reise: Hanishha Soosai während ihrer Rede an der Behindertenkonferenz. Foto PD.

In einem grossen Konferenzsaal der UNO zu sprechen – vor Vertretern aus über 180 Staaten – war ein Moment, den ich nie vergessen werde. Ich war nervös aber gleichzeitig auch glücklich. Nicht nur, weil ich die Schweiz vertreten durfte, sondern vor allem, weil ich eine neue Erfahrung machen durfte und die Gelegenheit hatte, eine oft vergessene Perspektive einzubringen: die von Menschen mit Behinderungen.

Planen Sie nach ihrer Amtszeit eine politische Karriere?

Ich würde es nicht ausschliessen – aber für mich bedeutet «politisch» sein nicht zwingend, ein Amt zu haben. Ich will mich weiterhin dort einbringen, wo ich Wirkung entfalten kann – sei es im Bildungsbereich, in der Migrationspolitik oder bei internationalen Organisationen. Ich sehe mich eher als Brückenbauerin – zwischen Zivilgesellschaft und Institutionen, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Marginalisierung und Mitgestaltung. Ich kann mir gut vorstellen, langfristig im Bereich Migrationspolitik, Bildung oder internationale Zusammenarbeit zu arbeiten – idealerweise an Schnittstellen, an denen struktureller Wandel möglich ist.

Finden Sie, es engagieren sich genügend junge Menschen in der Politik?

Zu Hause in Frutigen: Vor dem Hotel-Restaurant Simplon. Foto PS.

Ich sehe sehr viel Engagement und das nicht nur in klassischen Parteistrukturen, was ich gut finde. Viele junge Menschen setzen sich über Social Media, in Vereinen oder über andere Initiativen für ihre Anliegen ein. Was aber oft fehlt, ist der Zugang zu Entscheidungsebenen. Ich glaube, wenn wir diesen Anspruch an Beteiligung ernst nehmen, wenn junge Menschen nicht nur gehört, sondern auch einbezogen werden, dann kann sich auch die formelle politische Teilnahme erhöhen.

Warum sollten sich besonders junge Menschen mehr politisch einbringen?

Ganz einfach: Weil es um ihre Zukunft geht. Entscheidungen, die heute getroffen werden – ob in der Klima-, Bildungs- oder Migrationspolitik – betreffen junge Menschen besonders stark. Ausserdem bringt jede Stimme – egal ob jung oder alt – auch neue Perspektiven, neue Fragen, neue Ideen. Politik ist nichts Abstraktes. Sie beginnt dort, wo wir Fragen stellen und uns aktiv «einmischen».

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Zur Person

Zurück aus New York: Die UN-Jugenddelegierte während dem Interview in der Gaststube in Frutigen. Foto PS.

Hanishha Soosai ist zusammen mit ihrem älteren Bruder in Frutigen aufgewachsen, wo sie den Kindergarten sowie alle Schulen bis zur Oberstufe besuchte. Anschliessend wechselte sie ans Gymnasium Thun-Schadau, das sie 2020 mit einer zweisprachigen Matura (Deutsch und Englisch) in «Wirtschaft und Recht» abschloss. Von 2021 bis 2024 studierte Hanishha an der Universität St. Gallen «International Affairs». Im Herbst beginnt die junge Schweizerin mit dem Masterstudium in St. Gallen.

Titelbild: Hanishha Soosai während ihrer Rede an der Behindertenkonferenz. Foto PD.

Ein Porträt von Hanishha Soosai erschien Mitte Juli in der Zeitung «Frutigländer».

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1 Kommentar

  1. Hanishha Soosai ist ein positives Beispiel dafür, wie Integration in unserem Land gelingen kann. Sicher spielen viele Faktoren mit, dass eine junge Frau wie sie auf diesen Weg gelangt. Ich finde diese junge Frau bewundernswert; sie ist klug, denkt und handelt sozial und innovativ. Hanishha Soosai hat eine Vorbildfunktion und kann hoffentlich noch ganz viele Menschen inspirieren.

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