Das Landesmuseum Zürich führt uns mit der Ausstellung «Accessoires – Objekte der Begierde» durch gut zweihundert Jahre Kulturgeschichte von Kopfbedeckung bis Fussbekleidung.
Passend zur Eröffnung der Ausstellung macht die Versteigerung einer gebrauchten Tasche aus schwarzem Leder Schlagzeilen: Bei Sotheby’s ist am 10. Juli die originale Handtasche versteigert worden, welche die Modefirma Hermès für Jane Birkin hergestellt hatte. Entworfen 1984 im Flugzeug vom Hermès-Chef für die Schauspielerin nach deren Wünschen. Der CEO einer japanischen Vintage-Firma hat für rund 10 Millionen Dollar den Zuschlag bekommen.
Die Birkin Bag mit Gebrauchsspuren bei Sotheby’s und Jane Birkin 1985 auf einem Filmfestival (Foto: Roland Godefroy)
Zu dieser Meldung passt der Ausstellungstitel Objekte der Begierde perfekt. Erzählt wird ja auch hierzulande, dass nicht alle, die genug Geld hätten, einfach in einen der Flagshipstores an der Zürcher Bahnhofstrasse treten und mit der begehrten Handtasche samt Quittung das Geschäft wieder verlassen könnten. Allerdings waren Accessoires seit je wertvolle und rare Statussymbole.
Vitrine mit Petra Volpes Pussyhat neben einer nachhaltigen Basecap von NCCFN hergestellt aus alten Baseballcaps und weiteren typischen Kopfbedeckungen
Waren im Waffensaal einst Helme, Hieb- und Stichwaffen der alten Eidgenossen ausgestellt, sind es jetzt alte und neue Hüte, Taschen und Schuhe aus der Sammlung des Museums. Fast alle Stücke extravagant, selbst wenn sie kopiert werden könnten, wie der einfach zu strickende rosa Pussyhat, den Filmemacherin Petra Volpe nach dem Muster vom Women’s March in Washington 2018 bekommen hatte. Der grosse Rest der Hüte und Mützen vom Barock bis heute setzt dagegen viel Kunsthandwerk voraus.
Capote aus der Strohmanufaktur & Cie in Wohlen. © Schweizerisches Nationalmuseum
Beispielsweise die Strohhüte aus Wohlen, welche für Herren als Zylinder, für Damen als Schute ebenso zur Biedermeiermode der Reichen und Schönen gehörte wie der Spazierstock: Wer nicht mit den Händen arbeitet, kann sich Accessoires leisten, die mit Händen gehalten oder getragen werden. Dazu gehören neben Stöcken und Schirmen auch Fächer und Handtaschen, womit ein Teil der Exponate genannt sei. Wobei auch hier wiederum neben feinsten Seiden- und Spitzenschirmchen ein alltagstaugliches Symbol der Frauenbewegung auftaucht, natürlich in Pink mit Slogan.
Zwei Damen mit Hut, Tasche und Schirm in der Zeitschrift «Le Moniteur de la Mode», Paris, 1876. © Rijksmuseum, Amsterdam
Aber zurück zu den Hutvitrinen, wo sich – wie immer bei dieser Art Ausstellungen – Expertinnen mit ihren Begleiterinnen wort- und kenntnisreich austauschen. Zunächst ziehen die reich bestickten Taufhäubchen die Aufmerksamkeit auf sich. Oder auch der ausladende grüne Schutenhut, den eine Besucherin gleich als Lieblingsstück annektieren möchte, nicht daran denkend, dass solche Kopfbedeckungen die Bewegung einschränkten, den Blick seitlich verhinderten und das Gesicht beschatteten – nicht weit vom Vollschleier entfernt. Mehr Luft boten die überreichlich mit Federn, Bändern, Perlen und ganzen Vögeln dekorierten Capote-Hütchen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die silberne Radhaube ist der Hochzeitshut der gut gestellten bürgerlichen Frauen des Rheintals, der Bodenseegegend des Kantons St. Gallen und des Thurgaus im frühen 19. Jahrhundert. © Schweizerisches Nationalmuseum
Bei der Eheschliessung kamen die Mädchen hierzulande unter die Haube, je nach Gegend und Status war diese einfach oder extravagant wie die opulente Radhaube aus der Ostschweiz. Vor der Hochzeit trugen die jungen Frauen bei hohen Festen einen Schappel, eine Art Kranz mit Flitter- und Perlendekoration. Die Redewendung und das Bedecken der Haare nach der Heirat sind älter als die Trachtenbewegung im Gebiet der Schweiz.
Blick in die Ausstellung. © Schweizerisches Nationalmuseum
Feine Hände gehören in feine Handschuhe. Heutzutage, wo edle Handschuhgeschäfte seltener sind als Ateliers von Modistinnen oder Hutmachern, weiss kaum mehr jemand, wie aufwendig nur schon das Anprobieren eines solchen Handschuhs mit Hilfe der Verkäuferin war. In der Ausstellung erfährt man nun, wie diese Accessoires gemacht wurden, welche Werkzeuge es brauchte, bis das reich bestickte Paar aus Ziegenleder in einem der unzähligen Schubfächern des Geschäfts auf Kunden wartete.
Johannes Sulzer (1748–1794), Winterthurer Maler und Stecher, war der bedeutendste Fächermaler der Schweiz. Seine Fächer zeigen detailreiche Genreszenen. © Schweizerisches Nationalmuseum
Was dagegen immer noch und an heissen Tagen immer öfters aus der Handtasche gezückt wird, ist der Fächer. Während Hüte fast durchwegs banalen Basecaps Platz machten, Sonnenschirmchen durch den praktischen Taschenschirm ersetzt wurden, oder Handschuhe nur noch als Wärmeschutz dienen, reicht die Geschichte des Fächers bis in die Antike. So alt sind die Objekte aus der Sammlung des Nationalmuseums nicht, aber handbemalt oder kunstvoll gewoben, geschnitzt und geflochten allemal.
Sogenannte Flammen- oder Mailändertücher sind bis heute Teil der Thurgauer Festtracht. © Schweizerisches Nationalmuseum
Nicht nur in der gehobenen Standesgesellschaft war das Vierecktuch oder Foulard unverzichtbar. Zu fast jeder einfachen Werktagstracht gehört es, aber in edler Ausführung als grosser Schal ist es bis heute beliebt als leichten Schutz um nackte Schultern beim grossen Ball. Wie bei allen Exponaten lohnt es sich auch hier, die Beschriftungen auf den kleinen Bildschirmen zu studieren und dabei zu erfahren, wer das Tuch mit den roten Rosen einst getragen hat (es war Hulda Zumsteg), oder wie die Kaschmirschals nach Europa gekommen sind.
Wer diese Schuhe in den 1970er Jahren trägt, erlangt Aufmerksamkeit und Status, besonders auf der Tanzfläche oder Strasse. © Schweizerisches Nationalmuseum
Mehr als Gehwerkzeuge und Schutz vor Schmutz und Nässe waren und sind Schuhe. Nebst groben Stiefeln und dicken Holzpantinen aus der Hippiezeit sowie den Stilettos mit Plateausohle – vielleicht von einer Drag Queen getragen – zeigt die Ausstellung einen Querschnitt von feinen Damen- und Herrenschuhen aus mehreren Jahrhunderten, wobei die Knopfstiefeletten mit geschwungenem Absatz oder auch das flache Modell für Kleinkinder das Publikum entzückt.
Genau in der Mitte der Scheibe sind Nemos berühmte Sneakers. © Schweizerisches Nationalmuseum
Strickten die Grossmütter der heutigen Grossmütter für die Enkelinnen blaue Jäckchen und für die Enkel solche in rosa, hat das in den 50er Jahren gedreht. Heute wird mit den Geschlechternormen gespielt. Auf einem Drehpodest stehen in der Mitte die weissen Sneaker, die Nemo zu dem Gewinnersong beim Eurovisions Song Contest 2024 getragen hat. Dekoriert mit rosa Tüll. Im 18. Jahrhundert war übrigens die rosafarbene Damast-Hausmütze für Herren absolut korrekt.
Die Tasche gehörte Martin Escher-Hess (1788–1879), dem Erbauer der ersten Eisenbahn Zürich-Baden 1847. © Schweizerisches Nationalmuseum
Bleiben die Taschen: Beutel, um Dinge wie Münzen, Werkzeug, Schlüssel mitzutragen, wurden in Leder oder Textil, verziert mit Glasperlen oder Stickerei oft von den Trägerinnen selbst hergestellt. Wenn Kleider keine Taschen hatten, trug man unter dem Rock zwei um die Taille gebundene Taschen, erreichbar durch Eingriffe im Oberkleid. Solche Schlitze sind heute wohl nur noch bei Arbeitsoveralls und Fasnachtsgewändern für die Strassenfasnacht üblich.
Die Damenhandtasche aus Leder, Stroh oder Textil ist je länger je mehr als Accessoire unverzichtbar, sei es ein kleiner Lederbeutel fürs unvermeidliche Mobiltelefon, sei es ein mehr oder minder praktisches Stück für Einkäufe, Akten und Alltagskram oder auch die exklusive Clutch für Lippenstift und Schlüssel. Womit wir wieder bei der Birkin Bag angelangt sind. Übrigens: Dieses Objekt der Begierde gibt es auch gebraucht zu kaufen – ab 5000 Franken aufwärts.
Titelbild: Der Zylinder und der Spazierstock stehen im 19. Jahrhundert für das aufstrebende Bürgertum und symbolisieren Eleganz sowie sozialen Status. Ausschnitt aus: Le Progrès, Paris, 1851. © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Anna Russ
Bis: 12. April 2026
Weitere Informationen zur Accessoires-Ausstellung finden Sie hier.

