StartseiteMagazinKulturDie märchenhafte Welt von Herisau

Die märchenhafte Welt von Herisau

Das Figurentheater Museum Herisau lädt ein, besucht zu werden. Wer als Ortsunkundiger flüchtig hinschaut, ahnt nicht, welche Wunder hinter der Fassade des schmalen Hauses an der Oberdorfstrasse 18 stecken.

Das Figurentheater Museum in Herisau ist ein aktives, kleines Kulturzentrum, beseelt von einer hochgewachsenen, lebendigen «Figur» mit schulterlangem, weissem Haar: Kurt Fröhlich. Ursprünglich Tänzer und Lehrer für Tanzimprovisation, zog es ihn im Laufe seiner Auftritte als Solotänzer und Ausdruckstanzlehrer immer mehr in Richtung bildnerisches Gestalten. Und so entstand vor 47 Jahren in Herisau ein Figuren-, Schatten- und Tanztheater, das den Namen Figurentheater Fährbetrieb trägt.

Kurt Fröhlich, Leiter des Figurentheater Museums

Fröhlich trat nur zu Beginn noch als Tänzer auf. Heute liegt der Schwerpunkt auf vielfältigen Puppen, die Kurt Fröhlich auf eigener Bühne zum Leben erweckt und für die er immer neue, eigene Stücke schreibt. Damit nicht genug: «Ich entwerfe meine Spielfiguren und stelle sie selbst her», erklärt Fröhlich. Dazu beobachte ich die Bewegungsmuster der Menschen oder Tiere, die mir begegnen, um sie im Spiel mit meinen Figuren so zur Sprache zu bringen, dass ich in unserem kleinen Theatersaal – oder auch anderswo – Jung und Alt zum Lachen oder auch Nachdenken bringe.»

Warum trägt sein Puppentheater den seltsamen Namen Fährbetrieb? «Ich hatte dabei einen breiten Fluss vor Augen, den es auf einer Fähre zu überqueren gilt. Früher sind ja auf Fähren Geschichten erzählt worden. Meine Besucher steigen quasi auf meine Geschichtenfähre, erleben ein Märchen, oder eine ungewöhnliche Präsentation, und steigen danach wieder in den Alltag aus.» Sich selbst betrachtet Fröhlich als «Fährmann, der Märchen, Bewegungen, Sprache in Theater über-setzt.»

Figur, gefertigt von Kurt Fröhlich

So lässt er in der neuen Saison an Sonntagvormittagen beliebte Märchen wie Die Bremer Stadtmusikanten, Der gestiefelte Kater und Hans im Glück wieder auferstehen. Wobei gerade das Märchen vom Verhältnis zwischen Glück und Besitz gerade heute nichts von seiner Aktualität verloren hat. Deshalb richtet sich eine Abendvorstellung auch an Erwachsene. Ihr wird eine Gesprächsrunde folgen über die Frage Was ist Glück? «Dazu konnte ich einen Seelsorger, einen Hausarzt und einen Philosophen einladen», freut sich Kurt Fröhlich. «Die kleine Runde wird von einer Psychologin und Musikerin moderiert. Auch das Publikum wird zu Wort kommen.»

Gastspiel des Fusstheaters Anne Klinge «Hugo – Ein Leben zu Fuss»

Natürlich treten im Figurentheater Museum auch zahlreiche auswärtige Künstler mit ihren Stücken auf. Fröhlich: «Aussergewöhnlich ist unser Saison-Auftakt am 25.10. 2025, 20.30 Uhr, mit einem Gastspiel des Fusstheaters Anne Klinge unter dem Titel Hugo – Ein Leben zu Fuss. Am Folgetag, um 11.00 Uhr, spielen dann die Füsse von Anne Klinge für Kinder – und zwar das Märchen vom Rumpelstilzchen. Diese Präsentationen sind einmalig», findet Fröhlich, «denn die Füsse sind hier die Hauptakteure. Sprache wird nur ganz sparsam eingesetzt. Die Zusammenhänge sind klar, präzise und witzig.» Die Füsse der deutschen Künstlerin seien schon auf allen Kontinenten aufgetreten. Auch Kurt Fröhlich hat mit seinen Stücken und Figuren in mindestens 20 Ländern das Publikum zum Lachen gebracht – von Osteuropa über die Türkei bis Sibirien, ja sogar in Südkorea.

Weihnachtsstück «Waldwiehnacht bi Fuchs und Haas». Foto: Wikimedia Commons

Aber auch das Wort kommt im vielfältigen neuen Programm zu Ehren. Zum 150. Geburtstag von Rainer Maria Rilke am 12. Dezember 2025 präsentieren die in Siebenbürgen geborene Schauspielerin und Kunsttherapeutin Boglarka Horvath und der Schauspieler und Regisseur Matthias Peter (Leiter der Kellerbühne in St. Gallen), ein Lesetheater.

Zum bevorstehenden Weihnachtsfest hat Fröhlich ein neues Stück mit dem Thema Waldwiehnacht bi Fuchs und Haas geschrieben. Gelingt es einem jungen Fuchs und zwei jungen Hasen, die Fressordnung zu vergessen und über ihre Schatten zu springen? Die älteren Tiere sind skeptisch.

Chaschper im Militär, Figur von Adalbert Klingler

Dass die Figur des Kasper nicht überall eine «Hopsassa-Dirullalaa»-Figur ist, ein Bub, der die Kinder zum Lachen bringt, darüber referiert Kurt Fröhlich in einem Vortrag im kommenden November. Auf seinen Gastspielen in anderen Ländern ist ihm aufgefallen, dass es in fast allen Ländern eine Kasperfigur gibt. In vielen Ländern sei es ein derber, versoffener Typ mit einem Prügel. Also, folgert Fröhlich, müsse die Darstellung eines unangepassten, groben Menschen in all seiner Komik doch ein menschliches Grundbedürfnis sein. Da kam ihm die Idee, mehr über diese historische Figur herauszufinden. Mit ihren über 700 Büchern und Schriften sei die Museumsbibliothek dafür eine Fundgrube, aus der man Erstaunliches ausgraben könne – darunter ein Kasperstück, das ein deutscher Soldat im zweiten Weltkrieg in englischer Kriegsgefangenschaft schrieb.

Und nicht nur die Bibliothek an der Oberdorfstrasse 18 ist eine Fundgrube. Auch das Museum zeigt etliche Bijous; zurzeit sieht man dort die Handpuppen des berühmten Schweizer Puppenspielers Adalbert Klingler*, der wegen seiner Chaschperli-Stücke im Dialekt und seit seiner Auftritte an der «Landi 39» Landi-Chaschper genannt wurde. Im Zweiten Weltkrieg trat er – begleitet vom Schriftsteller Traugott Vogel – zur «geistigen Landesverteidigung» vor Soldaten auf.

«Als Schlemihl nach Warschau ging» nach der gleichnamigen Erzählung von Isaac B. Singer

Eine Besonderheit sind auch die Figuren der Präsentation einer wunderbaren Geschichte der Welt des Ostjudentums. Das Stück Als Schlemihl nach Warschau ging, betont Fröhlich, wurde in über 300 Aufführungen gezeigt. «Unser Theater erhielt im Jahr 1991 dafür einen Eintrag in die Encyclopédie mondiale de la Marionette.»

Marionetten aus Burma

Fester Bestandteil der Sammlung sind unter anderem die prächtig gekleideten burmesischen Marionetten. Sie sind besonders kostbar, weil «diese Spielform im heutigen Myanmar nicht mehr existiert und die letzten Meister in dieser Art Puppenspiel inzwischen wohl verstorben sind», bedauert Kurt Fröhlich. Auch die zeitgenössischen, selbst gefertigten Holzfiguren von Kurt Fröhlich sind im Museum zu betrachten. Im Depot liegen weitere 700 Figuren aus 24 Ländern. Und: Nicht zu vergessen sei die Spielecke für Kinder ganz oben im Museum. Denn in diesem Haus kommt jeder auf die Kosten: Gross und Klein.

Fotos: Christine Kaiser
*Mehr zu Adalbert Klingler (1896-1974), siehe Bericht in Seniorweb

Weitere Informationen zum Figurentheater Museum in Herisau 

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