Gespräch mit Tom Felber über den Boom der Brett- und Kartenspiele
«Brettspiele kannst du vergessen, heute unterhalten sich Kinder mit Computerspielen“, behaupten meine Freundinnen. Ich widerspreche. Meine vier kleinen Enkel von 3 bis 7 Jahren können zwar auch auf einem iPad oder iPod spielen, und doch sind sie begeistert, wenn ich ihnen ein Gesellschaftsspiel vorschlage und mitspiele. Zu den alten Spielen kaufe ich neue. „Diego Drachenzahn“, „Da ist der Wurm drin“ und „Mucca Pazza“ gehören zu ihren Lieblingsspielen.
Sind meine Enkel Ausnahmen? Wer spielt heute noch Gesellschaftsspiele? Das frage ich Tom Felber, Vorsitzender der Jury von „Spiel des Jahres“.
Tom Felber, im Juni/Juli wurden die Spiele des Jahres 2013 vorgestellt. Wer spielt denn heute noch Gesellschaftsspiele? Wurden die Brettspiele nicht unwiderruflich überholt durch Computerspiele?
Tom Felber: Einer der wesentlichen Vorteile von Gesellschaftsspielen ist, dass alle Menschen mitmachen können, unabhängig von Alter, Gesellschaftsschicht, finanzieller Potenz, körperlicher Fitness etc. Es ist eine der wenigen Freizeitaktivitäten, welche zum Beispiel Grosseltern und ihre Enkel tatsächlich und gleichberechtigt miteinander unternehmen können. Der Mensch ist ein soziales Wesen und es zeigt sich halt, dass das Bedürfnis nach direkter Interaktion mit anderen gross ist und nicht durch Computerspiele ersetzt werden kann. Brett- und
Kartenspiele, die an einem Tisch in einer Gruppe gespielt werden, bieten völlig andere Erlebnisse als Computerspiele. Die beiden Spielformen sind keine Konkurrenten, sondern ergänzen sich allenfalls.
Zu ihren konkreten Fragen: Alle Menschen können Gesellschaftsspiele spielen, und ein gewisser Boom der letzten Jahre mit Karten- und Brettspielen zeigt sogar, dass es offenbar immer mehr werden. Und nein, Computerspiele haben sie nicht verdrängt und sind keine Konkurrenz.
Sie sind Präsident der Jury für das „Spiel des Jahres“ und küren jährlich die besten Spiele des Jahres, das beste Kennerspiel und die besten Kinderspiele. Eine aufwändige Arbeit. Nach welchen Kriterien beurteilen Sie die Spiele?
Da muss ich zuerst ein Missverständnis ausräumen: Die Wörter „beste, bester und besten“ kommen in unserem Sprachgebrauch nicht vor. Wir massen uns in der Jury nicht an, zu entscheiden, was das Beste ist. Wir sagen, wir zeichnen jene Spiele aus, welche uns am Geeignetsten erscheinen, um die Spielkultur weiter in der Gesellschaft und Familie zu verbreiten. „Spiele des Jahres“ sind also immer Spiele, die eine gewisse Breitenwirkung erzielen können und keine elitären Spiele. Die offiziellen Bewertungskriterien sind:
1. Spielreiz (Idee, Originalität, Spielbarkeit, Spielwert)
2. Regelgestaltung (Aufbau, Übersichtlichkeit, Verständlichkeit)
3. Spielmaterial (Funktionalität, Verarbeitung)
4. Grafik (Karton, Spielplan, Regel)
Spielen ist allerdings eine sehr situations- und personenabhängige Angelegenheit und sehr subjektiv. Es geht um ein Erlebnis, das man nicht objektiv beurteilen kann. Trotzdem ist die Ausgangslage der Bewertung immer das subjektive Erlebnis, der Spielreiz, der aber von Gruppe zu Gruppe völlig verschieden zutage treten kann. Das ausgezeichnete Spiel muss das Potenzial haben, mindestens in der Mehrheit der Spielegruppen, ein aussergewöhnliches Spielerlebnis generieren zu können.
Ihr Verein bewertet seit 34 Jahren Spiele für Erwachsene und Kinder, Sie sind seit elf Jahren in der Jury. Haben sich das Angebot der Spiele und deren Beurteilung im Laufe der Jahre verändert?
Das Angebot und die Spiele haben sich dramatisch verändert. Als die Jury 1978 gegründet wurde und 1979 zum ersten Mal einen Preis auslobte, erschienen pro Jahrgang vielleicht drei Dutzend neue Spiele, die man als Jurymitglied genauer anschauen musste. Heute sind es jedes Jahr über 1000 Neuerscheinungen und sicher 300 bis 400, die genauer unter die Lupe genommen werden müssen. Schon daher stimmt die These mit der Verdrängung durch Computerspiele, deren Boom ebenfalls in den 80er Jahren so richtig begann, überhaupt nicht. Auch die Spielsysteme haben sich natürlich total verändert. Sie sind raffinierter, pfiffiger, ausbalancierter und natürlich zum Teil auch immer komplexer geworden.
Gibt es ältere Spiele, die immer noch zu den sehr spannenden gehören?
Natürlich, all die Klassiker wie Schach, Dame etc. Aber auch Autoren-Spiele wie Scrabble, Cluedo oder natürlich Memory. Falls Sie unter „älter“ auch schon 20- oder 30-jährige Spiele verstehen, sind auch viele ehemalige „Spiele des Jahres“ darunter.
Welche Spiele sollten Grosseltern sammeln, damit sie ihre Enkel mit einem lustvollen Angebot unterhalten können?
Sicher ist man mit unseren Preisträgern und Nominierten gut bedient. Die Spielgeschmäcker sind aber völlig verschieden. Nicht jedes Spiel ist für jedes Kind geeignet, und unterschiedliche Spiele machen unterschiedlichen Leuten Spass. „Spiel des Jahres“ gibt deshalb alljährlich eine Broschüre mit rund 30 empfehlenswerten Spielen aus dem aktuellen Jahrgang heraus. Es sind Spiele für alle Ansprüche, Gelegenheiten und Spielerzahlen aufgeführt. Unter diesen 30 Spielen sollte jeweils für jeden etwas zu finden sein. Wir empfehlen Grosseltern, diese Liste durchzulesen. Hier findet man die aktuelle Version.
Als absoluter Ablöscher werden oft „Eile mit Weile“ oder „Halma“ mit älteren Menschen beurteilt. Beim Halma, das ich kürzlich mit einigen Frauen spielen wollte, blieben die Plastikfiguren elektrisiert an deren Fingern hängen oder sie wurden bei den Spielzügen von ungelenken Händen umgestossen. Wie könnte man Spielnachmittage mit älteren Menschen attraktiver gestalten? Gibt es neue Spiele, die auch älteren Menschen Freude bereiten?
Seit „Eile mit Weile“ und „Halma“ hat die Spieleentwicklung dramatische Fortschritte gemacht. Natürlich gibt es viele moderne Spiele, die sich gerade für ältere Menschen sehr gut eignen. Welche das konkret sind, ist wieder individuelle Erfahrungssache und muss man selber ausprobieren. Es kommt auch ungeheuer darauf an, wie man das Ganze als Spielleiterin oder Spielleiter rüberbringt.
Ich selber habe bei älteren Menschen zum Beispiel sehr gute Erfahrungen gemacht mit Qwixx, Qwirkle, Carcassonne, 6 nimmt!, Hols der Geier, Indigo etc. etc. Es gibt aber natürlich auch ältere Menschen, die keinen ausgeprägten Spieltrieb haben und die man mit Spielen nicht begeistern kann. Es wollen ja auch nicht alle Menschen Motorradfahren, Tanzen oder Golf spielen. Spielnachmittage können attraktiver gestaltet werden, indem man sich vorher überlegt, was für Leute man mit den Spielen ansprechen will und demnach eine sorgfältige individuelle Vorauswahl interessanter Spiele trifft. Am besten nimmt man nur Spiele mit, die einem selber sehr gut gefallen. Dann ist es viel einfacher, andere zu begeistern und sie hinein zu ziehen. Für einen solchen Anlass sollte man immer eine Auswahl von vielleicht 10 bis 20 Spielen mitnehmen. Dann ist garantiert für jeden etwas dabei.
Erwachsene, die verspielt sind, bewältigen den Alltagstrott leichter, erklärt René Proyer vom Psychologischen Institut der Universität Zürich in der SonntagsZeitung vom 11. August. Proyer arbeitet an einer Studie über die Verspieltheit von Menschen. Tom Felber, stimmen Sie der Aussage von René Proyer zu? Sehen Sie sich als einen verspielten Menschen?
Zu Proyers Studie kann ich nichts sagen. Zuerst kommt es da natürlich darauf an, wie man den Begriff „Verspieltheit“ definiert. Ich wüsste jetzt nicht wie ich meine Bekannten innerhalb dieses Begriffs kategorisieren sollte. Ich selber bin natürlich ein verspielter Mensch. Sonst wäre ich in der falschen Position.
Bildlegenden:
Bild 1 (Lead): Preisträger Hanabi auf der Bühne, rechts: Autor Antoine Bauza. Copyright: www.david-biene.de
Bild 2: Tom Felber, Vorsitzender Jury Spiel des Jahres, freier Journalist und Spielekritiker NZZ
Bild 3: HANABI Spiel des Jahres 2013
verdrehte Kartenwelt für 2 bis 5 Feuerwerker ab 8 Jahren
von Antoine Bauza, Grafik Albertine Ralenti, Verlag Abacusspiele (Dreieich)
Bild 4: DIE LEGENDEN VON ANDOR Kennerspiel des Jahres 2013
Kooperatives Fantasy-Abenteuer für 2 bis 4 Helden ab 10 Jahren
von Michael Menzel, Verlag Kosmos (Stuttgart)
Bild 5: DER VERZAUBERTE TURM Kinderspiel des Jahres 2013
Magnetischer Wettlauf für 2 bis 4 vorausahnende Gedächtnismeister ab 5 Jahren
von Inka und Markus Brand, Grafik Rolf Vogt, Verlag Schmidt /Marke Drei Magier Spiele (Berlin)
Bild 6: QWIXX Schnelles Würfelspiel für 2 bis 5 Zahlensammler ab 8 Jahren
von Steffen Benndorf, Grafik: Oliver Freudenreich, Sandra Freudenreich
Verlag: Nürnberger Spielkarten Verlag (Zirndorf)