Mit einer Fotoausstellung beginnt das Jubiläum 150 Jahre Villa Garbald in Castasegna
Es gibt ein weltweit bekanntes lange als anonym gehandeltes Foto der Familie des Kunstmalers Giovanni Giacometti mit den vier Kindern, darunter Alberto, seiner Mutter einen Blick zuwerfend. Weit weniger bekannt ist der Urheber des Bilds. Es ist der Bergeller Talfotograf Andrea Garbald (1877 bis 1958).
Das berühmte Foto der Giacometti-Familie
Vor bald zwanzig Jahren wurde eine alte Villa ganz zuunterst im Bergell zu neuem Leben erweckt. Praktisch die ganze Einrichtung war noch da, eine spannende, vielseitige Bibliothek vor allem. Auf dem Dachboden lag das Berufszeug des letzten Bewohners, des Fotografen Andrea Garbald, ausserdem waren dort die Pläne der Villa archiviert. Es ist das einzige Haus, das der Architekt Gottfried Semper südlich der Alpen je gebaut hat, im Auftrag des Zollbeamten Agostino Garbald und seiner Frau Johanna. Sohn Andrea Garbald ( und dessen ebenfalls kinderlose Schwester Margherita hatten 1955 eine Stiftung im Gedenken an ihre Eltern errichtet, die Fondazione Garbald. Diese bezweckt, den Familiensitz samt geistigem Nachlass zum urbanen Zentrum für Künste, Wissenschaft und Handwerk zu machen. Gleichzeitig sollte auch das literarische Erbe der Mutter, Johanna Garbald-Gredig alias Silvia Andrea, gepflegt werden.
Dank des Fotokünstlers Hans Danuser, dessen Frau eine zeitlang in der Villa wohnte, wurde das Vermächtnis nach Jahrzehnten der sanften Konservierung und Erhaltung sozusagen aus einem Dornröschenschlaf geweckt und gezielt dem Stiftungszweck zugeführt.
Fotoatelier in Castasegna um die Jahrhundertwende
Nun stehen wir im Jubiläumsjahr: 150 Jahre Villa Garbald wird mit verschiedenen Feiern ins Licht gerückt. Den Anfang machte die Vernissage zur Ausstellung von Fotografien Andrea Garbalds im Bündner Kunsthaus Chur, darauf folgte eine vierbändige Edition von Silvia Andreas Werken. Das Jubiläumsfest findet anfangs Mai im Bergell statt.
Andrea Garbald war bekannt als Chronist des Bergells mit Kamera. Er hat die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in seinem Tal fotografisch dokumentiert: die Bewohner im Sonntagskleid oder bei der Arbeit, Schulfotos, Gebirge, Hochzeitsbilder, Familienporträts – am berühmtesten das eingangs erwähnte der Giacometti.
Die Fotoplatten und Abzüge aus dem Nachlass wanderten ins Bündner Staatsarchiv. Mit einem Aufruf bei allen Talbewohnern kamen noch mehr Abzüge von Garbald wieder zum Vorschein. Nun setzt mit der Präsentation des Werks eine neue Deutung ein: Andrea Garbald war mehr als ein guter Dorf- oder Talschaftsfotograf. Er hatte künstlerische Absichten, versuchte mehr als das saubere, scharfe, gut ausgeleuchtete Bild zu erreichen.
Stilleben mit Schafwolle
So ist in der Villa Planta ein neuer Fotokünstler zu entdecken. Im Erdgeschoss sind Originalabzüge präsentiert, dort, wo Angelika Kauffmanns grosses Selbstbildnis residierte, finden sich Frauenporträts. Daneben gibt es verschiedene Szenen aus dem Alltag der Bergeller sowie Landschaftsbilder zu entdecken. In einer Ecke des Flurs, der jetzt mit einer geschlossenen Glastüre zur Baugrube des neuen Kunsthauses endet, hängt das Bild der Familie Giacometti, nein, nicht das bekannte, welches seit Jahrzehnten einem unbekannten Fotografen zugeschrieben war, sondern ein Pendant aus der gleichen Fotosession.
Die Komposition des Bilds war Garbald wichtig
Im Untergeschoss zeigt das Museum im Atrium Garbalds Fotoausrüstung, verschiedene grössere und kleinere uralte und weniger alte Kameras mit und ohne Balg, unbelichtete Glasplatten, Material zum entwickeln, etc. Wenige Menschen wissen noch, wie Glas-Negative ausgeschaut haben, vielen ist noch der Negativstreifen der Kleinbildkamera geläufig, eine jüngere Generation kennt wohl nur noch Megapixel, wenn es ums Knipsen geht. Mittendrin steht ein Gipsrelief des vom Architekturbüro Miller und Maranta sanierten und mit dem Turm Roccolo erweiterten Anwesens, wo seit rund 10 Jahren wissenschaftlich gearbeitet wird.
Der Transfer vom Staatsarchiv ins Kunstmuseum meine, dem Fotografen Garbald eine neue Bedeutung zu geben, sagt Museumsdirektor Stephan Kunz, vom Chronisten des Bergells zum Künstler; viele der Bilder seien nicht dokumentarisch, aber malerisch konzipiert.
Die Gipfelbilder von damals sind unerreicht
Aufgearbeitet wurde der Nachlass – es sind 800 Platten und 60 originale Abzüge auf Papier von Beat Stutzer, dem ehemaligen Direktor des Kunstmuseums. Er hat zum Jubiläumsjahr eine Monographie verfasst.
Die Entscheidung des Museums, nur Originalabzüge zu zeigen, also keine neuen Positive von den Platten herzustellen, zahlt sich aus. Da die Sammlung bereits digitalisiert ist, gibt es die Möglichkeit, Bilder zu projizieren. Rund achtzig zeigt die Ausstellung im Untergeschoss. Sie sind thematisch geordnet. Je passend gibt es in jedem Raum ein Bücherregal mit Büchern aus der Garbalder Bibliothek. Die Begründung liegt nicht allein in der Bedeutung der Bibliothek für die Familie, sondern lässt sich auch durch das Hochzeitsbild der Eltern herleiten: Es zeigt Agostino Garbald und seine Frau, die Autorin Silvia Andrea sitzend unter einem Hängeregal voller Bücher. Anhand der Autographen finden sich auch Hinweise auf berühmte Besucher, beispielsweise weilte der indische Philosophe R. Tagore1928 in der Villa.
Selbstporträt
Immer wieder experimentierte Andrea Garbald mit dem Selbstbildnis. So kann das Museum einen ganzen Raum voller Selbstporträts zeigen, vom jungen, eleganten Fotografen bis zum verloren dreinblickenden Alten – wenige Monate vor dem Tod.
Alle Fotos © Fondazione Garbald, Castasegna
Bis 10. Mai im Bündner Kunstmuseum Chur
Katalog: Andrea Garbald. Fotograf und Künstler im Bergell. hg. von Beat Stutzer. Scheidegger & Spiess, Zürich
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