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Robert Walser und die Kunst

Das Aargauer Kunsthaus zeigt Werke von dreizehn zeitgenössischen Künstlern, die ihre Inspirationsquelle in Robert Walsers Texten fanden.

Der Schriftsteller Robert Walser (1878-1956) verstummte nach Erfolgen mit seinen Romanen sehr früh, lebte noch dreissig Jahre bis zu seinem Tod zurückgezogen in der psychiatrischen Anstalt von Herisau. Dann, von den Sechziger Jahren an, entdeckten ihn Autoren, Musiker und bildende Künstler neu, er wurde zum Star der kreativen Szene, zur Kultfigur, sein Werk wurde in der Folge zum Longseller in den Buchhandlungen.

Thomas Schüttes Frau Walser blickt auf das Denkmal des unbekannten Künstlers. Foto David Aebi, Burgdorf

Walsers Wirkung und Einfluss auf Maler, Zeichner, Filmer und Videokünstlerinnen seit damals bis heute zeigt das Aargauer Kunsthaus in einer von Direktorin Madeleine Schuppli kuratierten Schau. Zugleich sind den zeitgnössischen Exponaten, darunter das bekannte Walserporträt aus Wellkarton – eine Arbeit mit Kipp-Effekt– von Markus Raetz (*1941), Gemälde von Zeitgenossen des Dichters beigegeben, also Bilder, die Robert Walser selber hätte sehen können, möglicherweise kannte. Sie wurden von Thomas Schmutz ausgewählt. Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Robert Walser-Zentrum in Bern.Max Liebermann, Badende Knaben, 1909, Kunsthaus ZürichOhne Achtsamkeit beachte ich alles – der Walsersche Satz steht im Titel der Ausstellung. So beiläufig und doch umfassend die Welt wahrnehmen, das ist für manche der Künstler der Ausgangspunkt ihres Schaffens mit/über/durch Robert Walsers Texte. Beispiel Marie José Burki (* 1961): sie hat ihre und Walsers Heimatstadt Biel in ein dreiteiliges Video Grosse kleine Welt (II) gefasst: riesige Projektionsflächen, statische Totalen irgendwo in Biel, die Bewegung liegt in einem Rauch, der aus einem Kamin steigt, einem Menschen, der in der Ferne geht, ein paar älteren Männern, die auf einem Rasen Fussball spielen, durchsetzt sind die aktuellen Bilder mit historischen Dokumenten. Oder Thomas Schütte (*1954): eine Reihe zarter Zeichnungen von alltäglichen Kleinigkeiten umgeben die SkulpturWalser’s Wife aus hochglänzendem Aluminium, eine Reflexion auf Walsers Frauenfiguren, eine Ehefrau gab es nie. Gegenüber hinter der Glastür im Hof Schüttes Memorial for the Unknown Artist. So wie Denkmäler des unbekannten Soldaten an zahllose Männer erinnern, die tapfer kämpften, getötet und vergessen wurden, gibt es nun eins für die vielen Kreativen, welche verkannt und nach ihrem Tod vergessen wurden.Blick auf Marcel van Eedens Zeichnungen. Foto David Aebi, Burgdorf

Im grössten Raum ist aus unzähligen gerahmten Zeichnungen gleichen Formats die Silhouette eines Bergs an die grünen Wände gepinnt, eigenhändig gestaltet vom Zeichner Marcel van Eeden selber. Der Künstler arbeitet mit Vorlagen, die vor seiner Geburt 1965 entstanden sind. Die schwarzen Kreidezeichnungen enthalten Textfragmente, darunter Ausschnitte aus Walsers bekannter Erzählung Der Spaziergang; sie sind zufällig angeordnet und generieren neue Geschichten. Von Walsers Literatur durchdrungen bezeichnet sich Thomas Hirschorn (*1957). Da, wo Walser dank seines erfolgreichen Bruders, des Malers Karl Walser das hektische Grosstadtleben für ein paar Jahre lebte, in Berlin, hat Hirschhorn seine Installation Berliner Wasserfall mit Robert Walser Tränen gebaut. Im Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts, gefördert von den Gebrüdern Cassirer, setzte sich der Autor Robert Walser ernsthaft mit Malerei auseinander, muss vor allem den Aufbruch der Berliner Sezession erlebt haben. Somit sind als Kontrapunkt der zeitgenössischen Positionen Bilder von Lovis Corinth oder Arnold Böcklin und Max Liebermann gehängt, die frühen Jahre in der Schweiz dagegen veranschaulicht mit Landschaften unter anderen, in denen ein Weg ins Bild führt, Einladung an den Spaziergänger.

Das Konzept, Walsers Zeitgenossen der Malerei mit den heutigen Walser-Inspirierten zusammenzubringen, hält nicht, was es versprach. Das mag an den teilweise zweitklassigen Gemälden aus der Jahrhundertwende liegen, oder auch an der Unmöglichkeit des Dialogs zwischen den Zeiten. Eins jedoch wird deutlich: Robert Walsers Prosa ist mit ihrer Heiterkeit, unterlegt von Existenzangst, mit ihrer hochartifiziellen Einfachheit und präzisen Beschreibung des Alltags in keiner Weise angestaubt.

Klaus Lutz, Filmstill aus Caveman Lecture, 2002 © Estate of Klaus Lutz

Ein enger geistiger Verwandter, der sich in einem anderen Medium bewegt, seinen Walser jedoch sehr gut kannte, ist der Filmkünstler Klaus Lutz (1940-2009). In seinen Anfängen produzierte er winzige Grafikbüchlein, ausgehend von Walser-Texten, die er in ein eigenes Zeichensystem umsetzte, später schuf er Filme auf eine absolut eigenständige Weise: Mit akribisch berechneten Vorgaben brachte er es fertig, dank Mehrfachbelichtung des Filmstreifens, reale Bilder, sich selber als handelnde Figur sowie Zeichnungen in eine Story zu verpacken. Aarau zeigt Caveman Lecture, ein Film, der sich auf den Text Der Höhlenmensch von Robert Walser bezieht. Lutz arbeitete allein in seiner winzigen New Yorker Einzimmerwohnung, die ihm auch Filmatelier, Werkstatt, Archiv, Bibliothek und Schlafstätte war. MitCaveman Lecture realisierte er im Grunde ein Porträt sowohl seiner selbst als auch der einsamen Künstlerfigur Robert Walser.

Rosemarie Trockel, Triple Bob 2, 2012
Courtesy Sprüth Magers Berlin London
© Rosemarie Trockel, VG Bild-Kunst, Bonn 2014 / Pro Litteris, Zürich, Foto: Mareike Tocha, Köln

Rosmarie Trockels (*1952) ironisches Fanplakat für Walser, Dexter Dalwoods (*1960) Gemälde Robert Walser – eine schwarz-weisse Landschaft mit Spazierweg und Berglandschaft – und Ian Breakwells (1943-2005)Walserings, ein Spiel mit dem eigenen sowie einem Walser-Porträt, ergänzt mit Texten zeigen weitere Möglichkeiten, sich künstlerisch mit der Literatur von Robert Walser auseinanderzusetzen.

Video Robert Walser Tanz von Thomas Hirschhorn und Walserings von Ian Breakwell. Foto David Aebi, Burgdorf

Am Ende des Rundgangs gibt es ein Lesezimmer. Da liegen der Katalog sowie Biografien auf, da sind aber auch schön aufgereiht in einem Regal die gesammelten Werke Robert Walsers – lesebereit.

Titelbild: Markus Raetz, Robert Walser, 1978
Kunsthaus Zürich © 2014 ProLitteris, Zürich
Bis 27. Juli 2014

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