«Homo faber (drei Frauen)» ist eine persönliche «filmische Lektüre» des «Homo faber» von Max Frisch: fesselnd realisiert von Richard Dindo.
Drei Schauspielerinnen, welche die Frauenfiguren des Buches repräsentieren, werden in fotografischen Porträts in den Landschaften und Örtlichkeiten des Romans gefilmt. Marthe Keller verkörpert Hanna, die ursprüngliche Verlobte von Faber. Daphné Baiwir ist Sabeth, Hannas Tochter. Amanda Barron spielt Ivy, seine amerikanische Geliebte. Walter Faber, die Hauptperson, erscheint nicht im Film, sondern beobachtet und beschreibt, gesprochen von Christian Kohlund, die drei Frauen gemäss Buch.
Der Schweizer Dokumentarist Richard Dindo, Jahrgang 1944, hat sich schon mehrmals erfolgreich filmisch mit Literatur auseinandergesetzt: 1980 mit «Max Frisch, Journal I – III», 1991 mit «Arthur Rimbaud, une biographie», 1994 mit «Ernesto „Che“ Guevara, le journal de Bolivie» und 1999 mit «Genet à Chatila». «Homo faber (drei Frauen)» handelt von Max Frisch, von Walter Faber, von Richard Dindo – von mir und wohl noch andern – und deren Beziehungen zu Frauen.
Ivy
Aus dem Exposé von Richard Dindo zum Film:
Die Geschichte …
Da der Regisseur uns sein Film-Exposé zur Verfügung stellt, möchte ich dieses, da ich es nicht besser schreiben kann, dem interessierten Publikum nicht vorenthalten (Auslassungen und Zwischentitel sind von mir):
Das Buch erzählt die Geschichte eines Schweizer Ingenieurs, der nach Caracas fliegt, und dessen Flugzeug in der mexikanischen Wüste wegen eines Motorschadens notlanden muss. Mein Film beginnt nach der Notlandung, als Walter Faber, die Hauptperson des Romans, die Landschaft in der Wüste von Tamaulipas beschreibt und dabei seine «Philosophie» des Lebens und seine Vision der Welt erklärt: eine anti-romantische, gefühlslose, rein technische, wissenschaftliche Sichtweise, die nach und nach vom Leben selber infrage gestellt wird.
In New York trifft Faber zum letzten Mal seine amerikanische Geliebte Ivy. Faber mag die Stadt nicht, und er will sich von Ivy trennen. Sie verbringen einen Tag und eine Nacht zusammen, bevor Faber ein Schiff nach Le Havre nimmt. Während der Überfahrt lernt er Sabeth kennen, die 30 Jahre jünger ist als er. Er scheint sich in sie zu verlieben und macht ihr einen (…) Heiratsantrag. Auf dem Schiff erinnert er sich immer wieder an Hanna, seine jüdische Verlobte aus Deutschland, die er in Zürich an der Uni kennengelernt und die er auch wirklich geliebt hatte, und die ihn schliesslich nicht heiraten wollte. In Le Havre trennen sich Faber und Sabeth. Sie treffen sich zufälligerweise wieder in Paris. Sie verbringen einen Abend zusammen und machen später eine Reise nach Avignon, Rom und Athen. Unterwegs werden sie ein Liebespaar. An einem Strand am korinthischen Meer wird Sabeth von einer Schlange gebissen, fällt mit dem Kopf auf einen Stein und stirbt später in einem Spital in Athen an ihren Verletzungen. Vor ihrem Tod trifft Faber in einem Spitalzimmer auf Hanna. (…)
Vom Roman zum Film
Das ist in groben Zügen die Geschichte des Romans. Ich mache nur Porträts von den drei Frauen, dargestellt von Schauspielerinnen. Alles andere klammere ich aus. Mein Projekt ist eine filmische Vision von einem Buch, das mich ein Leben lang begleitet hat; ein Projekt, das mir erlauben würde, meine Auffassung vom Dokumentarfilm als «Kunst der Biografie» weiter zu entwickeln sowie die Beziehung zwischen Film und Literatur. Dabei geht es insbesondere um die Dialektik zwischen Worten und Bildern, im Sinne von Marguerite Duras, die einmal definiert hat: «Mit Worten sagen, was man mit Bildern nicht zeigen kann, und mit Bildern zeigen, was man mit Worten nicht sagen kann.» (…)
Sabeth
Über Sprache und Bilder
Ich bin mit diesem Projekt im Herzen meiner Unternehmung als Filmemacher und von dem, was ich in all diesen Jahren versucht habe. Es geht um das Überschreiten der dokumentarischen Annäherung durch «Fiktionalisierung», durch Erzählen der Vergangenheit mit Worten – dort, wo die Bilder nicht mehr genügen, wo sie das Abwesende und Vergangene nicht zeigen können. Und dort, wo Bilder eines nicht verständlich machen können, nämlich das Innenleben der Menschen, ihre Gefühle und Gedanken. Denn das Kino ist, wie Brecht einmal gesagt hat, «eine Kunst der Oberfläche», es gibt die Dinge «dahinter» und in uns selber, die man mit Bildern einfach nicht zeigen kann, für die es die geschriebene oder gesprochene Sprache braucht (…).
«Frischianer» und «Proustianer»
Die beiden Schriftsteller, die mein Leben und Denken seit meiner Adoleszenz am meisten geprägt haben, sind Max Frisch und Marcel Proust. Ich bin mit zwanzig Jahren nach Paris ausgewandert, um Proust auf Französisch lesen zu lernen und um an der Cinémathèque Française Filme anzuschauen. Wobei man da nur Spielfilme sah, vor allem Klassiker. Ich bin deshalb viel mehr vom Spielfilm geprägt als vom Dokumentarfilm, der in den 60er- und 70er-Jahren kaum eine Rolle spielte und erst von meiner Generation neu erfunden wurde. Ich bin also nicht nur «Frischianer», ich bin auch «Proustianer», d. h. dort, wo der Homo faber in der «wissenschaftlichen Sachlichkeit» und in seinem Sarkasmus stecken bleibt, von Max Frisch immer wieder mit sehr viel Ironie dargestellt, wird der Film nach und nach in eine proustianische Dimension hinüberwachsen. Das Gefühl von der Vergänglichkeit des Lebens und die Idee von Proust, dass man die «verlorene Zeit» nur in Form eines Kunstwerkes wiederfinden kann, werden den Ablauf des Filmes immer mehr bestimmen. Der Film beginnt mit etwas Substanziellem, «Philosophischem», mit der «Weltanschauung» von Walter Faber als eine Art Einleitung und Prolog. (…) Es ist wirklich ein «Die-Welt-Anschauen», von einem Mann, der vorgibt, «die Dinge zu sehen, wie sie sind» (…).
Hanna
Versuch einer Würdigung:
«Homo faber (drei Frauen)»: Ein Film einer kreativen Befreiung und poetischen Vertiefung
Vergleiche ich den «Bericht» (Frisch nennt seinen Roman so) samt Sekundärliteratur, welche die vielfältigen Themen des literarischen Werkes ausleuchten, mit dem Film, so bin ich dankbar über Dindos Konzentration der Geschichte auf die Liebe zwischen Mann und Frau. Dieser Essay von der Notwendigkeit und Schwierigkeit dieser Beziehung wird zu berührender Poesie. Diese wiederum ermutigt mich ebenfalls zu einer persönlichen «Lektüre» des Romans, erlaubt mir im Hin und Her zwischen Wort und Bild meinen eigenen Homo faber zu finden.
Damit beschreitet der Filmemacher exemplarisch den Weg, der für alle Kunst-Rezeption gültig ist: Er erschafft die eine Hälfte, wir haben die andere zu erfinden, erst beide zusammen ergeben das ganze Werk. Genau so wie in der personalen Kommunikation die Wahrheit auch nicht beim Ich oder beim Du liegt, sondern erst aus dem Dialog entsteht. Dafür bin ich dir, Richard, dankbar.
Regie: Richard Dindo, Produktionsjahr: 2014, Länge: 89 min, Verleih: Filmcoopi.